Softwareentwickler trafen sich zur Structo'82

Produktivitätserhöhung für die Branche lebenswichtig

17.12.1982

Knapp hundert Teilnehmer hörten auf der Structo '82 vom 1. bis 3.12. in Frankfurt interessante, teils recht unkonventionelle, teils auch altbekannte Ansätze zur Verbesserung der Produktivität in der Softwareentwicklung. Doch die Structo-Pilger gehören ohnedies zur "Avant-Garde" der DV-Szene. Das Thema ist offensichtlich für die Masse der Unternehmen, DV-Manager und Programmierer noch tabu.

Das Control Data Institut (CDI) hat mit der diesjährigen Veranstaltung erstmals in der Bundesrepublik Deutschland eine umfassende und geschlossene Darstellung des brisanten Themas "Produktivitätserhöhung in der Softwareerstellung" präsentiert. Dies allein ist schon ein Erfolg für sich, bedenkt man, daß die ehrgeizige Gesellschaft für Informatik (GI) eine für März '83 geplante Fachtagung zum gleichen Thema mangels Referenten absagen mußte.

In dem vom CDI präsentierten Mix aus bewährten (Faßbender, Thurner) und international bekannten Referenten (Tom Gilb und R. C. Kendall) konnte sich auch der Nachwuchs (Rudolf van Megen, Helmut Balzert) gut behaupten.

Einigkeit herrschte im Tenor der Veranstaltung, sowohl bei den Referenten als auch bei den Hörern. Die Initiative zur Produktivitätssteigerung muß und kann nur vom Management ausgehen; Technik allein, seien es Methoden oder Tools, reichten nicht. Seit mehr als zehn Jahren gibt es rationelle Verfahren und Werkzeuge zur Softwareentwicklung; nur von einer breiten Akzeptanz auf dem Markt kann nicht die Rede sein.

Gefahr für die Programmierer

Gleich zur Eröffnung konfrontierte Wolfgang Faßbender (Diebold Deutschland) die Kongreßteilnehmer mit der Herausforderung zu entschlossenem Handeln: "Es geht ums Überleben." Die bisher gezeigte Abstinenz in Sachen Methoden und Tools ist heute nicht mehr eine Frage des Geschmacks, sondern zentrale Überlebensfrage für alle. Von der Unternehmensspitze bis zum Programmierer besteht eine Abhängigkeit von der Qualität und Quantität der Informationsverarbeitung.

Nicht die Softwaretools stellen eine Gefahr für die Arbeitsplätze in den DV-Abteilungen dar, sondern die Programmierer, die diese Werkzeuge nicht nutzen! Fast alle Referenten gaben Beispiele und Erfahrungen aus Werkzeuganwendungen wieder, die für sich sprechen: Schon beim allerersten, auch bei einem kleinen Projekt, beweisen Softwaretools ihre Wirkung: Das Ergebnis ist vielleicht beim ersten Mal nicht billiger, dafür in jedem Falle aber besser als ohne Werkzeug.

Die bisher häufig strapazierten Ausreden: "Es gibt keine Werkzeuge" und (bezüglich methodischem Vorgehen) "das haben wir schon immer so gemacht" gelten nicht mehr. In seinem Vortrag präsentierte Dr. Helmut Balzert Softwareentwicklungssysteme und

-umgebungen (Environments) ß la carte: In Fleißarbeit hat er alles zusammengetragen, was es in der Welt an theoretischen und praktischen Ansätzen zur (besseren) Softwareentwicklung gibt.

Neues von drüben

Mit recht unkonventionellen Denkansätzen überraschte Robert C. Kendall die Kongreßteilnehmer. Die Produktivität von Softwareentwicklern läßt sich ganz einfach dadurch erheblich steigern, daß sie Programme, die die Anwender selbst schreiben können, nicht erstellen. Als Auswahl- und Beurteilungskriterien für diese Programme nannte Kendall die Lebensdauer und die Nutzungshäufigkeit der Programme. Nach seinen Beobachtungen läßt sich die Kapazität der Programmierer dadurch um 50 Prozent erhöhen, daß alle Programme, die eine Lebenserwartung unter fünf Monaten haben, nicht von der Programmierabteilung erstellt werden.

Wie scharf Kendall beobachtet, zeigte noch ein anderes Beispiel: Eine Analyse ergab, daß 70 Prozent aller Anweisungen (Statements), die zu einem Programm erstellt wurden, nur dazu dienen, dem Computer zu sagen, was er mit dem Programm tun soll, und nur 30 Prozent die eigentliche Verarbeitungslogik beinhalten. Werkzeuge können dieses krasse Mißverhältnis entscheidend verbessern, insbesondere dann, wenn der Anwender in einfachen Fällen selbst in der Lage ist, die erforderlichen Anweisungen an den Computer zu geben.

Noch unkonventioneller argumentierte Tom Gilb, Technologie-Freaks seit Jahren bekannt durch die spitze Zunge, die er in seinen Veröffentlichungen übt. Gilb richtet sich in erster Linie an das verantwortliche Management und zeigt - gekonnt und manchmal auch satirisch - dessen Schwächen auf. Dadurch entsteht bei den "Betroffenen" eine Unsicherheit bei der Wertung seiner Aussagen. Es mag an der ernsten Natur der deutschen Mentalität liegen, daß diese unkonventionellen Denkansätze nicht ernst genommen werden.

*Werner Schmid ist Vorstand des Softwaretest e.V., Ulm