Motivation und Kreativität bleiben auf der Strecke

Professoren-Schelte für deutsche Führungskräfte

21.03.1997

Deutsche Unternehmen sind seit Jahren dabei, ihre Geschäftsprozesse zu definieren, ihre IT-Umgebungen auf den neuesten Stand und gleichzeitig noch ihre Unternehmenskultur auf Vordermann zu bringen. Das große Manko dabei ist nach Ansicht von Wirtschaftspsychologen die geringe Aufmerksamkeit, die Führungskräfte bei den Unternehmenskonzepten ihren Mitarbeitern entgegenbringen. Zwar sei das Wort "Humankapital" auf nahezu jeder Vorstandsfolie zu finden, doch zwischen Theorie und Praxis lägen Welten. Fest steht: Die Beschäftigten werden fast nie in die Entwicklung neuer Konzepte einbezogen.

Einer der Protagonisten in puncto Manager-Schelte, der Münchener Wirtchaftspsychologe Dieter Frey, warnt mit deutlichen Worten vor den Folgen dieser Personalpolitik: "Führungsmängel bringen Unternehmen um den Re-Engineering-Erfolg. Der Garant für jeden Erfolg sind nun einmal qualifizierte und motivierte Mitarbeiter." Weil das viele Vorgesetzte nicht erkannt hätten, würden sich immer mehr Beschäftigte in die "innere Kündigung" zurückziehen. Eine Verhaltensweise, die die Unternehmen riesige Summen kosten würde.

Frey zitiert Untersuchungen, nach denen rund 30 Prozent der Mitarbeiter sich über- und 30 Prozent unterfordert fühlen. Diese Defizite führen zu einer negativen Einstellung gegenüber der Arbeit. Der Münchener Psychologe: "Schuld an diesem Dilemma ist die Ignoranz und Arroganz der Führungspersonen gegenüber der Welt des Mitarbeiters. Die meisten von ihnen besprechen ja mit den Beschäftigten nicht einmal deren Zielvorgaben."

Frey ist überzeugt, daß das traditionelle Führungsverständnis der Vorgesetzten schnellstmöglich von der Bildfläche verschwinden muß: "Die jetzigen Chefs müssen sich einfach ändern." Es sei ja nicht so, daß sich Schlüsselqualifikationen nicht erlernen ließen. Schließlich sei ein Teil des Managements durchaus in der Lage sich zu verändern. Nach seiner Meinung sollten die Führungskräfte vor allem Bereitschaft zeigen, ihre Mitarbeiter um Rat zu fragen. So sollte ein Chef beispielsweise einen Angestellten fragen, was dieser anders machen würde, wenn er in seiner Position wäre. Oder der Vorgesetzte könnte fragen, wo und in welcher Form er die Kreativität der Untergebenen blockiere. Frey: "Menschen kommunizieren mit ihren Partnern und mit ihren Kindern. Nur in der Arbeitswelt wenden sie diese Fähigkeit viel zu wenig an."

Er fordert die Manager auf, sich so schnell wie möglich zu Coaches zu entwickeln, die nicht nur mit ihren Mitarbeitern kommunizieren, sondern ihnen darüber hinaus auch Vertrauen entgegenbringen.

Der Wirtschaftspsychologe fragt sich, warum diese Kriterien so schwer zu erfüllen sind: "Vorgesetzte sollen doch schließlich keine Sterne vom Himmel holen, sondern lediglich konstruktive Kritik üben und ihre Mitarbeiter auch einmal loben." Sind Chefs zu einer solchen Verhaltensänderung nicht bereit, empfiehlt Frey den harten Schnitt: "Da unverbesserliche Betonköpfe dem Unternehmen auf Dauer nur schaden, müssen sie eben entlassen werden."

Jeder Mitarbeiter als eigenes Kompetenz-Center

Seiner Meinung nach wäre es sowohl für die Beschäftigten als auch für das Unternehmen von Vorteil, wenn sich jeder Mitarbeiter als sein eigenes Kompetenz-Center versteht, in dem absolute Spitzenleistungen erbracht werden. Der Mitarbeiter müsse für neue Ideen bereit sein, Unternehmenskonzepte mitzutragen und Entscheidungen treffen zu können. Diese Einstellung der Beschäftigten sei um so wichtiger, je mehr die Märkte zusammenwachsen würden. Nur so sei es für ein Unternehmen überhaupt noch möglich, sich national und international behaupten zu können.

Doch die Wirklichkeit bezüglich des Führungsverhaltens sieht in den meisten deutschen Unternehmen nach wie vor düster aus.

Deshalb kann Frey gut verstehen, daß so mancher Arbeitsmarktexperte die Stagnation Deutschlands auf einigen Technologiegebieten auf das traditionelle Führungsverhalten der Topmanager zurückführt: "An der gegenwärtigen nicht gerade rosigen Situation sind weder die Mitarbeiter schuld, noch kann man es den zugegebenermaßen nicht gerade optimalen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen zuschreiben. Entscheidend ist vielmehr, daß in den Vorstands- und Aufsichtsratsgremien zu viele sehr konservative und risikoscheue Manager sitzen." Diese Führungskräfte seien häufig von der Basis, vom Kunden und vom Markt meilenweit entfernt: "Solche Erbsenzähler sind unfähig, eine erfolgreiche Zukunft zu entwickeln."

Ein weiterer Fehler sei, daß in Deutschland Querdenkern aus der mittleren Ebene wenig Chancen eingeräumt würden. In harten Zeiten bräuchte man aber dringend Leute mit Visionen und ungewöhnlichen Ideen. In der Top-Etage vermißt Frey die "richtigen Unternehmer", die "Entrepre- neure", die Projekte mit großem Engagement durchziehen.

DV-Chefs haben keine Sonderstellung verdient

Seine Kritik richtet sich auch gegen DV-Chefs: "Ich wehre mich gegen eine Sonderstellung der DV-Führungskräfte. Warum sollten sie nicht auch lernen können, was die Kollegen aus anderen Bereichen bereits lernen mußten?" Der DV-Manager wisse genau wie alle anderen, was teamorientiertes Arbeiten, Visionsvermittlung und mehr Transparenz heiße. Allerdings fürchtet Frey, daß sich bei den Managern wenig ändern wird, solange sie keine existentielle Bedrohung dazu zwingt: "Viele Führungskräfte sind offenbar erst unter dem Damoklesschwert einer drohenden Entlassung bereit, ihr Führungsverhalten zu ändern.".

*Ina Hönicke arbeitet als freiberufliche Journalistin in München.