CAT '97: Ein Plädoyer für PDM-Lösungen

Produktdaten-Management fängt PPS-Schwächen auf

06.06.1997

Stücklisten und Stammdaten bilden den zentralen Informationsbestand eines Fertigungsbetriebs. Sie entstehen beim Konstrukteur in der Produktentwicklung und gelangen über lokale Schnittstellen zum Produktionsplanungs- und -steuerungssystem (PPS), wo sie für die Auftragsabwicklung weiterverwendet werden. Die Redundanz der Daten im technischen und kommerziellen Umfeld ist damit unvermeidbar. Daß Produktdaten-Management hier ein geeignetes Engineering-Framework bietet, um die mehrfach gehaltenen Informationen sinnvoll zu verwalten, wurde auf dem von der Messe Stuttgart und vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) veranstalteten CAT-Kongreß nicht angezweifelt. Zur Diskussion stand, wo diese PDM-Funktionen am besten angesiedelt werden.

Die drei Alternativen lauten: PDM-Module im PPS-System, als Bestandteil der CAD-Software oder eine Stand-alone-Lösung für PDM. Über Vor- und Nachteile dieser Varianten berichtete der Karlsruher PDM-Anbieter Eigner + Partner GmbH, an dem SAP kürzlich eine Minderheitsbeteiligung erworben hat. Wer demnach über größere Entwicklungsabteilungen mit ausgeprägtem Änderungs- und Freigabewesen verfügt sowie ein flexibles Konfigurations-Management benötigt, stößt beispielsweise mit den PDM-Funktionen einer PPS schnell an die Grenzen seiner Software. Betroffen davon sind die meisten Betriebe im Anlagen- und Maschinenbau sowie in der Automobilindustrie.

Das derzeitige Problem zahlreicher PPS-Systeme verdeutlichten mehrere Kongreßredner am Beispiel R/3, dessen PDM-Funktionalität erst kürzlich von CSC-Ploenzke im Rahmen eines Benchmark-Tests untersucht und als Engineering-ungeeignet eingestuft wurde (CW Nr.17 vom 25. April 1997, S. 15). Das große Manko von R/3, so war auf der CAT zu hören, liegt in der generell fehlenden Versionsverwaltung für Materialstämme.

Ändert sich beispielsweise eine Produktstruktur aufgrund von Engpässen bei der Materiallieferung oder der Verwendung eines anderen Bauteils, dann wird die aus der Konstruktion kommende Stückliste in der Produktion zwangsläufig geändert. In R/3 wird der alte Auftrag dabei überschrieben, so daß keine Rückschlüsse auf ältere Stücklistenversionen, die damit zusammenhängenden Bearbeiter, Prüf- und Freigabeprozesse sowie Dokumente möglich sind.

Ein häufig verwendeter Behelf in dieser Situation ist die Vergabe einer komplett neuen Nummer, in deren Code Hinweise auf ältere, ähnlich gelagerte Aufträge enthalten sind. Dieser Trick führt jedoch zu einem neuen Materialstamm und im Fall häufig wechselnder Produktkonfigurationen zu komplexen Datenstrukturen.

Weshalb sich SAP schwertut, eine Versionsverwaltung und ein flexibles Konfigurations-Management einzuführen, liegt nicht zuletzt daran, daß der Materialstamm als zentrales Element in nahezu jedem Modul der Auftragsbearbeitung verankert ist. Hier zeigt sich die Kehrseite der tiefen R/3-Integration. Die PDM-Funktionen innerhalb der PPS reichen deshalb zumindest im momentanen Stadium bestenfalls für Großserienfertiger, so der Tenor auf der CAT.

Für die zweite Alternative, die Nutzung von PDM-Features innerhalb des CAD-Systems, zeichnet sich zwar ein Trend ab, aber auch hier ist der Einsatzbereich eng eingegrenzt und beschränkt sich ausschließlich auf Konstruktionsabteilungen.

Erschwerend kommt hinzu, daß die meisten von den CAD-Herstellern integrierten PDM-Funktionen dann versagen, wenn es wie bei Zulieferern gilt, die Dokumente eines anderen CAD-Systems einzubinden, oder wenn im Sinne einer kosten- und montagegerechten Konstruktion auf Informationen der Fertigung zugegriffen werden muß.

Kontrollierter Datenfluß

Für die meisten Fertiger stellt damit ein Stand-alone-PDM, das eng an den CAx- und PPS-Bereich gekoppelt ist, den einzig gangbaren Weg dar, um einen kontrollierten Informationsfluß zwischen Technik und Produktion zu erreichen. Wie eine derartige Systemarchitektur mit den Inkonsistenzen redundanter Daten aufräumt, erläuterte Robert Zetzl von der Münchner Firma Siemens Business Services (SBS). Die SNI- und Siemens-Tochter war an einem PDM-Projekt beteiligt, bei dem SNI die vom eigenen Haus angebotenen Systeme R/3 und die PDM-Lösung "Metaphase" für den internen Einsatz an den Standorten Paderborn, Berlin und Singapur konfiguriert hat.

Zentraler Bestandteil des Projekts war die von SNI entwickelte SAP-Metaphase-Schnittstelle, die mittlerweile in Version 2.0 vorliegt. Allerdings, so die Botschaft Zetzls, müsse auch eine StandardSchnittstelle individuell konfiguriert werden, da sie weitgehend an Prozesse angepaßte Applikationen verbindet. Ein Customizing sei für das Interface unerläßlich, da außer Stammdaten und Stücklisten auch Funktionen zur Pflege und Suche der Informationen sowie organisatorische Prozesse wie Konfigurationen, Änderungen und Freigaben ausgetauscht würden.

Triebfeder der SNI-Entwicklung war neben dem eigenen Projekt der Heizungsbauer Danfoss, bei dem eine Metaphase-Anbindung inklusive Änderungswesen an R/2 seit Mitte vergangenen Jahres produktiv ist. Ebenso verfügt die Siemens Kraftwerksunion seit Anfang des Jahres über eine Kopplung des auf Metaphase basierenden Intergraph-Produkts "DM2" an die SAP-Standardsoftware. Weitere Pilotkunden sind Dasa, AEG und der amerikanische Batterienhersteller Eveready.

Das Prinzip der SNI-Konfiguration besteht darin, daß die Stücklisten in R/3 nicht unabhängig vom PDM-System geändert werden können. Zur konsistenten Datenführung wurden die Prozesse dahingehend neu definiert, daß PDM bezüglich der Stücklisten die Verwaltungshoheit erhält. Diese Architektur erlaubt zwei Arbeitsweisen:

- Eine Stückliste läßt sich über einen "Antrag" einzig im PDM-System ändern. Der aktuelle Ausgabestand wird dann an R/3 weitergeleitet.

- Eine Stückliste wird in R/3 neu aufbereitet, die Änderung selbst jedoch vom PDM-System vorgenommen, von wo das Ergebnis wieder zurück an R/3 geschickt wird.

Diese Verfahren sind laut Zetzl nur praktikabel, wenn ein Unternehmen derartige Prozeßgedanken zuläßt: Ad-hoc-Änderungen erlaubt das Konzept nicht mehr.

Eine vergleichbare Architektur hat auch der Großpressenhersteller Müller Weingarten AG an seinen Standorten Weingarten und Esslingen eingeführt und auf der CAT vorgestellt. Der Auftragsfertiger mit einem hohen Konstruktionsanteil wechselt derzeit von R/2 nach R/3 und setzt als PDM-Software das Produkt "Cadim/ EDB" von Eigner + Partner ein. Die PDM-Lösung ersetzt ein selbstgestricktes technisches Informationssystem (TIS) und wurde als "dominante" Applikation SAP vorgeschaltet, so daß sich Stammdaten zwar redundant halten, aber nur in Cadim ändern lassen. Die im Laufe eines Auftrags "wachsenden Stücklisten" werden nun über die einheitliche Oberfläche der PDM-Software bearbeitet, von wo aus der Anwender in seine jeweils benötigten Applikationen gelangt.

Das Projekt dauerte etwas über ein Jahr und wurde nur dadurch weiter hinausgezögert, daß die IT-Abteilung selbständig versuchte, für zeitkritische Aufträge eine Online-Kopplung zum R/2-Host via Common Programming Interface for Communications (CPIC) herzustellen. Es habe sich derart schwierig gestaltet, die drei beteiligten Systemanbieter (PPS, PDM und Netzwerk) zu koordinieren, daß man diese Aufgabe künftig einem externen Dienstleister überlassen würde, resümierte Matthias Schmich, DV-Leiter bei Müller Weingarten.

Beachtenswerte Sparpotentiale

Bezüglich des SNI-Projektaufwands berichtete SBS-Mann Zetzl, daß etwa sechs Mannjahre benötigt wurden. Der Kosten-Nutzen-Effekt lasse sich nur schwer quantifizieren, die Rede sei jedoch von um 30 bis 35 Prozent schnelleren Entwicklungsprozessen. Ein Vorteil der PDM-PPS-Kopplung liege vor allem in der Vermeidung zeitraubender Mehrfacherfassungen. Öfters als man denke, so die Erfahrung des Experten, komme es heute aufgrund fehlender Schnittstellen noch vor, daß Stücklisten ausgedruckt würden, um dann in einer anderen Abteilung neu erfaßt zu werden. Das Potential der Zeitreduzierung soll hier im Bereich von 70 Prozent liegen.

Derartige Kosten- und Zeiteinsparungen sowie eine konsistente Datenhaltung gehören zu den obersten Zielen von PDM-Projekten, wie die Industrieumfrage einer vom IAO auf der CAT vorgestellten Studie ergab (siehe Kasten). Allerdings, so ein weiteres Ergebnis der Umfrage, läßt das PDM-Engagement der Industrie noch zu wünschen übrig, da die meisten Unternehmen am Nutzen der Systeme zweifeln. Dort, wo die Potentiale erkannt werden, stellen nicht wenige Betriebe die PDM-Einführung zugunsten anderer Projekte wie der Ablösung kommerzieller Systeme (PPS) hintan. Die prozeßorientierte Integration aller Unternehmensbereiche kommt dabei allerdings zu kurz.

Frank Marcial, ehemals IAO-Mitarbeiter und jetzt Geschäftsführer der Stuttgarter Ergo GmbH, eines IT-Beratungsunternehmens der Jenoptik-Gruppe, geht deshalb noch einen Schritt weiter. Neben der PDM-Kopplung mit CAD und PPS sollte zusätzlich ein übergeordnetes Workflow-System mit Prozeßmodellierungsfunktionen eingeführt werden. Marcial hält es für wenig sinnvoll, wenn sich PDM-Lösungen künftig "ein wenig" in Richtung Workflow entwickeln, so wie dies bei CAD und PPS bezüglich integriertem PDM derzeit der Fall ist.

Die Werkzeuge müßten wie in dem von der Gartner Group propagierten "Best-in-Class"-Prinzip nach ihren Kernkompetenzen klar definiert werden. Ein übergeordnetes Workflow- und Modellierungs-Tool gebe Aufschluß über die sinnvolle Entwicklung von Schnittstellen und schaffe eine einheitliche Arbeitsumgebung beziehungsweise Kommunikationsstruktur.

PDM-Industrieumfrage

Die Vorteile des Kontrollinstruments "Produktdaten-Management" werden vom Fraunhofer-Institut (IAO) und Ploenzke schon seit mehreren Jahren beschrieben - dennoch gehört PDM bis jetzt eher zu den Exoten in der DV-Landschaft deutscher Fertigungsunternehmen. Die Ergebnisse einer IAO-Studie zeigen, daß bei lediglich 5,8 Prozent der Firmen Standard-PDM-Lösungen produktiv im Einsatz sind. Mit der Planung und Einführung sind immerhin 23,5 Prozent der Betriebe beschäftigt, während 70,7 Prozent aktuell noch keine Aktivitäten in dieser Hinsicht zeigen.

Als Gründe für das PDM-Desinteresse werden in erster Linie unzureichendes Know-how genannt, gefolgt von unklaren Nutzenpotentialen und einer zu geringen Tranzparenz der Wirtschaftlichkeit. Wer sich jedoch mit PDM beschäftigt, hat klare Vorstellungen von seinen Zielen: Zeit- und Kostenreduktion sowie aktueller konsistenter Datenbestand stehen an vorderster Stelle.

Ein aufschlußreiches Ergebnis der Befragung war auch, daß Anwender die CAD- und PPS-Schnittstellen zu den wichtigsten PDM-Funktionen kürten. Dies zeigt die Bedeutung, die das Thema PDM für ein Process-Re-Engineering birgt. Immerhin 41 Prozent der meist von den Konstruktionsabteilungen ausgelösten PDM-Projekte gingen mit einer Unternehmensreorganisation einher, entsprechend war das Management involviert. Als größte Hürden auf dem Weg der Einführung wurden die PPS-Kopplung (SAP war mit 39 Prozent das meistgenannte PPS-Produkt, auf Baan entfielen nur fünf Prozent) und die Abbildung der Unternehmensprozesse genannt.

PDM

Standardsoftware für das Produktdaten-Management (PDM) löst mittlerweile die bei Fertigern oft individuell aufgebauten technischen Informationssysteme (TIS) ab. Ziel ist es, mit Hilfe der neuen Pakete ein Engineering-Framework zu erstellen, das eine strukturierte und konsistente Verwaltung aller Daten und Prozesse ermöglicht. Im Gegensatz zu TIS spielt bei PDM der Faktor Zeit eine bedeutende Rolle. Das heißt, daß ein PDM-System sämtliche während eines Produktlebenszyklus anfallenden Informationen (von der Entstehung über die Produktion bis hin zur Wartung inklusive aller Modifikationen) kontrolliert und dokumentiert.