Professoren unterrichten ueber Kabel Teleteaching: An deutschen Unis beginnt nun die multimediale Aera

19.05.1995

Von Roland Karle*

An den vier baden-wuerttembergischen Universitaeten Mannheim und Heidelberg sowie Karlsruhe und Freiburg beginnt das Zeitalter der Fernuebertragung von Hochschulort zu Hochschulort. Und die Datenautobahn zwischen den Universitaeten soll keine Einbahnstrasse sein. Teleteaching wird interaktiv betrieben: Der Professor in Mannheim und der Student in Heidelberg koennen live miteinander diskutieren.

An der Universitaet Mannheim demonstriert der Lehrstuhl Praktische Informatik, wie die nahe Zukunft an der Alma Mater aussehen koennte. Die Szene: Seine Kollegen erkennen Ralf Keller nicht wieder. So behaebig wirkt er sonst nicht. Noch vor wenigen Minuten trat der Mitarbeiter des Informatik-Lehrstuhls im Hoersaal 517 der Universitaet Mannheim jung und dynamisch auf. Am Monitor im Nebenraum bewegt er sich nun wie Neil Armstrong bei seiner ersten Landung auf dem Mond. Nur zoegerlich folgt der Ton seinen Lippen, sein Aeusseres kommt etwas verzerrt an. Der Nachwuchswissenschaftler haelt einen Vortrag und praesentiert Darstellungen auf dem Bildschirm.

Doch Kellers Auftritt laesst die Beobachter staunen. Denn wichtig ist allein die Erkenntnis, dass das Experiment "Teleteaching" gelingen kann. "Wir beschreiten mit diesem innovativen Multimedia- Projekt Neuland und befinden uns noch in einer relativ fruehen Phase", sagt Wolfgang Effelsberg, in Mannheim Professor fuer Praktische Informatik. Zum Zwecke der Demonstration sollte Kellers Unvollkommene jedoch genuegen.

Das Projekt Teleteaching leitet die multimediale Aera an deutschen Hochschulen ein. Einen gemeinsamen Anfang machen die Nachbaruniversitaeten Mannheim und Heidelberg, zwischen denen bald ein reger Wissenstransport auf elektronischem Wege stattfinden soll. Waehrend die Mannheimer Vorlesungen in Informatik nach Heidelberg exportieren, bietet die Uni Heidelberg im Gegenzug Lehrstunden in Physik. "Dabei koennen sich Studenten beider Universitaeten aktiv in die Veranstaltungen einbringen und sowohl mit dem Dozenten als auch untereinander kommunizieren. Unabhaengig davon, ob sie waehrend der Vorlesung vor Ort sind oder die Uebertragung an der Partneruni live verfolgen", so Effelsberg. Ein gewaltiger Fortschritt, denn "das war bei analogen Videouebertragungen von einem Hoersaal in den anderen nicht moeglich".

Noch allerdings krankt das ehrgeizige Vorhaben an der mangelhaften Technik. "Mit dem neuen Netz koennen wir Teleteaching mit hoher Qualitaet und ausreichender Kapazitaet betreiben", warten Effelsberg und seine Mitarbeiter sehnlichst auf die Installation des Asynchronous-Transfer-Mode-(ATM-)Netzes. Erst wenn das breitbandige Glasfaser-Hochgeschwindigkeitsnetz installiert ist, wird auf dem Daten-Highway mit Vollgas gefahren.

Weitere Voraussetzungen fuer das Heidelberg-MannheimerModell: Die ausgewaehlten Hoersaele muessen mit moderner Audio- und Videotechnik ausgestattet werden. Jeweils eine Kamera ist auf den Dozenten gerichtet, eine zweite auf das Publikum. Anstelle des Overhead- Projektors wird ein PC oder eine Workstation installiert, deren Bildschirminhalt ueber einen RGB-Projektor im lokalen Hoersaal als Grossbild projiziert wird.

Gegenueber der herkoemmlichen Vorbereitung muessen die Hochschullehrer den technischen Veraenderungen Rechnung tragen. Folien fuer die Vorlesung werden speziell fuer den Rechner gestaltet. Der Einsatz von

farbigen Grafiken und Pixelbildern ist dabei moeglich.

"Dies ist heute als gaengiger Stand der Technik anzusehen", erklaert Effelsberg.

Fuenf Datenstroeme werden vom Live-Ort der Vorlesung aktiviert und uebertragen: Video und Audio der Dozentenkamera, Video und Audio der Publikumskamera und das Folienbild. In der Fernuniversitaet sind zwei Kanaele aktiviert, der Video- und der Audiokanal der Publikumskamera. Effelsberg beschreibt, wie das Teleteaching konkret aussehen wird: "Waehrend der Dozent vortraegt, koennen sowohl er selbst als auch seine lokalen Studenten an der Rueckwand des Hoersaals die Studenten der entfernten Universitaet sehen.

Fragen, die von dort gestellt werden, koennen gehoert werden. Die Studenten in beiden Hoersaelen sehen in Grossprojektionen das Folienbild. Die Ausstattung in beiden Hoersaelen ist gleich, so dass Uebertragungen in beiden Richtungen erfolgen koennen."

Im Hoechstfall rechnen die Initiatoren mit Kosten von einer halben Million Mark, um Teleteaching zum Laufen zu bringen. Schon im naechsten Jahr wollen die Hochschulen ihre ersten Live- Uebertragungen von Mannheim nach Heidelberg und umgekehrt senden. Da zwischen Effelsbergs Mannheimer Lehrstuhl und der IBM in Heidelberg bereits eine enge Kooperation besteht, liebaeugeln die Projektverantwortlichen damit, das Europaeische Zentrum fuer Netzwerkforschung der IBM als kompetenten Industriepartner aus der Region zu gewinnen.

Fehlender Blickkontakt erschwert die Diskussion

Auch jenseits der Grenzen wird fleissig an Multimedia-Versuchen gearbeitet. So haben in der Schweiz die beiden Universitaeten Bern und Fribourg ein Projekt nach dem Mannheimer Muster durchgefuehrt. "Gemischte Reaktionen bei den Studenten", bilanziert der Berner Professor Hofgrefe. "Es war fuer sie etwas Neues und hat daher Interesse geweckt. Aber sie klagten auch ueber den schlechteren Kontakt zum Dozenten, hatten Hemmungen zu diskutieren und fanden die Vorlesungen durch die ungewohnte Technik teilweise ermuedend." Ausnahmslos Lob spendeten dagegen Studenten der kanadischen Hochschulen Waterloo und Guelph, die Vorlesungen via Teleteaching verfolgten. Die Dozenten reagierten entweder ausgesprochen positiv oder waren entschieden dagegen.

Bereits in diesem Sommersemester starten die Universitaeten Karlsruhe und Freiburg in die multimediale Lernwelt. Studenten der Wirtschaftswissenschaften werden im Fach Angewandte Informatik gemeinsame Sache machen. In dem Seminar sitzen jeweils zehn Teilnehmer von beiden Universitaeten. Die zwei Zehnergruppen teilen sich drei Workstations, ueber die sie alle in Bild- und Tonkontakt sind.

Zu Hause den Professor auf den Bildschirm holen

Der bereits abgeschlossene Testlauf macht Professor Gerhard Schneider vom Rechenzentrum der Uni Karlsruhe Mut:

"Die Kommunikation fand in beiden Richtungen statt, das heisst, der Dozent war in Freiburg sichtbar und hoerbar, aber die Freiburger Kollegen und Mitarbeiter konnten genauso wie die Zuhoerer im Saal auch Rueckfragen stellen." Im technischen Ablauf gab es keine Probleme. Schneider: "Durch den Einsatz von Rechnern wurde es moeglich, alle Signale, also Audio, Video, Grafik und Daten, zu buendeln und auf einer Datenleitung zum Zielort zu bringen. Die sonst ueblichen verschiedenen Verbindungen waren daher nicht noetig."

Schneider sieht die baden-wuerttembergischen Hochschulen als Schrittmacher fuer die neue Technologie, denn durch das vom Land finanzierte Universitaetsdatennetz verfuegen sie ueber eine hohe Bandbreite. "Zwischen den Hoersaelen in Karlsruhe und Freiburg haben wir eine Kapazitaet von 34 Mbit/s. Die fuer eine Telekonferenz in guter Qualitaet erforderlichen 1,5 Mbit/s waren also jederzeit nutzbar."

Das Studium 2000 koennte in Deutschland demnach so aussehen: Der Professor haelt an der Universitaet - oder bei sich zu Hause - eine Vorlesung, die Studenten sitzen daheim an ihrer Workstation und holen sich den Professor samt Vorlesungsfolien auf den Bildschirm. Vom heimischen PC aus koennen die Studenten mit dem Dozenten und ihren Kommilitonen in Kontakt treten, Fragen stellen, Uebungsaufgaben loesen.

Gleichermassen wird sich die Praesentation von Lehrinhalten entscheidend verbessern. "Wir wollen multimediale Lehrmaterialien entwickeln, um die neuen Moeglichkeiten auszuschoepfen", sagt Effelsberg. Animationen,

Visualisierungen oder dreidimensionale Modelle schweben dem Professor vor. "Heute erklaert der Mediziner, was im Kopf des Menschen drin ist, und der Student blaettert im Lehrbuch. Durch den Einsatz der neuen Techniken kann man den Schaedel als 3-D-Modell zeigen und zum Beispiel einzelne Schalen abnehmen und das Grosshirn aus verschiedenen Perspektiven betrachten."

Die sozialen Aspekte, die beim Teleteaching zu beruecksichtigen sind, sollen durch psychologische und paedagogische Begleitung des Projekts beruecksichtigt werden. Darauf legen Effelsberg und Kollegen gesteigerten Wert. Und: "Wir wollen den Lernerfolg ueberpruefen", sagt der Informatikprofessor. Detaillierte Untersuchungen sind geplant, um den Erfolg zu messen, wenn die Profs aus dem Kabel kommen.

Von Geisteruniversitaet kann keine Rede sein

Leere Hoersaele in Geisterunis wird es jedoch nicht geben, auch wenn sich das Projekt Teleteaching schnell und erfolgreich entwickeln sollte. Diese Prognose trifft der Mannheimer Erziehungs- wissenschaftler Helmut Niegemann: "Ich sehe mittelfristig keine Gefahr, dass die sozialen Kontakte eingeschraenkt werden. Vielmehr werden durch Teleteaching Defizite an der Hochschule aufgefangen."