IT in der Medienbranche

Print unter Druck?

13.10.2000
Produkte, die sich auf Bits reduzieren lassen, dürften schon bald im Web große Chancen haben. Folgt man den Auguren, werden PrintMedien, Filme, Eintrittskarten oder Finanzdienste im Internet eine neue Plattform finden. So manche realen Ladenstraßen mit Banken, Buch-, Zeitungs- und Musik-Shops müssen sich darauf einstellen. Wie die Print-Szene reagiert, hat Winfried Gertz* untersucht.

Autoren wie Stephen King zum Staunen zu bringen, setzt schon einiges an Phantasie voraus. Dass sich bis Ende Juli 152000 Surfer zum Download des ersten Kapitels seines Internet-Fortsetzungsromans "The Plant" (www.stephenKing.com) entschlossen, wundert den für seine Horrorgeschichten weltberühmten Romancier ebenso sehr wie die Quote von mehr als 76 Prozent der Leser, die dafür auch noch den symbolischen Betrag von einem Dollar auf die virtuelle Theke "blätterten". Die bisherige Bilanz ist viel versprechend: Wie King in seinem "Update on The Plant" der interessierten Web-Gemeinde mitteilt, seien ihm insgesamt Kosten in Höhe von 124 150 Dollar für Anzeigen in "Publisher''s Weekly" und "USA Today" sowie für Web-Server-Tests und Projekt-Management entstanden. Es lässt sich leicht nachrechnen, dass ein Einnahmeüberschuss herausgekommen ist. Doch es kommt noch besser: Für die folgenden elf Kapitel, die etwas länger geraten und deshalb auch je zweieinhalb Dollar kosten sollen, werden sich kaum weniger Interessenten finden. Ein mathematisches Vergnügen für King: "Wenn alle wiederkommen, hat sich das Projekt tatsächlich gelohnt."

Doch nicht alle sind dem Bestsellerautor gewogen. "Verleger würden nichts lieber sehen, als dass dieser Versuch platzt", plauderte King gegenüber dem TV-Sender NBC aus dem Nähkästchen. Erstmals schloss King nämlich seinen US-Verlag Simon & Schuster von der Veröffentlichung eines Buches völlig aus. Dennoch gibt es Bewegung in den Köpfen: Der US-Verlagsgigant Random House will mit gleich zwanzig digitalen Büchern in diesen neuen Markt vorpreschen. Nach Angaben der New York Times soll hier bald ein großes Hauen und Stechen beginnen, zumal Online-Verwertungsrechte in älteren Autorenverträgen nicht berücksichtigt worden seien.

Wird das Vergnügen von Abermillionen Leseratten, die zu Hause oder an lauschigen Plätzchen in den fiktiven Kosmos zwischen den Buchdeckeln abtauchen, bald nur noch online möglich sein? Kaum anzunehmen.

Anders dagegen sieht es in der Zeitungsbranche aus, die bereits seit Jahren mit neuen Medien experimentiert. Hatte man zunächst das Internet als zusätzliche Einnahmequelle entdeckt, wo Eins-zu-eins übernommene redaktionelle Texte mit einem Schwall von Werbung unters digital angetörnte Volk gestreut wurden, macht sich zusehends Ernüchterung breit. Denn solange im virtuellen Leseraum nur Recycling offeriert wird, hält sich der Appetit der Informationshungrigen in Grenzen. Andersherum haben sich die Befürchtungen, Online-Ausgaben würden zu massenhafter Kündigung der Abonnements beitragen nicht bewahrheitet. "Wir haben vielleicht einige Tausend Abonnenten verloren, dafür aber mit zwei Dritteln der Online-Leser ein neues Publikum gewonnen", freut sich Peter Kann, Chef des "Wall Street Journal".

Wagemutige Medien-Manager gesuchtVoraussetzung für einen Erfolg sind neue Verlegerstrategien. Manche Medien-Manager sind recht wagemutig, zum Beispiel die der Online-Zeitschrift Salon.com. Zwar erreicht das vor fünf Jahren gestartete Kulturmagazin etwa 3,7 Millionen Leser, allerdings ohne zufrieden stellende Abo-Einnahmen verbuchen zu können. Für ein Abonnement zu bezahlen, dazu ist kein Surfer bereit, weshalb immer mehr Verlage wie etwa die New York Times (www.nyt.com) dazu übergehen, ihre Inhalte nicht mehr kostenpflichtig, sondern gratis ins Netz zu stellen. Pech für Salon.com: Angesichts sinkender Werbeerlöse und unzufriedener Investoren steht das Webzine nun vor dem Aus.

Andere Projekte wie das renommierte Kulturmagazin der Net Community, Telepolis (www.telepolis.de), oder www.perlentaucher.de sonnen sich in der Gunst gutmütiger Verleger. Bei www.perlentaucher.de, seit Mitte März online, kann man bereits am frühen Nachmittag die aktuellen Buchrezensionen aus den Feuilletons herunterladen und jeden Montag sogar in Kultur- und Nachrichtenmagazinen wie "New York Review of Books" oder "Atlantic Monthly" stöbern.

Kunterbunt umeinander flatternde Werbebanner, die einem den Lesegenuss verübeln, wird man hier nicht finden. Vorrang hat Interaktion: Wer will, kann seine persönliche Meinung zu einer Rezension gleich loswerden.

Nachdem 1995 die ersten deutschen Zeitungen den mutigen Schritt ins Internet wagten, haben sich inzwischen rund 330 Publikationen im neuen Geschäft etabliert. Erwartungsgemäß setzten sich die Tageszeitungen an die Spitze, denn im Internet gewinnt Aktualität eine nochmals höhere Bedeutung als bisher. Mehr oder weniger erfolgreich nutzt die Tagespresse das neue Potenzial - von der globalen Verbreitung über die Verknüpfung von Texten und multimedialen Elementen sowie der Vernetzung von Inhalten mit externen Links bis hin zu interaktiven Kommunikationsformen. Wer solche Seiten besucht, verfügt - zumindest theoretisch -über ein riesiges Informationsangebot, das er durch gezielte Recherchen auf individuelle Bedürfnisse herunterbrechen kann.

Mit welchen Ansprüchen deutschsprachige Zeitungen wie die in Wien erscheinende Neue Presse (NP), die neue Zürcher Zeitung (NZZ) und die Süddeutsche Zeitung (SZ) ihre InternetAusgaben veröffentlichen, ist Matthias Zürn von der Universität Mannheim in einer medienwissenschaftlichen Studie nachgegangen. Zunächst einmal präsentieren die Zeitungen sehr verschiedene Übernahmequoten. Während die SZ 48 Prozent ihrer Print-Artikel ins Netz stellt, die NZZ hingegen nur jeden dritten Text, kann der Internet-Leser der NP auf 85 Prozent der am Kiosk erscheinenden Ausgabe zugreifen. Dass Zeitungen ihren Internet-Auftritt primär zur Profilierung ihres Angebots und zur Imagepflege nutzen, unterstreicht die hohe Quote von Beiträgen aus der jeweils eigenen Redaktion. Fremdartikel freier Autoren oder von Nachrichtenagenturen finden nur in Ausnahmen Verwendung.

Kommunikation mit dem Leser noch mühsamEin weiteres Untersuchungsergebnis von Zürn lässt keinen Zweifel zu: Nach wie vor werden Texte der Printausgaben nahezu unredigiert ins Internet übertragen. Allenfalls bei Headlines werden Ausnahmen gemacht. Pikanterie am Rande: Hatten sich in den Druckausgaben Fehler eingeschlichen, erschienen sie in den Online-Ausgaben eben auch. Andererseits tauchten im Internet Hinweise zu Fotos oder Grafiken auf, die überhaupt nicht abgebildet waren. Mehr Mühe geben sich die Zeitungen bei der Kommunikation mit ihren Lesern. Interaktivität, eines der entscheidenden Erkennungszeichen des Internet, könnte sich in Chats, Diskussionsforen, E-Mail und Usenets niederschlagen. Doch auch dabei tun sich die Zeitungen schwer: Will man seine Meinung zu einem Artikel schreiben, wozu teilweise auch aufgefordert wird, sucht man die relevante Adresse des Autors vergeblich. Gut gemeint ist die Möglichkeit, mit Verfassern von Leserbriefen in Dialog zu treten. Leider nimmt das Angebot bei SZ und NP aber kaum jemand in Anspruch, bei der NZZ ist es erst gar nicht vorgesehen.

Anregungen zu weiteren Recherchen geben Hyperlinks. Für die Redakteure wäre es ein Leichtes, einzelne Wörter oder Beiträge mit HTML-Verweisen zu verknüpfen. Fehlanzeige: Ganze fünf Hyperlinks lässt die SZ in 230 untersuchten Online-Artikeln zu. NP und NZZ kommen auf etwas bessere Quoten, allerdings überwiegen hauptsächlich Hinweise auf interne Ressourcen. Links in die Außenwelt fehlen nahezu völlig. Wer kostenlos im Archiv stöbern will, kann bei SZ und NZZ auf Ausgaben der letzten 30 Tage zurückgreifen, während NP alle seit Anfang 1997 veröffentlichten Beiträge anbietet. Vorbildlich sind die untersuchten Zeitungen im Angebot aktueller Informationen. Dazu gehören nach Themengebieten gegliederte News der Presseagenturen, die zum Teil sogar durch Fotografien ergänzt werden.

Mittlerweile haben die Zeitungen deutliche Korrekturen vorgenommen. Die SZ erweiterte die kostenlose Recherche zurück bis Anfang 2000, und NP ergänzt tagesaktuelle Artikel um zahlreiche Abbildungen und Hyperlinks.

Welches Potenzial zu beackern ist, zeigt der Online-Auftritt der im Frühjahr gestarteten "Financial Times Deutschland" in Hamburg (www.ftd.de). Wie in Teilen bereits von der Web-Ausgabe der "Welt" (www.welt.de) vorexerziert, gelingt auch FTD eine überzeugende Integration von Print- und Online-Ausgabe.

Korrespondierende Online-RessourcenWer die Print-Ausgabe liest, wird auf die korrespondierenden Online-Ressourcen verwiesen: Dazu zählt nicht nur die Mail-Adresse der Autoren, sondern auch eine zum Teil ausführliche Sammlung von weiterführenden Links und multimedialem Anschauungsmaterial.

Diesen Weg ging man auch im Axel Springer Verlag in Hamburg. Man wollte an der Alster frühzeitig eine neue Duftmarke setzen. Dass die Web-Ausgabe in ihrem Habitus ankommt, unterstreichen die Zahlen: Jeder zweite Neuabonnent will ins Web. Für den Medienexperten Zürn, der ein Portal (International Guide for Online Newspapers, www.igon.de) für Informationen rund um Online-Zeitungen eingerichtet hat, steht außer Zweifel: "Die Internet-Auftritte von Welt und Financial Times wirken nicht wie ein notwendiges Übel, sondern erwecken den Eindruck eines bewussten und bejahenden Umgangs mit dem Medium Internet."

FTD und Welt haben die Latte für neue Konzepte also ziemlich hoch gelegt, so auch für die im September debutierende "Netzeitung" (www.netzeitung.de). Der sich ausschließlich über Werbung finanzierende Ableger der norwegischen Web-Zeitung "Nettavisen", der bereits nach drei Jahren der Break-even gelang, hat als Chefredakteur den einstigen Stern-Frontmann Michael Maier gewonnen.

Langfristig indes scheinen die Karten bereits gemischt zu sein. Dass Inhalte und Vermarktung in der Netzökonomie bald eine starke Liason eingehen werden, steht für George F. Colony, Chef von Forrester Research (www.forrester.com) in Boston, außer Frage: "Beides wird nicht mehr zu trennen sein. Surfer ordern auf wsj.com Aktien und Optionen, ohne zu Charles Schwab weiterklicken zu müssen. Der Meta-Trend zu immer mehr Bequemlichkeit wird Content und Vermarktung fest zusammenschweißen."

*Winfried Gertz ist freier Journalist in München.