Software-Defined-Products

Produkt-IT und Corporate-IT wachsen zusammen

18.01.2016
Von 


Maximilian Hille ist Analyst des IT-Research- und Beratungsunternehmens Crisp Research. Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind Cloud Computing, Social Collaboration und Mobile Innovations.
Die digitale Transformation hat die Unternehmen fest in der Hand. Händeringend wird nach neuen digitalen Geschäftsmodellen gesucht. Viel Zeit und Energie wird in die Digitalisierung von Prozessen und Kundenbeziehungen investiert.
Rechenzentren, Netzwerke etc. sind bereits "Software Defined". Jetzt erobert der Gedanke auch die tägliche Produktwelt.
Rechenzentren, Netzwerke etc. sind bereits "Software Defined". Jetzt erobert der Gedanke auch die tägliche Produktwelt.
Foto: VMware

Das ist alles gut und richtig. Allerdings wird dabei vielfach übersehen, dass vor allem in der Entwicklung der Produkte eine große Wachstums- und Innovationschance liegt. Hinzu kommt, dass sich neue digitale Geschäftsmodelle meist nur dann denken und realisieren lassen, wenn auch die Produkte intelligent und vernetzt sind.

Gerade in gesättigten Märkten wird es auch für Technologieführer immer schwerer profitabel zu wachsen und den eigenen Kunden „echte Innovationen“ zu bieten. Wie aus inkrementellen Innovationen ein neuer, echter Mehrwert oder gar ein komplett neues Produkt werden kann, ist die Gretchenfrage für viele Produktentwickler und Produktmanager.

Und hier bieten die neuen digitalen Technologien einen schier unbegrenzten Raum am Möglichkeiten, um das Einsatz- und Nutzenspektrum von klassischen Produkten neu zu denken und zu erweitern. Und dies gilt mittlerweile für nahezu alle Produktkategorien von der Zahnbürste bis zum Auto.

Software Defined Products: Der Nutzen wird programmierbar

Welche Veränderungen Software Defined Products erfahren, zeigt sich derzeit am deutlichsten am Auto.
Welche Veränderungen Software Defined Products erfahren, zeigt sich derzeit am deutlichsten am Auto.
Foto: BMW

Ob Zahnbürste, Kettensäge, Küchengerät oder Premium-Automobil. Die Produkte der Zukunft sind „Software Defined“. Software Defined Products lassen sich anhand der folgenden Charakteristika beschreiben:

Produktnutzen wird programmierbar: Weite Teil des Funktions- und Nutzenspektrums eines Produktes erschließen sich nur noch digital und werden über Apps oder digitale Displays gesteuert. Somit wird der Produktnutzen programmierbar.

Produkt-Release = Software-Update: Neue Features werden zukünftig als Software-Update eingespielt und bereitgestellt. Der Kunde muss nicht mehr auf eine neue Geräte- beziehungsweise Hardwaregeneration warten.

Differenzierung über Software-Funktionen und Usability: Die Hardware- und Material-Eigenschaften von Produkten treten sukzessive in den Hintergrund. Ein wesentlicher Teil des Produktnutzens ergibt sich zukünftig aus den software-basierten Funktionalitäten, der Sensorik und der Vernetzung der Geräte zu einer ganzheitlichen IoT-Lösung.

Demzufolge wird die Software-Entwicklung ein zentraler Aspekt des Produkt-Lifecycles. Denn vom Prototyping bis in die Produktivphase hinein ist die Software die wesentliche Stellgröße, welche die Produktentwicklung maßgeblich beeinflusst.

Software Defined Products: Superstars des digitalen Zeitalters

Corporate IT und Product IT wachsen zusammen.
Corporate IT und Product IT wachsen zusammen.
Foto: Crisp Research 2015, Bildmaterial Vorwerk

So entwickeln beispielsweise die Hersteller von Kettensägen ihre Geräte zu Software-Defined-Products weiter. Der schwedische Hersteller Husqvarna hat die Husqvarna Fleet Services ins Leben gerufen, die unter anderem Informationen zur Laufzeit, Drehzahl und Temperatur direkt in die Cloud senden. Die Dauer der Maschinennutzung, Service-Intervalle für die Wartung und die Belastung des Benutzers durch Vibrationen können ebenfalls abgerufen werden.

Auf diese Weise werden dem Nutzer also diejenigen Informationen bereitgestellt, die ihn interessieren, um die Nutzung des Geräts zu optimieren. Umgekehrt verbucht auch Husqvarna einen wesentlichen Erfolg. Denn insbesondere die Hersteller von Kettensägen verdienen ihr Geld maßgeblich mit der Wartung der Geräte. Werden die Wartungsintervalle nun pro aktiv angefordert, ist ein wichtiger Geschäftszweig für das Unternehmen weiterhin gesichert.

Auch Vorwerk hat im Rahmen einer großen Digitalisierungsoffensive verstärkt in Software-definierte Produkte investiert. Mit dem Thermomix hat der ehemalige reine Staubsaugerhersteller einen intelligenten Küchenhelfer entwickelt, der mixen, wiegen, kneten, kochen und dämpfen kann. Der Thermomix selbst ist zusätzlich auch Rezeptbuch und nimmt dem Nutzer viele Aufgaben ab, die sonst manuell erledigt werden müssen oder hohe Konzentration erfordern. Neue Rezepte können mit Hilfe von Dongles (Rezept-Chips) an den Thermomix angeschlossen werden, so dass Vielseitigkeit in der Küche ohne viel Aufwand ermöglicht wird.

Produkt-IT und Corporate-IT wachsen zusammen

Um den Anforderungen der digitalisierten Welt zu begegnen, müssen CIOs Fähigkeiten und Eigenschaften wiederbeleben, die in den vergangenen Jahren in den meisten Unternehmen im Zuge der großen Outsourcing-Welle zunehmend degeneriert sind. Die Fähigkeit, neue Anwendungen und Prozesse schnell in PoCs oder einem „MVP“ (Minimal Viable Product) zu Prototypen und zu testen. Die Möglichkeit, Anwendungen auf Cloud-Plattformen schnell zu skalieren – oder auch wieder einzustampfen. Die Fähigkeit, neue IT-Anwendungen aus Nutzerperspektive („Design Thinking“) zu gestalten und den Fokus auf die User Experience zu legen.

All dies ist im Zeitalter von Mobile, Social und Cloud erfolgsentscheidend. Neben den klassischen IT-Management-Disziplinen (Governance, Sourcing, Projektmanagement etc.) sind daher Anwendungsentwickler, Datenanalysten, Schnittstellen-Programmierer und Cloud-Architekten gefragt, die sich einerseits mit den neuen Technologien auskennen und andererseits in der Lage sind in interdisziplinären Teams zu arbeiten.

Hinzu kommt, dass die Entwicklung von „Software Defined Products“ und IoT-basierten Lösungen meist von der sogenannten „Product IT“ ausgeht. Sprich den Ingenieuren, Maschinenbauern oder Physikern aus den Bereichen Produktentwicklung und FuE, die mittels Sensoren und Embedded Systems das Funktionsspektrum und die technischen Eigenschaften der eigenen Produkte definieren. Doch diese sind zur Entwicklung kompletter Lösung von der Corporate IT oder externen Dienstleistern abhängig, um beispielsweise diejenigen Komponenten und Apps zu entwickeln und zu betreiben, die für die Digital Customer und Service Experience notwendig sein.