Automatischer Produktionsablauf krankt an falscher Strategie:

Pragmatismus führt häufig zu Systemfrust

20.01.1984

Die Einführungsstrategie von Produktionsplanungssystemen ist bei den Unternehmen normalerweise fest definiert: Nach der Grunddatenverwaltung und der Lagerbestandsrechnung wird die Disposition realisiert, danach Arbeitsplanverwaltung und Fertigungssteuerung. Diese Vorgehensweise ist pragmatisch. Ist sie aber auch richtig? Rudolf Möcklinghoff, Fachbereichsleiter Logistik der ADV/Orga GmbH, Wilhelmshaven, kritisiert die momentane Situation bei der Planung eines PPS-Systems und zeigt Wege auf, wie Fehlschläge vermieden werden können.

Bei der maschinellen deterministischen Bedarfsermittlung werden in der Praxis von einem Produktionsplanungs- und Steuerungssystem in einem mittelständischen Unternehmen (Klein- bis hin zur Serienfertigung) rund 300 000 Bedarfsinformationen ermittelt.

Allein dieser Wert zeigt, daß für diese Aufgabe unbedingt ein maschinelles Verfahren eingesetzt werden muß. Um 300 000 Einzelbedarfsinformationen manuel abzuwickeln müssen Informationen grober gefaßt sowie Sicherheitszeiten und Bestände vorgesehen werden, um die fehlende Transparenz auszugleichen. Zudem ist der Personalaufwand entsprechend hoch.

Allerdings ist eine höhere Dispositionsqualität nicht per Dreisatz durch eine höhere Zahl von Disponenten zu erreichen.

Die Einführung eines maschinellen Dispositionssystems bringt vielfach greifbare Erfolge: Die Kapitalbindung sinkt um etwa 20 Prozent, die Anzahl der Disponenten wird von sieben auf zwei reduziert und die Einstandspreise fallen durch langfristige Planung um vier bis fünf Prozent. (Es muß nicht mehr der Lieferant genommen werden, der am schnellsten liefern kann).

Dennoch hat sich für die Disposition der permanente Ärger mit dem Vertrieb und der Fertigung kaum verändert. In den wöchentlichen Produktionsbesprechungen kommt es leider immer wieder zu erheblichen Programmänderungen. Das monatlich rollierend fortgeschriebene "sogenannte" Produktionsprogramm des Vertriebs geht in der Regel an den Realitäten der Produktion und Beschaffung vorbei. Das Produktionsprogramm kommt aus dem Korrektur- und Vorabstatus nicht heraus und wird deshalb von der Disposition nicht ganz ernst genommen.

Die Fertigung schiebt in einigen Bereichen ein Rückstandspolster vor sich her und reagiert auf kurzfristige Änderungsanforderungen durch die Disposition entweder gar nicht oder nur sehr schwerfällig. Allein der Austausch der Fertigungspapiere ist schon ein reales Problem.

Jeder der im Produktionsplanungsgeschehen eingebundenen Bereiche (Vertrieb, Disposition, Fertigung) hat sicherlich seine eigene Sicht der hier beschriebenen Situation.

Es gibt allerdings einige Kriterien, um die Situation im Bereich der betrieblichen Logistik für unser Beispielunternehmen objektiv zu beschreiben: Sonderwünsche des Vertriebes außerhalb des laufenden Produktionsprogramms benötigen einen Vorlauf von zirka vier bis sechs Wochen. Änderungen sind zwei Wochen vor Fertigungsbeginn nicht mehr möglich, da zum Beispiel die Erstellung der Fertigungspapiere oder die Materialbereitstellung bereits angelaufen sind.

Auf allen Ebenen der Fertigungsstruktur befinden sich Überbestände (vielfach durch Fertigungsrückstand) oder sogar unnötige Bestände. Das zeigen die regelmäßig zu bearbeitenden Verschrottungslisten deutlich.

Mittelfristig möchte dieses Unternehmen die wesentlichen Probleme, etwa die Beseitigung von Fertigungsrückstand oder die ungleichmäßige Auslastung, durch Einführung eines Fertigungssteuerungssystems bereinigen.

Die Einführung des Steuerungssystems wird die hier beschriebenen Schwierigkeiten für dieses Unternehmen nicht lösen. Das Pferd wurde von hinten aufgezäumt. Der richtige Weg für das hier beschriebene Unternehmen ist die Einführung eines maschinellen Verfahrens für die Produktionsprogrammplanung vor der Disposition und der Fertigungssteuerung.

Für die grundsätzlichen Planungsvorgänge im Bereich Logistik finden sich vier Ebenen mit unterschiedlichem Detaillierungsgrad und unterschiedlicher Zielsetzung. Das sind Produktionsprogrammplanung, Disposition, Fertigungssteuerung und Rückmeldung.

Die Planungsvorgänge haben sich bisher durch die Fristigkeit unterschieden. Mit der Einführung von maschinellen Verfahren und deren Möglichkeit, große Datenvolumen zielbezogen darzustellen, liegt die Unterscheidung heute im aufgabenbezogenen Detaillierungsgrad der Information. Die Qualität der Planung auf der jeweils höheren Stufe ist bestimmend für die Planungsqualität der niedrigeren Stufe.

Beispielsweise ist ein Produktionsplan, der nicht auf die Entwicklung des Marktes (aktuelle Auftragssituation) und auf die Rahmenbedingung durch Disposition und Fertigung abgestimmt ist, eher ein Unsicherheitsfaktor als ein definiertes Ziel für die Produktion.

In vielen Unternehmen sind maschinelle Verfahren für die Unterstützung der Disposition oder der Fertigungssteuerung als Reaktion auf das Massendatenproblem in diesen Bereichen installiert. Verfahren für die Produktionsprogrammplanung sind schon wegen fehlender Konzepte und weil bislang für diese Aufgabenstellung Standardsoftware fehlte, äußerst selten realisiert. Die Konsequenzen liegen auf der Hand: Zum einen befinden sich die Planungshoheit des Unternehmens in der Disposition (und nicht im Vertrieb), zum anderen produziert die Fertigung folglich nicht das, was der Vertrieb benötigt. Außerdem sind vertriebliche Strategien nur mehr schwerfällig durchzusetzen.

Funktion, die ein System für die Durchführung der Produktionsplanung beinhalten sollte

1. Berücksichtigung von Planbedarfen

Planbedarfe werden entweder durch den Vertrieb mit dem Absatzplan oder durch ein leistungsfähiges Vorhersagesystem definiert, oder durch eine Kombination von Bedarfsvorhersage und Absatzplan.

2. Berücksichtigung der aktuellen Auftragssituation

Die aktuelle Auftragssituation hat vor allen Dingen im kurzfristigen Bereich eine sehr starke Bedeutung. Das Produktionsplanungssystem muß bei der Definition eines Planprofils die aktuelle Auftragssituation von heute in die Zukunft mit abnehmenden Einfluß berücksichtigen.

3. Generierung von Planprofilen

Das System erzeugt aus Planbedarf und Kundenauftragssituation nach unterschiedlichen Strategien je nach Position im Planungshorizont das für die Durchführung der Planung verbindliche Profil.

4. Planstrukturen

Ausgehend von der Ebene, auf der die Planprofile definiert sind (Produktfamilie, Produktgruppe, Standarderzeugnisse), muß über Planstrukturen die Verbindung zur Dispositionsebene hergestellt werden. Die zu planenden Produktvarianten werden über prozentuale Vorkommenshäufigkeit festgelegt.

5. Planressourcen

Für die Prüfung der Durchführbarkeit eines Programms werden Ressourcen definiert. Diese Ressourcen können Engpaßarbeitsplätze, Sammelkapazitäten oder auf der Ebene Produktfamilie auch Finanzressourcen sein.

6. Simulation

Auf der Basis der Bedarfsprofile der Planstrukturen und Planressourcen kann unter Berücksichtigung von bereits vorhandenen Lagerbeständen und Aufträgen, die Durchführung des Produktionsprogramms simuliert werden. Das System stellt aussagefähige Informationen über Engpässe zur Verfügung.

Der Planer kann nun die Planparameter einstellen (Bedarf, Kapazität etc.) und neu simulieren lassen, bis ein befriedigendes Ergebnis vorliegt oder er ändert engpaßbezogen einzelne Aufträge oder Bedarfe.

7. Übergabe Primärbedarf an die Disposition

Das geprüfte Produktionsprogramm wird letztlich freigegeben und ist damit der verbindliche Primärbedarf für die Disposition und die Fertigung.