Web

Präzedenzurteil zum Jahr-2000-Problem

20.10.1999
LG Leipzig: Softwarehaus muß nachbessern

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Das Landgericht (LG) Leipzig hat mit seiner Entscheidung vom 23. Juli 1999 das erste Urteil zur Frage der Jahr-2000-Fähigkeit von Software getroffen.

Hintergrund war der Streit um ein Programm zur Steuerung der Haustechnik eines Gebäudes, welches auf Basis eines Werkvertrags 1993 individuell erstellt worden war, ohne daß dabei die Jahr-2000-Fähigkeit ausdrücklich vereinbart wurde. Diese Software, die 870 000 Mark kostete, arbeitete zwar seit der Abnahme 1994 störungsfrei, ist aber nicht Jahr-2000-fest. Der Softwarehersteller hatte ein kostenloses Upgrade mit Hinweis auf die seiner Meinung nach eingetretene Verjährung abgelehnt.

Das LG Leipzig schloß sich dieser Auffassung nicht an und verpflichtete den Softwarehersteller, das Programm entsprechend zu ändern beziehungsweise anzupassen, um die Jahr-2000-Fähigkeit zu gewährleisten. In der Urteilsbegründung heißt es unter anderem: "Ob bei Verträgen die Jahr-2000-Fähigkeit vereinbart wurde oder nicht, ist jeweils im Einzelfall zu bestimmen. Relevant hierfür sind die übliche Nutzungsdauer der Software, der Vertragszweck und auch das Projektvolumen."

Zur Frage des Fehlers (im juristischen Sinne) heißt es: "Für das Vorliegen des Fehlers ist unerheblich, ob das Programm völlig zum Erliegen kommt oder ob es nur zu einigen Fehlfunktionen kommen wird. Unstreitig wird es jedenfalls zu nicht nur ganz unerheblichen Gebrauchsbeeinträchtigungen kommen."

Im Zusammenhang mit der Jahr-2000-Fähigkeit von Software sei davon auszugehen, daß die damit verbundene Problematik erstmals im Jahre 1993 durch einen Aufsatz in einer amerikanischen Fachzeitschrift wahrgenommen wurde. Man könne demnach davon ausgehen, daß in Deutschland im Jahre 1993 "allgemein nicht Jahr-2000-feste Programme verkauft wurden".

Ohne Zweifel sei aber das fragliche Programm zur Steuerung der Haustechnik für eine längere, jedenfalls weit über den Zeitraum von fünf Jahren hinausgehende Nutzungsdauer vorgesehen. Dafür spreche auch der hohe Preis. Daher bedeute die vereinbarte Gewährleistungsfrist von fünf Jahren nicht, daß das Programm danach nicht funktionieren müsse. Da die Mängelanzeige innerhalb der Gewährleistungsfrist erfolgt sei, trete keine Verjährung ein, so daß der Softwarehersteller verpflichtet sei, die Jahr-2000-Fähigkeit des Programm kostenlos herzustellen.

Mit dieser ersten Entscheidung eines deutschen Gerichts zur Jahr-2000-Fähigkeit von Software werden einige der bislang offenen Fragen beantwortet. Besonders hervorzuheben ist hierbei die Aussage des Gerichts, daß das Jahr-2000-Problem frühestens 1993 bekannt gewesen ist beziehungsweise als bekannt gelten kann. In der einschlägigen Literatur ging man bislang davon aus, daß die Problematik in der Informatik bereits seit 1988 bekannt war. Diese Auffassung gründet sich nicht zuletzt auf die ISO-Norm 8601, die die Datumsdarstellung in Programmen mit vierstelliger Jahresangabe vorsah.

Das LG Leipzig seinerseits nennt in diesem Zusammenhang den Aufsatz von de Jaeger in der Computerworld - der Mutterpublikation der "COMPUTERWOCHE"- vom 6. September 1993 als Quasi-Referenzdatum, wobei es auch noch eine mögliche Verzögerung des Informationsflusses bis nach Deutschland annimmt. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob die Argumente des LG Leipzig von anderen Gerichten bestätigt werden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig ist und dürfte auch noch den Bundesgerichtshof (BGH) beschäftigen.