Im Portrait: Der Beruf des Analysten

Profis mit hoher Abwerbungsgefahr

08.05.1998

"Wir sind weder Gurus noch Müßiggänger", versucht Dück ein gängiges Vorurteil zu entkräften. Im Gegenteil: Eingezwängt in einen vollgestopften Terminkalender und die Pflicht, am laufenden Band "Research Notes" zu verfassen, bleibt nicht viel Raum für den Egotrip. Von einem Achtstundentag zu träumen ist völlig fehl am Platz. Ist der Analyst nicht gerade dabei, neueste Erkenntnisse aufs Papier zu bringen oder einen Vortrag zu halten, dreht sich alles um den Kunden, sei beim Besuch vor Ort, um gemeinsam mit dem Management neue Strategien auszuloten, sei es eines der zahllosen Telefongespräche von ratsuchenden Anwendern.

Vom "Technologie-Fuzzy" zum Strategen

Der promovierte Physiker Dück, 48 Jahre alt, blickt auf 25 Jahre DV-Erfahrung zurück. Mindestens zehn Jahre, besagt ein ungeschriebenes Gesetz, sollte sich ein Analyst in verschiedenen Arbeitsfeldern getummelt haben. Wer sich vom "Technologie-Fuzzy" zu einem konzeptionsstarken Strategen im Management-Umfeld weiterentwickelt habe, erläutert Dück, bringe sehr gute Voraussetzungen für den Job mit. Er selbst hatte sich aus dem Fertigungsumfeld ins Management eines IT-Dienstleisters hochgearbeitet und ist nun verantwortlich für den Markt der Service Provider, also IT-Consultants, Systemintegratoren sowie Outsourcing-Spezialisten. Ideal, so Dücks Empfehlung an den interessierten Nachwuchs, seien Stationen bei Herstellern und im IT-Management.

Von den weltweit rund 600 Analysten der Gartner Group haben nur die wenigsten über ein Traineeprogramm unmittelbar nach der Hochschule den Einstieg gefunden. Die meisten sind als Profis zum Unternehmen gekommen. Aktuell soll der Mitarbeiterstamm in Europa stark ausgebaut werden, und auch in Deutschland sucht Gartner Group nach neuen Leuten.

Ist ein Kandidat gefunden, muß er durch das Stahlbad eines vier- bis sechsmonatigen Auswahlverfahrens. In telefonischen Interviews, Diskussionsrunden und Präsentationen muß er ein Bündel aus Kernkompetenzen unter Beweis stellen. Überzeugt der Bewerber sowohl mit der testweise verfaßten Research Note als auch in seiner mündlichen Argumentation, wird er aufgenommen.

Von nun an muß er sich mit seiner "Solistenrolle" abfinden, denn im Alltagsgeschäft ist der Analyst - ohne Unterstützung einer Sekretärin oder eines Assistenten - oft auf sich allein gestellt. Dennoch arbeiten die Spezialisten bei den Research Notes eng im internationalen Team zusammen, treffen sich regelmäßig und greifen dabei auf einen großen gemeinsamen Datenbestand zu, wie es der interne Qualitätsprozeß zwingend vorschreibt.

Wollen viele Analysten deshalb wieder ins Management zurück? Dück: "Bevor sie in den Analystenjob wechseln, stehen viele als IT-Manager unter einem extremen Kosten- und Zeitdruck, stoßen aber nie richtig ins Kerngeschäft der Unternehmen vor." Nun aber sei man nicht nur gefragter Gesprächspartner im Topmanagement, sondern repräsentiere ein hochqualifiziertes Produkt, nämlich unabhängige Analyse und fundierten Rat. Zwar sei es in den USA durchaus üblich, nach einem Intermezzo zurück ins Management zu gehen. In Deutschland dagegen suchten die meisten Analysten ihre Perspektiven im Consulting.

Winfried Gertz ist freier Journalist in München.