Problemloesung auf Kosten der Anwender

13.08.1993

Ein Traeumer ist, wer glaubt, Standardorganisationen wuerden Entscheidungen im Sinne des Anwenders treffen. Weit gefehlt. Ein Musterbeispiel dafuer, dass in den Normierungsgremien die blanke Interessenpolitik der Hersteller regiert, hat jetzt wieder das 802.3-Gremium des IEEE geliefert. Eigentlich sollten die Wuerfel darueber fallen, welcher der beiden eingereichten Entwuerfe kuenftig das Geschick von Fast Ethernet bestimmt. Unnoetig zu sagen, dass sich hinter jedem der zwei Proposals Unternehmen verbergen, die ein handfestes Interesse am Erfolg ihres Vorschlages haben.

Natuerlich hatten beide Lager im Vorfeld des Meetings bekundet, im Falle der Ablehnung ihrer Richtlinie, faire Verlierer zu sein. Doch so weit kam es erst gar nicht. Statt eine endgueltige Entscheidung herbeizufuehren, kniffen die Verantwortlichen, weshalb das Treffen ausging wie das Hornberger Schiessen und am Ende doch ein Verlierer feststand - naemlich der Anwender.

Der Beschluss, die beiden Proposals in getrennten Arbeitsgruppen des IEEE weiterzuentwickeln, haelt einen der beiden Vorschlaege jetzt kuenstlich am Leben und bewirkt vor allem eins: das Problem wurde auf den Ruecken der Anwender abgewaelzt. Die Chance, mit der Entscheidung fuer einen Standard von vornherein fuer klare Verhaeltnisse und nicht zuletzt Investitionssicherheit zu sorgen, ist vertan.

Was wird geschehen? Beide Lager werden ihre Loesungen zu IEEE- Drafts vorantreiben und ihren Produkten dann den Pseudostempel IEEE-De-facto-Standard aufdruecken. Der Gelackmeierte ist der Anwender, der die Qual der Wahl zwischen zwei Fast-Ethernet-Normen hat, von denen eine ueber kurz oder lang wahrscheinlich von der Bildflaeche verschwinden wird. Wer dann aufs falsche Pferd gesetzt hat, hat eben Pech gehabt - und das alles nur, weil in Sachen Fast Ethernet im IEEE nicht fruehzeitig Naegel mit Koepfen gemacht wurden.

Moeglicherweise geht der Schuss fuer die IEEE und die beiden Konsortien aber auch nach hinten los. Es waere durchaus denkbar, dass die Anwender den Herstellern einen Strich durch die Rechnung machen und das 100-Mbit/s-Ethernet fuers erste boykottieren. Schliesslich wirft ATM bereits seinen Schatten voraus und entwikkelt sich FDDI langsam, aber sicher vom Backbone in Richtung Desktop. Auch die grosse installierte Basis an Kupferkabeln spricht nicht automatisch fuer das schnelle Ethernet. Beide Loesungen eignen sich naemlich in erster Linie fuer ungeschirmte Kabel, die in den USA zwar sehr verbreitet sind, in Europa jedoch wegen der Vorschriften zur elektromagnetischen Vertraeglichkeit nur begrenzt zum Einsatz kommen. Also abwarten und Tee trinken.