Intranet-Zwischenbilanz/Kostenvergleiche mit Groupware sind Milchmädchenrechnungen

Professionelle Intranets sind alles andere als Low-Budget-Projekte

04.07.1997

Intranets haben den Vorteil, daß Implementierungen Schritt für Schritt erfolgen können. Es sind meist keine grundsätzlichen Änderungen der bestehenden Architekturen nötig, Risiken und Kosten halten sich anfangs niedrig. Professionelle, groß angelegte Intranet-Projekte dagegen erfordern Planung, Struktur und vor allem verbesserte Softwarewerkzeuge.

Ein jetzt schon bestehendes Problem bei Anwendern zeigt klar: Viele Abteilungen haben in dieser frühen Phase der Nutzung unabhängig voneinander Intranet-Server eingerichtet. Einen vollständigen Überblick darüber, was wo entwickelt und gespeichert wurde, gibt es dabei selten.

So werden Daten, zum Beispiel Adreßbücher, doppelt bis dreifach gehalten und dennoch sind sie unvollständig und nicht auf dem aktuellen Stand. Es fehlen Strukturen, übergeordnete Seiten, Verzeichnisse und Kategorien, die eine gezielte Suche möglich machen. Entweder nutzt der Anwender seine "Geheimtips" auf gute Datenquellen, oder er holt zum technischen Rundumschlag aus und durchsucht per Volltextsuche alle Intranet-Fundi der Firma nach einer Anschrift.

Bei aller Einfachheit der Intranet-Technik ist es ein Irrtum zu glauben, daß effiziente Nutzung zum Nulltarif möglich sei.

Die Universitäten bedienen sich der Internet- beziehungsweise Intranet-Technik schon länger und umfassender als dies bis jetzt bei vielen industriellen Anwendern der Fall ist. Sie hatten daher genügend Gelegenheit, sich mit den Problemen vertraut zu machen.

Hermann Maurer, Professor an der TU Graz, beschreibt seine Erfahrung so: "Werden große Datenmengen auf einfachen Web-Servern gehalten, kann das zur Verzweiflung führen. Der Katzenjammer kommt mit Sicherheit: spätestens dann, wenn niemand mehr weiß, was eigentlich auf dem Server verfügbar ist. Dasselbe geschieht, wenn unbekannt ist, welche Informationen inzwischen veraltet sind, oder viele Links nicht mehr funktionieren, weil die Zieldokumente inzwischen verschwunden sind oder geändert wurden."

Das Risiko, daß ein Link ins Leere geht, besteht erst recht dann, wenn damit Inhalte verschiedener Server miteinander verbunden sind.

Schließlich weiß niemand mehr, von wo aus überall Verweise auf eine Seite vorkommen. Einfache WWW-Server geben solche Informationen nicht her.

Technisch gesehen liegt die Ursache des Blackout darin, daß die bisher häufig verwendeten WWW-Server nur die HTML-Seiten speichern. Es handelt sich dabei im Prinzip um relativ "unintelligente" File-Server.

Damit sich aber große Intranet-Angebote professionell verwalten lassen, müssen zusammen mit jeder HTML-Seite Zusatzinformationen verarbeitet werden. Dazu zählen der Verfasser, Zugriffsberechtigungen zum Lesen, Ändern oder Löschen der Information, Erstellungs-, Eröffnungs- und Verfallsdatum sowie Angaben über die Hyperlinks.

An der Grazer TU hat man indes eine Lösung gefunden. Es wurde ein WWW-Server entwickelt, der all diese Informationen zusammen mit den Seiteninhalten in einer Datenbank speichert. Unter dem Namen "Hyper-G" ist diese Lösung bei Insidern bekannt. Inzwischen ist diese Technik als Softwarewerkzeug "Hyperwave" auf dem Markt. Sie erhielt auf der CeBIT 1997 den "Byte-Award" als bestes Messeprodukt.

Ein anderes klassisches Werkzeug, um Ordnung in Informationen zu bringen, ist Lotus Notes. Anwender der Groupware erklären immer wieder mit Nachdruck, daß aus ihrer Sicht einfache Intranet-Server bisheriger Prägung für sie ein Rückschritt seien. Schließlich stellt Notes Möglichkeiten zur Verschlagwortung und zur Kategorisierung von Dokumenten zur Verfügung. Inhalte lassen sich in Archiven mit verschiedenen Sortier- und Suchmöglichkeiten speichern.

Mit dem Domino-Server öffnet der Hersteller das System für Intranets. Nach außen hin unterstützt es die HTTP- und HTML-Formate. Anwender können daher in diesem Fall auf Notes-Clients verzichten und nur mit Web-Browsern auf die Lotus-Server zugreifen. Auf diese Weise kombinieren sie die Vorteile von Groupware und Intranet.

Der große Vorzug von Intranets sei hier nochmals kurz ins Gedächtnis gerufen: Sie nutzen die Verbreitung von Internet-Standards. Mit dem Browser an jedem Arbeitsplatz entsteht ein ausgesprochen einfach zu bedienendes, preiswertes und universelles Terminal, das außerdem für jede gängige Hardwareplattform verfügbar ist.

Anwender, die sich also bereits für Notes entschieden haben, sind zunächst einen deutlichen Schritt voraus. Gleichwohl sind bisher nur relativ wenige Fälle bekannt, in denen ein Notes- beziehungsweise Dominio-Server neu eingeführt wurde, um Intranets mit Intelligenz auszustatten.

Für manche Anwender sind die Lizenzkosten ein Hindernis. Dies ist ein zutreffendes Argument, vergleicht man die Groupware mit Public-Domain-Web-Software. Es zieht aber nicht mehr, wenn für Intranets ab einer gewissen Größenordnung professionelle Datenhaltungswerkzeuge notwenig werden. Eine emotionale Komponente spielt wohl eine ebenso große Rolle: Anwender bewerten Notes häufig als "proprietär", die Zugehörigkeit von Lotus zu IBM hat diesen negativen Beigeschmack noch verstärkt.

Gefragt sind daher "reine" Intranet-Werkzeuge, und entsprechend versuchen Anbieter, ihre Produkte zu profilieren. Zu den neuen und schon etwas bekannteren zählen die Workflow- und Verwaltungs-Tools "Livelink" von Opentext oder das Web-Management "Dynabase" von Inso. Von einem etablierten, gut einschätzbaren Angebot kann aber bei allen neuen Systemen bisher kaum die Rede sein.

Auch die Anbieter von Electronic-Commerce-Software haben ihr Faible für das Intranet entdeckt. Ottmar Schipper, Marketing-Direktor von Broadvision, schildert den Lösungsansatz seines Produkts im Intranet so: "Der Ersteller von Inhalten wählt die Kategorien aus: Wer braucht diese Information? Dann erhalten all diejenigen, die entsprechend klassifiziert wurden, bei jedem weiteren Zugriff eine individuell erstellte Homepage mit Hinweisen auf Informationen, die für sie besonders relevant sein könnten."

Gesteuerte Informationsversorgung könnte man dieses Konzept nennen. Außerdem leistet es, was viele Internet-Promotoren anstreben: Zum "Pull", dem vom Anwender ausgehenden Zugriff auf Informationen, tritt eine "Push"-Komponente, man kann dem Anwender etwas auf den Desktop "schieben". Diese Methode kommt auch bei Software-Updates zum Einsatz.

Die Anwender sind inzwischen sehr skeptisch gegenüber vollmundigen Versprechen auf Anbieterseite. Der Begriff Intranet sei nichts anderes als das Schlagwort einer Marketing-Kampagne, lautet eine weit verbreitete Kritik. Tatsächlich sind es aber vor allem IT-Anbieter, die bisher mit flächendeckenden Intranet-Installationen umfassende Einsatzerfahrung gesammelt haben und - aus naheliegenden Gründen - darüber berichten.

Jedoch ist der Funke auch bei einigen Anwendern bereits übergesprungen. Besonders große Konzerne, High-Tech-Unternehmen mit hohem Kommunikationsbedarf (zum Beispiel Chemiekonzerne) oder Firmen, die auf viele Standorte verteilt sind (beispielsweise in der Automobilherstellung ein Umfeld aus Lieferanten, Partnern und Kunden), haben begonnen, solche Netze einzusetzen.

Der Nutzen kann darin liegen, daß sich Aufgaben effizienter erledigen lassen. Wenn ein forschungsorientiertes Unternehmen durch verbesserte interne Kommunikation schneller neue Produkte entwickelt und/oder damit schneller am Markt ist, entstehen Wettbewerbsvorteile. Ebenso profitieren vertriebsorientierte Unternehmen, die mit leistungsstarken Angeboten aufwarten, da Intranets die erforderlichen, bereichsübergreifenden Informationen liefern.

Jedoch sind durch Intranets gewonnene Marktanteile oder Aufträge schwer nachzuweisen. Präzisere Aussagen sind erst mög-lich, wenn es um Einsparungen bei den internen Transaktionskosten geht.

"Wir konnten erhebliche Kosteneinsparungen ausmachen, die durch den Einsatz eines flächendeckenden Intranets entstanden sind. Software und gedruckte Dokumentation wird nicht mehr herkömmlich an die Arbeitsplätze transportiert. Statt dessen stehen sie via Intranet zur Verfügung", berichtet Jürgen Steiner, Senior Consultant bei Siemens Business Services, die für Siemens-Nixdorf Informationssysteme (SNI) das Intranet eingerichtet hat und betreibt. "Bei 25000 beteiligten Mitarbeitern erreichen wir damit Einsparungen von fünf Millionen Mark pro Jahr."

Aber der Berater warnt auch vor möglichen Rückschlägen beim Aufbau von Intranets: "Der Mehrwert entsteht erst dann vollständig, wenn die Geschäftsziele, die Geschäftsprozesse und die Intranet-Technik übereinstimmen. Weil zu diesem Zweck das technische mit dem organisatorischen Know-how zu verbinden ist, hinkt die Anwendungspraxis den verfügbaren Lösungen oftmals hinterher", so Steiner.

Tatsächlich gehen einige Großunternehmen in Deutschland den Intranet-Einsatz jetzt sehr systematisch an. Es wird untersucht, welche Prozesse für das Unternehmen wichtig sind und wo neue Formen der Kommunika- tion zu Verbesserungen führen können. Der mögliche Nutzen ist abzuschätzen, dann folgt die Analyse, welche Kommunikationsarchitektur prinzipiell geeignet ist, diese Prozesse zu unterstützen.

Außerdem ist es wichtig, vor einer Einführung die bisherige Technikstrategie zu betrachten. Welche Kommunikationssysteme, Standards, Formate, Protokolle befinden sich im Einsatz, und welche Grundsatzentscheidungen wurden bereits getroffen? Was kostet eine Migration, wie teuer kommt die Implementierung neuer Werkzeuge? Erst dann läßt sich entscheiden, welche Elemente der bestehenden Lösungen auf Intranet umgestellt werden und welche neuen Anwendungen in Frage kommen.

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Intranets können vielfach von Vorteil sein. Sie sind aber keine neue Philosophie, die verlangt, alte Systeme über Bord zu werfen. Der Einstieg ist einfach und preiswert. Manager übersehen jedoch häufig, daß ein professioneller Intranet-Ausbau Organisation und Investitionen erfordert. Dazu gehört auch der Einsatz von Software, um Intranets zu verwalten. Erste Ansätze hierfür zeichnen sich bereits ab. Gleichwohl sollten von Anfang an Schwierigkeiten beim Aufbau von Intranets mit einkalkuliert werden.

*Dieter Sinn ist Consultant in München.