PPS: Ein typisch deutscher Fluch für einen Fertigungsbetrieb

03.04.1992

Dr. Gerhard Sauerbrey Geschäftsführer der Weigang Industriedienst GmbH in Würzburg

PPS-Systeme haben in den letzten Jahren eine beachtliche Reife erlangt, wenn man die Entwicklung an den von den Anwendern geforderten Leistungsmerkmalen mißt: Arbeitsplan-Generierung, grafischer Leitstand, belastungsorientierte Auftragsfreigabe, Variantenstücklisten und Ähnlichkeitssuche mittels Sachmerkmalsleiste nötigen auch dem Fachmann Respekt ab. So gesehen ist auch die diesjährige CeBIT wieder eine Show der Superlative gewesen, und wir dürfen annehmen, daß nun endlich die organisatorischen Probleme der deutschen Fertigungsindustrie gelöst sind.

Doch der Schein trügt. Die Praxis sieht völlig anders aus, als uns die Softwaremöglichkeiten glauben machen. In der produzierenden Industrie geht derzeit immer weniger statt mehr: Das beginnt beim Ertrag und endet bei der Lieferbereitschaft. Keine Spur von beherrschter Produktion, primitivster Umgang mit der Variantenproblematik, vagabundierende Bestände, keine Ausschußkontrolle, größte Probleme mit kleinen Losen unzulängliche Verfügbarkeitskontrollen, Dispositionsfehler, DV-Monstren, die die Betriebe lähmen, statt sie zu flexibilisieren, und zahllose andere Probleme.

Selten stand die deutsche herstellende Industrie vor einer ungewisseren Zukunft als jetzt; kaum ein Unternehmen hat es geschafft, die fetten Jahre der gesamtdeutschen Binnenkonjunktur zum Anlegen von Reserven zu nutzen. Europa '93 hat nur eine Handvoll Konzerne in den Griff gebracht; die Kostenstruktur ist ungünstiger als vor zehn Jahren.

15 Jahre PPS-Einsatz haben praktisch keinen rechenbaren Fortschritt gebracht. Sie haben veraltete Aufbauorganisationen verfestigt und zu wettbewerbsschädigender Erstarrung in einem Ausmaß geführt, das nur der Vergleich mit anderen Industrienationen richtig deutlich macht.

Durch die begeisterte Vertiefung in das PPS-Gedankengut

hat die deutsche Industrie einer gefährlichen Nabelschau gefrönt und den Anschluß an das Logistikzeitalter (fast?) verschlafen; zumindest Amerikaner und Japaner sind sage und schreibe zehn Jahre weiter - Holländer und Engländer übrigens auch.

Ich weiß nicht, was noch alles passieren muß, bis deutsche Manager aufwachen und erkennen, daß PPS kein Segen, sondern ein - typisch deutscher - Fluch für einen Fertigungsbetrieb ist.

Ich kann es oft kaum fassen, daß auch Logistik, Just-in-time-Production (JIT) und Lean production in Deutschland erfolgreich unter die PPS-Knute gezwungen werden und es nicht gelingt, dieses Joch endlich abzuschütteln.

Wie lange soll die Selbstbefriedigung in Sachen DV-Einsatz noch dauern, bis auch zwischen Lörrach und Rügen erkannt wird, daß weniger mehr ist und PPS-Systeme in das Deutsche Museum gehören?

Wie oft muß die Alternative noch beschworen werden: eine materialflußorientierte desintegrierte Magersoftware, die in kleinen Organisationseinheiten mit geringem Aufwand die Mindesttransparenz ermöglicht und die über ein Controlling-System integriert wird, das die Übergänge zwischen den Organisationseinheiten überwacht, in der gleichen Weise, wie das heute in der gesamten Volkswirtschaft durch die Finanzbehörden geschieht.

Wieviel Zeit muß noch ins Land gehen, bis unsere hochgepriesenen Manager erkennen, daß eine fundamentale Reorganisation der Betriebe die Voraussetzung für wirklich nachhaltige Verbesserungen ist und daß bis heute gerade der PPS-Einsatz den Blick für diese Notwendigkeit vernebelt?