Fertigungsorientiertes Tandemsystem

Produktionsplanung und Steuerung auf fehlertoleranten Systemen

02.10.1992

Tandem ist bekannt als Marktführer fehlertoleranter Rechensysteme. Reden machten die Kalifornier von sich, als sie im vergangenen Herbst ihr komplettes Angebot vom Toprechner "Nonstop Cyclone", über die Midrangemodelle "Nonstop CLX" bis zu den Unixsystemen "Integrity" von der CISC- auf die Mips- RISC-Architektur von Mips umstellten. Im nachfolgenden Artikel beschreibt Fritz Jörn* den Einsatz von Tandemrechnern bei Audi.

Das von ursprünglich Tandem-unerfahrenen Audi-Mitarbeitern entwickelte WPS-System (Werkzeugplanung und Steuerung) ist ein flexibles Online-System, in das Audi seit 1985 unter Einbezug der Inbetriebnahme 25 Mannjahre und etwa 7,5 Millionen Mark investierte. Als primär fertigungsorientiertes On- line-Projekt wurde es nach einer Voruntersuchung 1983 im Juni 1985 gestartet und lief im Januar 1987 in Ingolstadt mit der Einsatzstufe Null an. Bereits im November 1987 ging es in Neckarsulm in Betrieb. Im Sommer 1991 waren schätzungsweise 95 Prozent aller gesteckten Ziele erreicht.

Schnittstellen bestehen zur Personalverwaltung und Zeiterfassung, damit die geleisteten Arbeiten zeitgerecht vergütet werden können, und zum Finanzwesen, um die Kosten unter Kontrolle zu halten. WPS steuert den logistischen Aufbau der Werkstatt und zeigt der Arbeitsvorbereitung anstehende Arbeitsvorgänge auf. Es erstellt Arbeitspläne, die ausgedruckt die Werkstücke begleiten und über Strichcodes (Barcodes) an der aktuellen Verarbeitungsstelle wieder eingelesen werden. Ein Plan beschreibt die erforderlichen Arbeitsgänge und dient als Begleit- und Erfassungsbeleg der Arbeit.

WPS überwacht vornehmlich die Kapazitätsauslastung, da das stapelverarbeitungsorientierte Vorgängersystem "Bedas" auf Grund einer "Unmenge von Listen" nur mehr unrichtige Kapazitätsaussagen machen konnte und deshalb schon 1980 vom Netz genommen wurde. WPS ist aber auch die strukturierte Ablauforganisation dieses Bereichs, bringt die nötigen positiven Normen und Regeln in das kreative Feld des Werkzeugbaus und beschleunigt dabei den Ablauf der Betriebsmittelerstellung: Sie hat sich, auch durch flankierende Maßnahmen, von etwa 18 Monaten auf zur Zeit 16 Monate reduziert.

Von CISC- Architekturen auf RISC umgestellt

Das zugehörende Computersystem, das Edmund Koch, Leiter der Fachgruppe Systemplanung indirekte Fertigung, seit Anbeginn "maßlos positiv überrascht hat", ist ein Tandem Nonstop-System. Zur Jahreswende 1991/92 wurde es von einer im April 1987 installierten EXT25 auf ein Modell Cyclon/R umgestellt, das nicht mehr mit CISC-, sondern mit RISC-Technologie arbeitet. Von den 280 Programmen brauchte dabei kein einziges umgestellt zu werden. In der Nacht vom 19. auf den 20. Dezember 1991 wurden 80 Geräte datentechnisch neu angebunden und 600 MB Anwendungsdaten reorganisiert.

Für die Reorganisation von jeweils 125 MB benötigte die neue Cyclon/R mit vier parallelen Prozessoren und neuem 4500er-Plattenspeicher nur rund eine halbe Stunde, wo zuvor vier Stunden auf der EXT25 nötig gewesen waren. Besonders wichtig für den sicheren Betrieb sind nicht nur die bekannten Eigenschaften von Tandem, sondern auch TMF, die "Transaction Monitoring Facility, die als betriebssystemnahe Tandem-Software jede Transaktion begleitet und sichert. Die Programme selbst sind in Cobol II geschrieben. In Zukunft möchten die Audi-Werke, die das im Werk Ingolstadt seit 1987 eine weitere, große Tandem-Anlage (VLX, die 1989/90 aus TXP hervorging) unter anderem für WPS und zur Zeiterfassung für 27 000 Mitarbeiter nutzt, ein "Marion" genanntes "Mitarbeiter-Informationssystem" verwirklichen. Es soll dank der Online-Fähigkeiten der Tandem-Anlage unternehmenswichtige Personaldaten nicht nur im Herzen der Personalabteilungen, sondern auch vor Ort für betriebliche Führungskräfte wie Meister und Gruppenmeister zur Verfügung stellen, um halboffizielle Aufzeichnungen persönlicher Daten an allen möglichen Stellen zu verhindern.

WPS ist mehr als eine gewöhnliche PPS

Für die immer kürzer werdenden Modellzyklen setzt parallel zur Fahrzeugkonstruktion bereits die Fertigungsplanung ein Dazu gehört als wichtiger Faktor die Betriebsmittelkonstruktion und -fertigung: der Werkzeugbau. Denn ohne ganz spezielle Werkzeuge geht in der späteren Serienfertigung nichts.

Erst wenn der Betriebsmittelbau die Blechverformungswerkzeuge, also die Preßformen, die Vorrichtungen für Anlagen und Maschinen und schließlich die Prüf- und Meßmittel zur Verfügung stellt, kann die Serienproduktion beginnen.

WPS ist dabei mehr als eine gewöhnliche Produktionsplanung und -steuerung, wie man sie aus klassischen Fertigungsbereichen kennt: Audi WPS muß mit minimalen Vorgaben einmalige Produkte, eben die Werkzeuge und nicht das Serienendprodukt, wirtschaftlich bauen helfen.

Dabei ist größte Flexibilität nötig die Beschäftigten im Werkzeugbau sind die bestqualifizierten, die eigenständigsten Facharbeiter im Prozeß. Edmund Koch schätzt, daß die Vorgaben für Betriebsmittel zur Zeit nur zu etwa achtzig Prozent präzise sind.

Der Rest kommt aus der Erfahrung der Arbeitsvorbereiter und Werkzeugbauer, etwa wie bestimmte Strukturen zu erarbeiten sind, wie Befestigungen aussehen müssen, und schließlich wie man mißt, was gerade erst geformt wurde.

Vollständig gesicherte Stücklisten und Refa- errechnete Vorgabezeiten gibt es im Werkzeugbau noch nicht. Nicht einmal alle Einzelteile sind hier voll vermaßt, handelt es sich doch meist um den Bau von Unikaten: Einzel und Einmalfertigung ist gefragt! Für die Planung und Steuerung dieser äußerst anspruchsvollen Fertigung setzt Audi seit 1986 in Ingolstadt und seit 1987 in Neckarsulm Computer von Tandem ein und hat dabei kurz vor der Jahreswende 1991/92 in Neckarsulm als einer der ersten Anwender in Europa auf die neuen RlSC Systeme von Tandem umgestellt.

Für diesen Bereich gab es freilich kein fertiges DV-System Dabei dient der Werkzeugbau allen sechs oft unterschiedlichen Produktionslinien bei Audi: den Modellen Audi 80, Coupe, Cabriolet, Audi 100, Audi 100 Avant und dem High-Tech Audi V8. Und Audi bringt im Durchschnitt jedes Jahr ein neues Modell auf den Markt, was wiederum Arbeit für den Werkzeugbau bedeutet.

In diesem ablaufzeitkritischen Bereich kann nur DV planen und steuern: Während Mitte 1980 bei der Einführung eines neuen Modells noch 21 Monate für den Werkzeugbau vergingen, braucht man, heute für weniger als 15 Monate.

*Fritz Jörn ist freier Journalist in Frankfurt am Main