DV und RechtWichtige Änderungen im Arbeitsrecht

Probezeit kann auf zwei Jahre verlängert werden

27.06.1997

Die am meisten diskutierte Neuerung betrifft die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Nach altem Recht war der Arbeitgeber verpflichtet, einem kranken Arbeitnehmer sechs Wochen lang den Lohn in voller Höhe weiterzuzahlen. Nach neuem Recht ist der Arbeitgeber berechtigt, nur 80 Prozent des Lohnes für sechs Wochen zu zahlen. Nach Ablauf dieser Frist zahlt die Krankenkasse das Krankengeld. Allerdings bestehen in nahezu allen Branchen Tarifverträge, die eine hundertprozentige Lohnfortzahlung vorsehen.

Gegenwärtig wird ein Rechtsstreit darüber geführt, ob diese Regelung in den Tarifverträgen das neue Gesetz unwirksam macht. Des weiteren sind einige Tarifverhandlungen noch nicht abgeschlossen. Es spricht einiges dafür, daß die tarifvertraglichen Vorschriften maßgeblich sind und dementsprechend jedenfalls bei den Arbeitsverhältnissen, für die ein Tarifvertrag gilt, der Lohn im Krankheitsfall in voller Höhe weiterzuzahlen ist.

Zusätzlich wurde die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes auf sogenannte Kleinbetriebe geändert. Nach altem Recht galt das Kündigungsschutzgesetz nicht für Betriebe, die fünf oder weniger Arbeitnehmer beschäftigen. Mit der neuen Regelung wurde dieser sogenannte Schwellenwert auf zehn Arbeitnehmer angehoben, so daß das Kündigungsschutzgesetz nicht anzuwenden ist, wenn ein Betrieb zehn oder weniger Arbeitnehmer beschäftigt. Dabei sind Teilzeitbeschäftigte mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als zehn Stunden als 0,25 Arbeitnehmer zu zählen, bei nicht mehr als 20 Stunden entsprechen sie 0,5 und bei nicht mehr als 30 Stunden 0,75 vollen Arbeitsplätzen.

Die Anhebung des Schwellenwertes von fünf Arbeitnehmern auf zehn scheint auf den ersten Blick keine gravierenden Auswirkungen zu haben. Nach Einschätzung von Experten werden allerdings nach der Neuregelung zirka 50 Prozent aller Betriebe und rund 30 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ohne Kündigungsschutz sein.

Zudem wurde durch das neue Gesetz die vom Arbeitgeber bei betriebsbedingten Kündigungen vorzunehmende soziale Auswahl vereinfacht. Wenn das Kündigungsschutzgesetz gilt und der Arbeitgeber eine sogenannte betriebsbedingte Kündigung wegen Stillegung eines Unternehmensteils oder Umsatzrückgangs aussprechen will, muß er unter den betroffenen Arbeitnehmern diejenigen auswählen, die sozial am wenigsten schutzwürdig sind. Andernfalls ist die Kündigung unwirksam.

Bei der Sozialauswahl waren nach altem Recht verschiedene Kriterien zu berücksichtigen, wie zum Beispiel Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltsverpflichtungen, Verdienst des Ehegatten, Chancen auf dem Arbeitsmarkt, Vermögensverhältnisse des Arbeitnehmers, Gesundheitszustand und so weiter. Wegen der Vielzahl der zu berücksichtigenden Kriterien taten sich die Arbeitgeber schwer, eine ordnungsgemäße soziale Auswahl zu treffen. Nicht selten stellte das Arbeitsgericht in einem anschließenden Rechtsstreit fest, daß der Arbeitgeber die soziale Auswahl falsch getroffen hatte, mit der Folge, daß die ausgesprochene Kündigung unwirksam war.

Nach der neuen Regelung wird die soziale Auswahl nach den drei sogenannten Grunddaten, nämlich Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltsverpflichtungen, getroffen. Der Arbeitgeber kann mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung schließen, in der diese drei Grunddaten bewertet werden (zum Beispiel pro Beschäftigungsjahr ein Punkt, pro Unterhaltsverpflichtung zwei Punkte, für Arbeitnehmer, die älter als 50 Jahre sind, ein Punkt, für Arbeitnehmer, die älter als 60 Jahre alt sind, zwei Punkte). Je mehr Punkte ein Arbeitnehmer hat, desto schutzwürdiger ist er.

Eine solche Betriebsvereinbarung über die Bewertung der Sozialdaten ist verbindlich und kann vom Arbeitsgericht nur dahingehend überprüft werden, ob die Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers hinreichend ausgewogen gewichtet sind. In der Regel dürfte dementsprechend eine betriebsbedingte Kündigung des Arbeitgebers wirksam sein, wenn er sich an ein solches mit dem Betriebsrat ausgehandeltes Punktesystem hält.

Eine weitere Neuerung in diesem Zusammenhang besteht darin, daß Arbeitnehmer, deren Weiterbeschäftigung wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur im betrieblichen Interesse liegt, von vornherein nicht in die Sozialauswahl einbezogen werden müssen.

Im Hinblick auf die Befristung von Arbeitsverträgen hat es eine Änderung gegeben, deren praktische Bedeutung offenbar noch nicht richtig erkannt worden ist. Wenn ein Arbeitsvertrag in zulässiger Weise befristet wird, endet er durch bloßen Zeitablauf, ohne daß es einer Kündigung bedarf. Es kommt in diesen Fällen nicht darauf an, ob ein Kündigungsgrund besteht oder ob die Kündigungsfrist eingehalten wurde.

Nach altem Recht konnte ein Arbeitsverhältnis nur einmalig für eine Dauer von bis zu 18 Monaten befristet werden. Wenn der Arbeitnehmer nach Ablauf dieser Befristung weiterbeschäftigt oder innerhalb eines Zeitraumes von weniger als vier Monaten wieder eingestellt wurde (sogenannter Kettenarbeitsvertrag), wandelte sich das ursprünglich befristete automatisch in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis um.

Nach neuem Recht kann ein befristetes Arbeitsverhältnis dreimal bis zu einer Dauer von zusammen zwei Jahren verlängert werden. Ein ursprünglich auf sechs Monate befristeter Arbeitsvertrag kann anschließend somit zum Beispiel dreimal um jeweils sechs Monate verlängert werden. Dies bedeutet, daß unter dem Namen "befristetes Arbeitsverhältnis" de facto eine Probezeit von bis zu zwei Jahren möglich ist.

Zeitverträge sind nicht vorzeitig kündbar

Wenn ein Beschäftigter geltend machen will, daß die Befristung nicht zulässig ist, muß er innerhalb von drei Wochen nach Ablauf des befristeten Arbeitsvertrags beim Arbeitsgericht eine Klage auf Feststellung erheben, daß ein unbefristetes Arbeitsverhältnis vorliegt.

Der Arbeitgeber kann eine ordentliche Kündigung während der Dauer eines befristeten Arbeitsverhältnisses nur dann aussprechen, wenn sich die Parteien bei Abschluß des Vertrages das Recht dazu vorbehalten haben. Von diesem Sonderfall abgesehen, kann also ein Arbeitsverhältnis, das auf zwei Jahre befristet wird, vor Ablauf dieser Zeit nicht gekündigt werden. Eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund ist jederzeit zulässig.

Jürgen Schneider ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Schramm, Zwipf und Gabriel in München.