Praktikum in Chile - zwischen Vulkanen und Netzwerken

14.12.2001
"Wieso nicht das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden", dachte sich Marcus H., als er sich für ein Praktikum in Chile bewarb. Vom November 1999 bis Mai 2000 konnte er den europäischen Winter gegen angenehme südamerikanische Temperaturen eintauschen.

Im Rahmen meines Studiums der Informatik an der Universität Ulm ist es vorgeschrieben zwei Praktika zu absolvieren, wobei maximal ein externes möglich ist. Ich hatte bereits gute Kontakte, da ich vor meinem Studium eine Ausbildung zum Datenverarbeitungskaufmann bei einem mittelständischem Unternehmen in der Baubranche absolvierte. Dort fragte ich etwa ein Jahr vor Praktikumsbeginn nach und erhielt auch prompt eine Zusage.

Marcus H. auf seinen Reisen durch Chile. Quelle: Marcus H.
Marcus H. auf seinen Reisen durch Chile. Quelle: Marcus H.

Auf einen Einsatz in Chile habe ich mich zusammen mit meinem Vorgesetzten in Deutschland geeinigt, wobei die Groesse der Niederlassung und vorhandene Beschäftigungsmöglichkeiten vor Ort im Vordergrund standen. Die erste Woche waren mein deutscher Chef sowie meine spanische Ansprechpartnerin zufällig mit vor Ort und wir haben gemeinsam mein Aufgabenspektrum abgesteckt. Im Prinzip war meine Aufgabe die komplette Restrukturierung der vorhandenen Netzwerkinfrastruktur im laufenden Betrieb, sowie die Sicherstellung des problemlosen Y2K-Übergangs.

Dazu musste im ersten Monat die vorhandene Hardware und Infrastruktur untersucht werden und es wurde zusammen mit dem Leiter der Niederlassung ein Zeitplan für die Neukonfiguration erstellt. Auch zählte es noch im ersten Monat zu meinen Aufgaben den Server, der am Rande seiner Kapazität betrieben wurde, auszutauschen. Das ganze wurde dadurch erschwert, dass der Belegschaft angewiesen wurde, nur spanisch mit mir zu sprechen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich meine Spanischkenntnisse noch auf dem absoluten Nullpunkt. Zum Glück hatte ich während der Arbeit genügend Zeit, Vokabeln zu pauken.

Später zahlte mir von der Firma zwei Mail pro Woche einen Intensivsprachkurs, jeweils zwei Stunden, was auch relativ schnell die erhoffte Wirkung zeigte. Zusätzlich übernahm sie die Kosten für zwei Flüge nach Deutschland sowie ein Zimmer in einer Privat-Pension. Es gab eine für Praktikanten durchaus akzeptable Vergütung und Verpflegungsgeld. Für so viel Entgegenkommen wurde allerdings auch entsprechende Leistung verlangt. Während der Woche liefen die Vorbereitungen für Umstellungen, die an den Wochenenden dann auch tatsächlich stattfanden. Da gelegentlich auch mal was schief gehen kann – Murphy kennt keine Grenzen – musste ich mich des öfteren auch mal am Wochenende zur Arbeit bemühen.

Die Mindestarbeitszeit betrug in der Woche 50 Stunden, verteilt auf fünf Arbeitstage in der Woche. Das ist gewöhnungsbedürftig, aber die Chilenen machen dann gerne auch noch mal Überstunden – das Vergnügen versuchte ich mir - abgesehen von meinen Wochenddiensten - aber weitestgehend zu ersparen. Die Praktikumsbetreuung war demokratisch geregelt, denn ich konnte mich mit allen Fragen an jeden Mitarbeiter vor Ort (bis zum Chef) sowie an Kollegen in Spanien und Deutschland wenden. Das war bei dieser relativ verantwortungsvollen Aufgabe auch gelegentlich nötig.

Während meiner Zeit in Chile bekam ich sogar noch einen Monat unbezahlten, sowie 2 Wochen bezahlten Urlaub, was für dortige Verhältnisse recht ungewöhnlich ist. Diesen Urlaub feierte ich durch Herumreisen ab. Ein chilenischer Praktikant hätte keinerlei Anspruch auf Urlaub gehabt. Die Arbeitskollegen waren alle sehr nett und es wurde im Kreise der Kollegen einiges unternommen. Die Firma organisierte regelmäßig einen Ausflug, was ich in dieser Form von Deutschland her nicht kannte.

 Alles in allem kann ich sagen, dass ich einen abgesteckten anspruchsvollen Aufgabenbereich hatte, bei dem ich auf mehrerlei Art ins kalte Wasser geworfen wurde. Zum einen war vor allem in der Anfangszeit ein gewisser Zeitdruck hinter Tätigkeiten, die ich noch nie in Eigenregie durchgeführt hatte. Zum anderen gab es ja auch noch eine klitzekleine Sprachbarriere, die allerdings von mir beabsichtigt war.

Für die übrige Belegschaft in meiner Abteilung herrschte eine Kleiderordnung, die in etwa der von deutschen Banken entsprach und in Chile durchaus üblich ist. Da ich allerdings kaum Kundenkontakt hatte, wurde das bei mir nicht so eng gesehen. Ich hatte allerdings schon ein Auge darauf, immer halbwegs ordentlich angezogen zu erscheinen und mich an die lokalen Begebenheiten anzupassen. Abschließend kann ich sagen, dass sich das Praktikum wirklich gelohnt hat, ich inzwischen recht gut spanisch spreche und wertvolle Erfahrungen – nicht nur beruflicher Natur – sammeln konnte.

Bericht Marcus H., der gerne unerkannt bleiben möchte.