IT in der Prozessindustrie/Beispiel: Qualitäts-Management bei der Degussa-Hüls AG

Produkt und Materialbescheinigung gehören untrennbar zusammen

19.05.2000
Am Standort Wessling bei Köln betreibt die Degussa-Hüls AG eines der größten Chemiewerke des Unternehmens in Deutschland. Produziert werden dort Produkte, die bei Automobilzulieferern, dem Bergbau und der Galvanotechnik, im Pflanzenschutz oder auch in Waschmitteln verwendet werden. Joachim Wunsch* schildert, wie und womit der Qualitätsstandard der Produkte aufrecht erhalten wird.

In allen Industrien gewinnen Zulieferketten an Bedeutung. Anforderungen, die sich aus Kundenvorgaben, nationalen und internationalen Richtlinien und Gesetzen ergeben, machen in produzierenden Unternehmen - insbesondere in Laboratorien und der analytischen Qualitätssicherung - den Einsatz eines rechnergestützten Qualitäts-Management-Systems notwendig. Dies gilt für die Wareneingangsprüfung der Rohstoffe, Vormaterialien, Hilfs- und Zusatzstoffe, die Produktionsprüfung (inklusive der prozessbegleitenden) und Endprüfungen sowie für die klassischen Warenausgangsprüfungen.

Die Zeiten, in denen lediglich mit dem althergebrachten Laborbuch an jedem Analysegerät die erfassten Werte dokumentiert wurden, sind lange vorbei. Das Qualitäts-Management wird den Herausforderungen durch Mitbewerber und Kunden nur gerecht, wenn es die enge Zusammenarbeit unterschiedlicher Produktionsstufen unterstützt: dort, wo Zulieferketten zunehmend zusammenwachsen, kommt es auf Produkte an, die eine gleichbleibend hohe Qualität bieten. Dazu müssen Unternehmen erstens die entsprechenden organisatorischen Voraussetzungen schaffen und zweitens eine IT-Infrastruktur errichten, die sie bei der Einhaltung hoher Qualitätsstandards unterstützt. Ein zentraler Teil dieser informationstechnischen Rahmenbedingungen ist die Nutzung einer Qualitäts-Management-Software. Damit lassen sich mehrere Ziele verfolgen:

-Die Qualität der angelieferten Waren ist zu prüfen;

-eine gleichbleibend hohe Qualität der hergestellten Produkte ist sicher zu stellen und mit entsprechenden Prüfverfahren zu garantieren,

-die Waren, die ausgeliefert werden, sollen allgemein akzeptierten (Qualitäts-)Standards genügen.

In Wesseling produziert die Degussa-Hüls AG sowohl organische als auch anorganische Produkte. Im Wesentlichen sind dies gefällte Kieselsäuren, Blaupigmente, Methionin als Futtermitteladditiv, Produkte der Blausäurechemie sowie Acrylglas, das in diesem Werk im Bereich der Röhm GmbH hergestellt wird, die eine 100-prozentige Tochter der Degussa-Hüls AG ist. Bevor man sich schließlich in Wesseling für den Einsatz von "CAQ=Qsys Lims" der IBS AG aus Höhr-Grenzhausen entschied, wurde ein individuell programmiertes, auf dem Datenbank-Entwicklungssystem Dataflex basierendes Laborinformationssystem (Lims), genutzt.

Das mit Dataflex erstellte Lims deckte Teilbereiche der Laborarbeit ab, im Wesentlichen die reine Produktionskontrolle und die Erstellung von Prüfbescheinigungen. Im Zuge der Qualitätssicherung kamen weitere Bereiche wie die Wareneingangs- und -ausgangskontrolle dazu. Für die Aufgaben des Prüfmittel-Managements schrieben die verschiedenen Laboratorien selbst Anwendungen, beispielsweise in Excel oder Access. Dadurch entstanden Insellösungen mit hohen Datenredundanzen. Die Programme waren kaum zu pflegen; als Folge ergab sich eine spürbare Nachfrage nach einem System, das alle Anforderungen abdeckt.

Ein System für alle ChemiestandorteVon ursprünglich mehr als einem Dutzend Produkten kamen schließlich zwei in die engere Wahl: "Unilab" von Compex, einem Anbieter aus Belgien, und CAQ=Qsys Lims. Gesucht wurde ein Qualitäts-Management-System, das an allen Degussa-Chemiestandorten zum Einsatz kommen sollte. Unilab wird heute in Belgien genutzt, an den anderen Degussa-Produktionsorten kommt CAQ=Qsys Lims zum Einsatz. Für diese Software entschied sich das Unternehmen erstens wegen des Leistungsspektrums für den Anwendungsbereich Qualitätssicherung sowie zweitens wegen der standardmäßig integrierten statistischen Funktionen und der zugehörigen grafischen Darstellungen.

Die am Degussa-Standort vorhandenen 60 so genannten "Floating"-Lizenzen der Qualitäts-Management-Software werden von gut doppelt so vielen Anwendern benutzt. Sie speichern die in Proben beim Wareneingang, der Produktion und beim Warenausgang ermittelten Werte in einer unter Windows NT arbeitenden Oracle-Datenbank. Dabei verfügt jeder Produktionsbetrieb am Standort über ein dezentrales Labor.

In der Datenbank sind die einzelnen Betriebslaboratorien voneinander abgeschottet, können jedoch entsprechend fachlichen Anforderungen im lesenden Zugriff die Daten anderer Laboratorien einsehen.

Das Laborinformationssystem wird beispielsweise tätig, wenn aufgrund eines Wareneingangs eine Probe gezogen wird. Je nach Labor kommen die benötigten Informationen aus verschiedenen Prüfplänen. In einem solchen Dokument sind die Kriterien aller qualitätsbezogenen Aktivitäten des Unternehmens zur Sicherstellung der Produkt- und Prozessgüte definiert. Umfangreiche Lieferanten-, Prozess- und Produktstrukturen erfordern im Vorfeld eine effektive Planung hinsichtlich Qualitätskontrollen und Güteprüfungen.

Eine zentrale Aufgabe des Qualitäts-Managements bei Degussa-Hüls ist die Erstellung von Materialbescheinigungen. Die benötigten Funktionen werden in der Qualitäts-Management-Software durch das Modul Zertifikate bereitgestellt. Für Automobilzulieferer gibt es in diesem Zusammenhang die Euronorm 10204. Dort sind verschiedene Arten von Materialbescheinigungen definiert. Das beginnt mit einem einfachen Datenblatt, auf dem die spezifizierten Werte enthalten sind, und reicht über repräsentative Ist-Werte einer Lieferung bis hin zu den an einer Lieferung selbst gemessenen Werte. Des Weiteren enthält die Bescheinigung Kundeninformationen: Wer ist der Empfänger der Ware? Wer bekommt dieses Qualitätsdokument? Welches Produkt wird geliefert? Welche Menge? Wie ist die Versandart? Welche Prüfungen wurden mit welchem Ergebnis durchgeführt? Die Kundendaten und Spezifikationswerte (Auftragsdaten) kommen aus SAP R/3, das Labor steuert die Ist-Daten bei und führt diese zu einem Ausdruck zusammen.

In Standardsoftware integrierbarDie Integrationsfähigkeit in betriebswirtschaftliche Standardsoftware wird damit zu einer wesentlichen Anforderung an das Qualitäts-Management. Der Datenaustausch mit dem bei Degussa-Hüls laufenden SAP R/3 erfolgt mit dem CAQ-Modul Netcom. Die wesentlichen Aufgaben einer solcherart integrierten Lösung sind die Vermeidung von Datenredundanz, der Austausch relevanter Auftragsdaten sowie Rückmeldungen an das ERP-System.

Fazit: In einer Vielzahl von Industrien, in denen die Zulieferketten zusammenwachsen, werden computergestützte Qualitäts-Management-Systeme unentbehrlich. Das Beispiel Degussa-Hüls verdeutlicht dies: Produkt und Materialbescheinigung im Sinne eines Qualitätszertifikats gehören für Kunden, etwa aus der Automobilzulieferindustrie, untrennbar zusammen. Das Qualitäts-Management, wie es Degussa-Hüls praktiziert, wird damit zu einem der entscheidenden Faktoren in der Logistikkette.

*Joachim Wunsch arbeitet als Systembetreuer WES-Informatik (Werksinformatik) bei der Degussa-Hüls AG in Wesseling bei Köln.

Das UnternehmenDie Degussa-Hüls AGist ein international agierender Chemiekonzern, der am 1. Februar 1999 aus der Verschmelzung der Degussa AG, Frankfurt am Main, und der Hüls AG, Marl, hervorging. Das im Dax notierte Unternehmen hat führende Weltmarktpositionen in mehr als 20 Produktbereichen; etwa 75 Prozent des Konzernumsatzes werden mit diesen Positionen erzielt.

Untergliedert ist das Unternehmen in 13 strategische Geschäftsfelder, die als Geschäftsbereiche oder selbständige Gesellschaften geführt werden.

Am Standort Wesseling ist Degussa seit 1905 aktiv. Das heutige Werk ist eines der größten Chemieunternehmen der Degussa-Hüls AG in Deutschland.

Ein Produktionsschwerpunkt ist Blausäure. Sie ist ein wichtiger Grundstoff für die Herstellung so unterschiedlicher Produkte wie Pflanzenschutzmittel, Aminosäuren oder Acrylglas.

Weitere Hauptprodukte und ihre Verwendung:

- Cyanurchlorid für Pflanzenschutzmittel, Natriumcyanid für den Bergbau und die Galvanotechnik, Methionin als Futtermittelzusatz, Formmassen für Autorückleuchten und Stegdoppelplatten sowie Haushaltsartikel.

- Weiße gefällte Füllstoffe als Verstärker für technische Gummiartikel wie Dichtungen und Reifen, als Füllstoff für Druckfarben, als Verdickungsmittel sowie Putzkörper für Zahnpasten, Zeolithe als Phosphatersatz in Waschmitteln.

SoftwareNeben der bei Degussa-Hüls eingesetzten Software der IBS AG sind in Deutschland weitere Anbieter auf diesem Markt für Analytik und Qualitätssicherung. Dazu zählen beispielsweise die Unternehmensgruppen

-CSB-System in Filderstadt mit Qls/Lims,

-die CS Informatik in Sindelfingen mit CAQ/Win,

-Hewlett-Packard in Waldbronn mit HP Chem Lims,

-HM-Software in Adelheiddorf mit HM-Lims,

-die ICD in Frechen/Königsdorf mit Labs/Q,

-Orga-P in Bielefeld mit Collier,

-Perkin Elmer in Langen mit SQL Lims

-sowie Propack Data in Karlsruhe mit dem QM-Modul Quibs.V

(Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

DV-StrukturIm Programm CAQ=Qsys sind zirka 120 Benutzer eingerichtet. Die Applikation Qsys befindet sich auf einem File-Server, der auch andere Programme beherbergt.

Hardware: DEC Alpha 400 MHz, 256 MB RAM, 140 GB Festplatte Raid Level 5. Ein gleicher Rechner dient als Standort-Print-Server. Auf einem dritten Server läuft die Datenbank Oracle 8.0.4. Zur Zeit wird an der Umstellung auf eine leistungsfähigere Hardware gearbeitet. Diese Server sind mit 17 weiteren sowie 700 Workstations unter NT 4.0 im LAN vernetzt.

Netz: Die Verbindung zu den Arbeitsplätzen erfolgt über normales 10-MBit-Ethernet-Netz. Für einzelne Stränge werden Switches eingesetzt. Das Backbone besteht aus einem FDDI-Ring, der über Switches in Verbindung zu den Ethernet-Segmenten steht. An den Arbeitsstationen kommen Pentium-PCs ab 233 MHz zum Einsatz.

Das LAN ist mit 2 MBit-Standleitungen mit anderen Standorten und der zentralen DV verbunden.