Durchlaufzeiten können um ein Drittel verkürzt werden:

PPS braucht heute den direkten Fühler in die Fertigung

10.06.1988

Die bisher eingesetzten PPS-Systeme werden den heutigen Anforderungen der Betriebe längst nicht mehr gerecht. Sie können guten Gewissens nur als Steuerungssysteme dienen. Denn den konventionellen PPS-Systemen fehlt meist eine entscheidende Komponente: der Fühler direkt in die Fertigung.

Diesen wesentlichen Nachteil haben die Hersteller von PPS-Systemen durch die Kopplung von PPS/BDE-Software zu kompensieren versucht. Das ist jedoch nur zum Teil gelungen, da die PPS-Systeme kaum in der Lage sind, die vom BDE-Rechner kommenden Daten direkt zu verarbeiten. Die Verbindung vom Host zum BDE-Rechner entspricht in den seltensten Fällen einem Ebenen-Konzept. Die Rechnerkopplungen erlauben keine Direktverbindung der Daten, da sie meistens lediglich Batchverbindungen sind.

Da jedoch die Problematik im Betrieb eine Echtzeitverarbeitung der Daten erfordert, wurden die Nachteile der PPS-Systeme durch die Erweiterung der BDE-Software zum Betriebsdaten-Verarbeitungssystem teilweise kompensiert. Die Schwachstelle liegt also auf der PPS-Ebene, da die Systeme von der Voraussetzung ausgehen, daß ein einmal festgelegter Terminplan auch so im Betrieb durchzusetzen ist. Flexible Reaktion ist nicht möglich.

MRP-Methode allein macht noch kein PPS

Ein weiterer wesentlicher Nachteil alter Planungs- und Steuerungssysteme ist die alleinige Unterstützung der Ziele des Manufacturing Ressource Planning (MRP). Die PPS-Systeme arbeiten dabei nach einem Ebenenkonzept beginnend mit der Grobplanung. Danach erfolgt die Feinplanung und letztlich der Versuch der Durchsetzung des Geplanten. Damit gehen diese Systeme von deterministischen Betriebsverhältnissen aus, obwohl die meisten Fertigungsprozesse stochastischer Natur sind; das heißt, sie sind vom zeitlichen anfallen her gesehen, nicht vorher zu bestimmen.

Durch die Universität Hannover wurde über diese Tatsache eine Untersuchung über 12 000 Arbeitsgänge im Betrieb durchgeführt. Nur die Hälfte aller Arbeitsgänge wurden ordnungsgemäß gemeldet. Alle anderen enthielten Fehler, wie zum Beispiel die Meldung nach Fertigstelltermin.

Die Zielsetzungen eines modernen Produktionsunternehmens sind gekennzeichnet durch hohe Flexibilität hinsichtlich Kapazität, Technologie und Struktur, Attraktivität bezogen auf die Belastung der Mitarbeiter, den erweiterten Arbeitsinhalt und die moderne Entlohnungsform. Weiterhin an der Spitze der Zielsetzungen steht nach einer Umfrage unter den deutschen Unternehmen die Produktivität.

Die Ziele der Fertigungssteuerung sind über die Jahre hinweg die gleichen. Hohe Termintreue, niedrige Bestände, kurze Durchlaufzeiten und hohe Auslastung waren schon vor zehn Jahren die gesteckten Ziele der Fertigungssteuerung.

Die Gewichtung der einzelnen Ziele hat sich jedoch stark verschoben (Abb. 1). Stand in der Vergangenheit die hohe Auslastung der Maschinen und Anlagen im Vordergrund, so sind es heute die Faktoren hohe Termintreue innerhalb der Auftragserfüllung, niedrige Bestände in Roh-, Halb- und Fertigfabrikaten und kurze Durchlaufzeiten.

Die Gewichtung der Ziele hat sich parallel zu dem geänderten Käuferverhalten verschoben. Die Differenzierung innerhalb der Kundenansprüche bezogen auf das Produkt, hat in der Produktion zur Gewichtsverschiebung geführt.

Im Vordergrund steht die Verkürzung der Durchlaufzeit und damit die Reduzierung der Bestände. Das kann unter anderem durch eine besondere Art der Auftragsfreigabe im PPS-System erreicht werden. Erst wenn alle notwendigen Komponenten vorhanden sind, wird der Auftrag zur Produktion freigegeben.

Wichtigstes Ziel moderner PPS-Systeme muß die Abbildung des Produktionsprozesses auf Grund seines stochastischen Verhaltens innerhalb des Rechners sein. Dies trifft umso mehr zu, wenn Serien, Kleinserien oder Einzelanfertigungen innerhalb des Fertigungsprogrammes bearbeitet werden müssen. Es ist völlig sinnlos, immer mehr Aufträge in den Betrieb zu "pumpen", ohne vorher geprüft zu haben, inwieweit die Aufträge durchgeführt werden können. Diese Vorgehensweise führt zu den bekannten Materialstaus in der Fertigung und zu unnötig hohen Zinsbelastungen, verursacht durch die Materialbestände.

Deshalb müssen alle Komponenten geplant werden, die zur Auftragserfüllung notwendig sind. Das ist in jedem Falle mehr, als die Komponente Material. Sie ist nur ein Teil der notwendigen Ressourcen. Auf gleicher Stufe der Komponentenhierarchie stehen die Betriebsmittel wie Maschinen, Vorrichtungen und Werkzeuge.

Auch die Mitarbeiter müssen geplant werden. Dieser Teil der Planung ist besonders wichtig, wenn zur Bedienung einer Maschine oder zum Rüsten ganz spezielle Kenntnisse notwendig sind. Das PPS-System muß, analog zum Fertigungsgeschehen, die gleiche Flexibilität aufweisen.

Der Schwierigkeitsgrad der Planung und Steuerung von Fertigungsprozessen sinkt mit zunehmender Produktion nach dem Flußprinzip mit hohem Automatisierungsgrad, das heißt die Teile werden weitestgehend ohne menschliches Einwirken produziert und von Station zu Station ohne Beeinflussung durch die Mitarbeiter transportiert. In diesem besonderen Fall kann sich der Verantwortliche für die Planung und Steuerung auf echte Engpässe konzentrieren.

Wie bereits erwähnt, sind die Ziele der Fertigungssteuerung die gleichen geblieben, lediglich die Gewichtung hat sich verschoben. Diese Gewichtung kann sich auch von Fall zu Fall oder besser gesagt "zeitraumbezogen" zugunsten einer hohen Maschinenauslastung verschieben. Dann muß sich ein Planungs- und Steuerungssystem darauf einstellen können, das heißt Aufträge müssen auch dann freigegeben werden, wenn nicht alle Komponenten verfügbar sind. Der alte "Terminjäger" muß wieder an die Front und durchsetzen, was im Stadium der Planung als nicht durchsetzbar schien.

Mit der Reduzierung von Durchlaufzeiten werden natürlich sofort die Werkstattbestände hinsichtlich der Halbfabrikate gesenkt. Das wird durch das schnellere Fließen der Materialien erreicht. Es ist daher unumgänglich, daß die Durchlaufzeiten im Betrieb ermittelt werden.

Das ist im Prinzip leichter gesagt als getan. Hier muß zunächst einmal der Begriff der Auftragsdurchlaufzeit erläutert werden, da er im Betrieb unterschiedlich definiert wird. Fragt man nämlich Mitarbeiter nach der Höhe der Durchlaufzeit im Betrieb, so schwanken die Werte erfahrungsgemäß zwischen drei Tagen und drei Wochen.

Würde man aufgrund solcher Zahlen die Kapazität einer DV-Anlage auslegen, ist der Mißerfolg vorprogrammiert. Denn es liegt nun einmal in der Natur der Sache, daß die Aufträge über die Länge ihrer Durchlaufzeit im Rechner aktiv gehalten werden müssen (Abb. 2). Eine wesentliche Rolle spielt hierbei die Auftragszeit, die Summe aus Rüstzeit und Bearbeitungszeit ist. Die Auftragszeit kann relativ genau geplant werden. Sie wird in den Komponenten Rüstzeit und Zeit je Einheit durch die Refa-Zeitaufnahme oder durch Planzeiten ermittelt. Beide Zeitarten sind Vorgabezeiten. Diese Zeitanteile innerhalb der Durchlaufzeit sind jedoch prozentual gesehen gering. Für die Fertigungssteuerung wesentlich bedeutender sind die Liegezeiten.

Umso erstaunlicher ist die Tatsache, daß sich die meisten Betriebe intensiv um die Vorgabezeiten kümmern und die Liegezeiten als unabdingbares Übel hinnehmen. Diese Denkweise findet man auch in den meisten PPS-Systemen verankert. Dort wird mit durchschnittlichen Durchlaufzeiten gerechnet, die dazu noch geschätzt sind.

Allein aus der Tatsache, daß die Durchlaufzeiten von Arbeitsgang zu Arbeitsgang enorm schwanken, zeigt sich, wie zweifelhaft eine Feinterminierung im Auftragsplanungsstadium ist, wenn mit durchschnittlichen Durchlaufzeiten gerechnet werden muß.

Durchlaufzeiten können auf verschiedene Art und Weise ermittelt werden. Als wirtschaftlichste Methode hat sich die Multimomentaufnahme erwiesen. Dabei werden innerhalb von Betriebsrundgängen die Auftragsfortschritte auf Arbeitsgangebene per Strichliste erfaßt. Durch die Häufigkeit der Notierungen wird eine ausreichende statistische Genauigkeit erreicht, so daß die Zahlen qualitativ als gesichert verwendet werden können.

Innerhalb der Realisierung eines PPS-Systems im Betrieb müssen diese Durchlaufzeiten und ihre Veränderungen fest im Auge behalten werden. Sie sind einer der quantifizierbaren Wirtschaftlichkeitsfaktoren, die über Erfolg oder Mißerfolg des Projektes Auskunft geben.

Ein weiteres großes Problem der Fertigungssteuerung sind die relativ großen Material- und Auftragsbestände in der Werkstatt. Wer hat hier noch die Übersicht über begonnene, zurückgestellte oder unterbrochene Aufträge/Arbeitsgänge. Ganz gravierend wird das Problem, wenn sich die Teile in ihrem Design und ihren Maßen nur gering unterscheiden. In der Regel werden zwar von der Fertigungssteuerung Arbeitsbegleitpapiere ausgestellt, sie werden aber selten benutzt. Erschwerend dazu ist auch die Tatsache, daß der Auftrag oftmals mehrere Transportbehälter umfaßt.

Dann kann auch der Meister alleine durch Hinsehen nicht mehr unterscheiden, welcher Auftrag wo steht. Die Teile müssen vermessen werden was natürlich die Kalkulation belastet und zu Arger im Betrieb führt.

Eines der wesentlichen Ziele eines Planungs- und Steuerungssystems muß also die Verkürzung der Durchlaufzeit sein. Tatsache ist jedoch, daß die Rüst- und Fertigungszeiten nur durch die menschliche Mehrleistung in Verbindung mit einem Leistungslohn beeinflußt werden können. Das heißt, daß die in den Arbeitsplänen verankerten Vorgabezeiten, die ja auch als Planzeiten bezeichnet werden können, in der Regel bis zu 25 Prozent oder mehr zeitlich unterboten werden. Dieser Faktor, der auch als Zeitgrad bezeichnet wird, muß innerhalb der Durchlaufzeitermittlung berücksichtigt werden.

Die Fertigungszeit ist durch die Fertigungssteuerung nur unwesentlich zu beeinflußen. Sie ist ja auch von der Zeitdauer her gesehen der geringere Anteil an der Durchlaufzeit. Wesentlich mehr Effekt bietet die Reduzierung der Liege- und Übergangszeiten. Sie stellen den "großen Brocken" der Durchlaufzeit dar.

Ein PPS-System muß die Möglichkeit bieten, den Auftragsbestand an den jeweiligen Arbeitsplätzen/Maschinen so zu steuern, daß auf der einen Seite ein Leerlauf vermieden wird und auf der anderen Seite ein Minimum an Durchlaufzeit erreicht wird. Das heißt, der Auftragszugang und -abgang müssen sich weitestgehend die Waage halten.

Der Anwender muß demnach PPS-Systeme einsetzen, die innerhalb ihrer Systemphilosophie die Schiebelogik zugunsten der Fertigungssteuerung mit Hilfe von Belastungsschranken aufgegeben haben. Was heißt das? Innerhalb der konventionellen PPS-Systeme existiert keine Belastungsschranke. Die Aufträge werden in der Erwartung, daß der geplante (errechnete) Termin von der Fertigung eingehalten wird, in den Betrieb "geschoben". durchboxen ist nicht der richtige Weg

Naturgemäß entstehen durch unvorhersehbare Einflüsse Terminverschiebungen. Wenn diese bekannt werden, was nicht zwangsläufig sein muß, werden Maßnahmen von der Fertigungssteuerung eingeleitet. Eine Unterminierung ist oft aus EDV-technischen Gründen nicht möglich, so daß die Aufträge/Arbeitsgänge mehr oder weniger durch persönliche Stärke der Verantwortlichen "durchgeboxt" werden. Das kann nicht der richtige Weg sein!

Wesentlich effektiver und harmonischer ist das Planen und Steuern mit PPS-Systemen, die belastungsorientierte Auftragsfreigabe beinhalten. Nach dieser Philosophie werden die Aufträge beziehungsweise Arbeitsgänge nicht mehr einfach in die Fertigung gedrückt, sondern ohne Reibungsverluste werden nur soviel Aufträge für den Betrieb freigegeben, wie dieser auch verarbeiten kann.

Aufschreibungen in Unternehmen, die bereits mit ähnlichen PPS-Systemen arbeiten, zeigen, daß die durchschnittliche Durchlaufzeit um bis zu 35 Prozent reduziert werden kann. Die Anlagenkapazität kann in günstigen Fällen bis zu 22 Prozent über den gewohnten Zahlen liegen. Das sind keine Phantasiezahlen, sondern echte Betriebsdaten. Daneben kann man natürlich eine Reihe schwer quantifizierbarer Nutzenfaktoren, wie zum Beispiel weniger Rückfragen, erzielen; sie sind jedoch kaum monetär definierbar.