In Japan dienen attraktive Großrechner auch zum Anlocken guter Mitarbeiter:

Preiswerte Supercomputer reizen Anwender

25.04.1986

In vielen Bereichen der wissenschaftlichen Forschung wie auch der technischen Weiterentwicklung kommt man immer häufiger nur noch dann wirklich voran, wenn man eine gegebene Problemstellung auf numerischem Wege durchkalkuliert oder simuliert: und dazu braucht man meist einen ausgewachsenen Supercomputer.

Waren Supercomputer, also die jeweils größten und schnellsten technisch-wissenschaftlichen Vektorrechner ihrer Zeit, noch vor kurzem eher Kuriositäten und in ihrem Einsatz auf ein paar weltweit führende Forschungsinstitute beschränkt, so hat sich dieses Bild inzwischen gründlich geändert. Rechner der absoluten Spitzenklasse werden heute von immer mehr Interessenten realistisch als das eingeschätzt, was sie ja in Wirklichkeit sind: "Fortschrittswerkzeuge", auf die eine Industrienation weder in ihren Hochschulen und Forschungsorganisationen noch im Bereich der Industrie verzichten kann, will sie im internationalen technisch-wissenschaftlichen Wettlauf weiterhin Schritt halten. Genau dies hat man in Japan inzwischen ganz offensichtlich erkannt.

Während alle Welt staunend zusah, wie die Japaner ihr Programm zur Entwicklung einer ganz neuen Generation von "künstlich intelligenten" Rechnern abwickelten, gab es quasi hinter den Kulissen, wenn auch nicht direkt im geheimen, einen erstaunlichen Boom bei Supercomputern, und zwar anders als etwa in Deutschland bei solchen heimischer Entwicklung und Fertigung. Ein US-Halbleiter-Fachblatt beispielsweise zählte kürzlich in Japan mehr als 20 Supercomputer-lnstallationen heimischer Produktion, nachdem noch vor wenigen Jahren allenfalls drei oder vier dieser Giganten aktiv waren.

Supercomputer finden sich in rasch wachsender Zahl nicht nur in Japans Großunternehmen, sondern auch schon in Firmen mittleren Formats. Denn sogar die letzteren haben inzwischen erkannt, daß man mit Hilfe dieser Rechner und ausgeklügelter CAD-Techniken beispielsweise die Entwicklung neuer Produkte ganz drastisch beschleunigen kann. Außerdem dienen die attraktiven, faszinierenden Rechner auch gleich noch dazu, die jeweils besten Absolventen der Hochschulen in die eigene Firma zu locken.

Je mehr die Kundschaft in Japans Industrie und Wissenschaft nach immer schnelleren und preiswerteren Supercomputern verlangt, desto intensiver arbeiten die einschlägigen Hersteller - das sind Hitachi, Fujitsu und NEC - an der Befriedigung ihrer Wünsche. Momentaner Spitzenreiter in Sachen Leistung soll eine im Sommer 1987 zu installierende Maschine von Hitachi sein, die 1,6 Gigaflops (Milliarden Gleitkomma-Operationen pro Sekunde) leisten soll; damit würde sie etwa in der Cray-Leistungsklasse angesiedelt sein. Bedeutend schneller allerdings können künftige Rechner amerikanischer Herkunft sein, die eine parallele Architektur verwirklichen und die aus Tausenden von einheitlichen Platinen mit jeweils mehreren Mikroprozessoren aufgebaut sind; so etwa die neue T-Serie von Floating Point Systems und andere Konzepte.

Während aber Rechner wie die eben genannten amerikanischen fernab der viel apostrophierten IBM-Welt angesiedelt sind, verfolgen wenigstens Hitachi und Fujitsu deutlich erkennbar die Strategie, ihre Maschinen möglichst nahe an die Standards heranzuführen, die Big Blue nun einmal gesetzt hat. Denn, so das Kalkül, auf diese Weise könne man rasch an einen breiten Kreis von Anwendern herankommen. Und zwar vor allem an jene, die zunächst einmal mit der Anschaffung eines eher "kleinen" Vektorrechners liebäugeln und ihn ihrem schon vorhandenen IBM- oder IBM-kompatiblen Rechnerpark hinzufügen möchten.

Während die Japaner also mit Hilfe moderner Supercomputer eigener Fertigung sichtlich dabei sind, ihre industriellen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten mit einem kräftigen Plus an neuer Leistung auszustatten, bleiben die Europäer, mangels eigener Supercomputer-Hersteller von Format, auf wohlwollende Lieferanten angewiesen, wollen sie in Wissenschaft und Forschung, in Entwicklung und Technik langfristig noch konkurrenzfähig bleiben. Während umgekehrt neben Japan vor allem auch in den USA ein kräftiger Supercomputer-Boom ins Haus zu stehen scheint: Soll es dort Ende des Jahres knapp 290 Installationen von Rechnern jenes Typs geben, so erwartet man für 1990 bereits an die 1700 Maschinen.

In Japan sieht es zur Zeit so aus, daß Fujitsu und Hitachi 22 beziehungsweise neun Rechner verkauft oder sogar schon installiert haben, NEC aber, und diese Computer sind mit Rechnern anderer Hersteller nicht kompatibel, nur vier. Die Fujitsu-Rechner werden außerdem als Amdahl- oder auch Siemens-Maschinen umetikettiert und im Ausland verkauft. Eine steht beispielsweise bei der IABG in Ottobrunn bei München und trägt stolz ein Siemens-Wapperl. Insgesamt hat Fujitsu für seine Supercomputer Presseberichten zufolge schon 13 Auslandsorders buchen können.

Am Beispiel Fujitsu läßt sich allerdings auch ablesen, daß es leicht gefährlich werden kann, nähert man sich der IBM-Welt allzu sorglos. Denn seit IBM für die 3090-Serie unlängst eine eigene Vektoreinheit angekündigt hat, weht den Japanern wenigstens im Leistungsbereich jener Vektorprozessoren der Wind ins Gesicht: Branchenbeobachter erwarten, daß für Fujitsu-Einheiten zumindest im unteren Leistungsbereich Abstriche an den Preisen unvermeidbar werden. Oder sonstige Maßnahmen, mit denen Fujitsu dann im Verhältnis Preis zu Gegenwert wieder davonziehen könne.

Problematische Welt für US-Hersteller

Während aber Fujitsu und auch die anderen japanischen Hersteller von Superrechnern gewiß auf den Modernisierungswillen der einheimischen Unternehmen und Forschungsinstitutionen sowie außerdem auf die "bewährte" japanische Abstinenz beim Importieren ausländischer Erzeugnisse bauen können, sieht für andere, also für amerikanische Super- und Vektorrechnerhersteller, die Welt problematisch aus, denken sie an den großen Bruder Big Blue. Denn jener Mammut-Konzern kann, sollte der Markt der Superrechner ihm nur irgendwann je lukrativ und umfangreich genug erscheinen, mit ganz anderer Gewalt zuschlagen als irgendeiner der anderen, vergleichsweise zwergenhaften Hersteller.

Denn IBM, so sagen Beobachter, könnte dann ja einen Großserieneffekt nutzen, der anderen unerreichbar ist: Das Unternehmen könnte seine Superrechner technisch eng an die bestehenden Computerlinien anlehnen und damit automatisch merkliche Serienfertigungs- und auch Vertriebs- und Logistikkostenvorteile gewinnen. Ähnlich, wie dies in geringerem Umfang ja auch die Japaner schon heute tun, denn die Supercomputer von Fujitsu und Hitachi gelten Kennern als geschickte Modifikationen der gewöhnlichen Großrechner dieser Hersteller.