Professor Rürup vor dem IBM-Forum: Jobkiller-Vorwurf ist irreführend und unqualifiziertFreisetzungseffekt der DV nur tendenziell

25.09.1981

DARMSTADT - Die Informationstechnologie wegen ihrer Rationalisierungseffekte als Arbeitsplatz-fressend abzustempeln, ist wissenschaftlich nicht haltbar. Wie Professor Dr. Bert Rürup vom Institut für Volkswirtschaft der TH Darmstadt in einem Festvortrag zur Eröffnung der IBM-Veranstaltung "Forum '81 für Wissenschaft und Verwaltung" ausführte, hat eine breit angelegte Untersuchung ergeben, daß die vergleichsweise intensivste Konfrontation mit der EDV gerade in den typischen Wachstumsbranchen stattfindet.

Das Forum, zu dem sich über 1000 Teilnehmer in den Räumen der Darmstädter TH eingefunden hatten, war die neunte Veranstaltung ihrer Art seit 1973 und sollte - so die erklärte Absicht der IBM - Kunden und Interessenten dabei unterstützen, "die stürmische Entwicklung (der DV) unter Nutzung der Erfahrungen anderer mitzuvollziehen". Professor Rürups Referat zum Thema "Informationstechnologie und Arbeitsmarkt" beleuchtete die gegenläufigen Tendenzen der Arbeitsmarktwirkung, die mit dem Einsatz der Elektronik in Produktion und Verwaltung einhergehen.

Rürups Ergebnis: Zwar könne niemand exakt prognostizieren, welche Beschäftigungseffekte die DV im einzelnen haben werde, eine Auswertung der verfügbaren Indikatoren aber lasse die Aussage zu, daß auf lange Sicht gesehen die negativen Auswirkungen die positiven mit einiger Wahrscheinlichkeit nur mäßig überbieten würden. Damit erweise sich das Schlagwort vom "Jobkiller EDV" als irreführend. Rürup, der herausstellte, seine Betrachtungen seien global angelegt und deshalb für den Einzelfall keineswegs aussagefähig, ging das gestellte Thema aus drei Hauptperspektiven an.

Zunächst untersuchte er die Wirkungen der Informationstechnologie auf die Gesamtbeschäftigung, dann die unzureichende DV-Qualifikation der Arbeitnehmer, schließlich die Einflüsse der neuen Techniken auf die Arbeit selbst. Rürup begann seine Darlegungen mit fünf sogenannten Vorbemerkungen, die hier zusammengefaßt seien.

- Bereits heute handelt es sich bei drei von vier DV-Anwendern um Betriebe mit weniger als 100 Beschäftigten.

- Zu beobachten ist eine "qualitativ neue Phase der Automation im Fertigungsbereich", wo derzeit über 1800 Industrieroboter im Einsatz sind (1977 waren es noch 500).

þDie "Janusköpfigkeit" der Informationstechnik wird vielfach nicht ausreichend beachtet: Sie ist Produkt, aber auch Produktionsmittel.

- Wegen ihrer tätigkeits- und produktunspezifischen Charakteristika (und der sich daraus ergebenden Universalität) ist die Informationstechnik im Gegensatz etwa zur Kfz-, Bio- oder Meerestechnik als Schlüsseltechnologie zu betrachten.

- Wenn die deutsche Wirtschaft gegen die aufkommende Weltmarktkonkurrenz der Schwellenländer bestehen will, kann sie auf die Unterstützung durch die Informationstechnik nicht verzichten.

Schwachpunkt Qualifikation

Wie eine vor rund einem halben Jahr veröffentlichte Untersuchung der Institute Infratest, Ifo und Fraunhofer-Gesellschaft ergab, ist der Grad der Betroffenheit durch die neuen Informationstechniken dort am höchsten, wo auch - sektoral oder nach Branchen - die höchsten Wachstumsraten zu verzeichnen sind. Rürup zog bei seiner Analyse der globalen Beschäftigungswirkungen der neuen Techniken außerdem eine - wie er meinte, "ziemlich sichere" - Prognose des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarktforschung zu Rate: Hier wurden für den Büro- und Verwaltungsbereich die negativen Effekte als eindeutig überwiegend ermittelt.

Rürups vorsichtiges Fazit: Die in der industriellen Fertigung (Maschinenbau, Elektroindustrie etc.) zu erwartenden positiven Arbeitsmarkteffekte reichen wohl nicht ganz aus, um die eben dort abzusehenden Freisetzungen zu kompensieren. Und der aus dem Büro- und Verwaltungsbereich (Banken, Versicherungen, Handel etc.) kommende Strom von Beschäftigungssuchenden hängt in seiner Größe und Richtung von schwierig einzuschätzenden Faktoren ab. Dazu gehört etwa die technische Entwicklung des Produkts DV, die Entwicklung der Installationszahlen, aber auch die Wirkung der in drei bis vier Jahren zu erwartenden Marktreife der integrierten Text- und Datenverarbeitung.

Branchenwachstum durch DV, meinte Rürup, kann Arbeitsplätze vemehren und sichern. Mitentscheidend für ein Gelingen aber sei, daß die Beschäftigten ihr bisher an abgegrenzten Betriebsbereichen ausgerichtetes Denken und Handeln zu überwinden und so ihre fachlichen Kenntnisse und Erfahrungen mit DV anzuwenden lernten. Von diesem Ausbau der beruflichen Qualifikation hänge es stark ab, ob die negativen Effekte der Computerisierung schwächer oder krasser ins Bild rückten, betonte Rürup, der vor Ausbildungslücken in den kommenden Jahren warnte.

Fast die Hälfte aller Arbeitsplätze wird sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren grundlegend ändern, erläuterte der Wirtschaftsprofessor; unbekannt sei nur, ob de Reise in Richtung Monotonie oder, "Job Enrichment" gehe. Rürup skizzierte das drohende Bild einer Polarisierung bei der es durch Einführung und Erweiterung der Datenverarbeitung zu der Situation komme, daß einigen wenigen Gewinnern (DV-Fachkräften und "kurzfristigen" Rechnerbenutzern) die Mehrheit der Verlierer gegenüberstehe, denen kaum mehr als Streß, Monotonie und Isolation an ihrem Terminal-Dauerarbeitsplatz bleibe.

Rürup wies dazu warnend auf die Auswüchse des Taylorismus hin und unterstrich, niemand könne für eine erneut in diese verhängisvolle Richtung abtriftende Entwicklung irgendwelche Sachzwänge verantwortlich machen. Wenn die Datenverarbeitung eines Betriebs hinsichtlich der Humanität der Arbeitsbedingungen im argen liege, so sei dies ganz überwiegend auf die gegebene Betriebsorganisation zurückzuführen.