Mehrwertdienste im Wettbewerb mit privaten Anbietern (Teil 2)

Postreform: Die Telekom muß ihre Dienste neu überdenken

29.03.1991

Die Postreform sollte eine Liberalisierung des Dienstleistungsangebots der Telekom nach sich ziehen. Diese zentrale These machen Oswald Ludwig und Hans-Detlev Schulz zumindest für die Telekom-Zielgruppe Büro-Anwender geltend. Im zweiten Teil ihres Aufsatzes wollen die Autoren auf der Basis einer grundlegenden Identifikation der Bedarfsfelder für die Telematikdienste klären, wie der zukünftige Bedarf mit einem erneuerten Diensteverständnis der Telekom in Einklang gebracht werden kann.

Durch das Zulassungsverfahren der Deutschen Bundespost wird die Kompatibilität der Endgeräte und die Qualität der Dienstleistungen garantiert. Der Wettbewerb unter den Herstellern ist oberhalb dieser Grundanforderungen plaziert. Unstrittig ist sicher die Kompatibilitätsanforderung; eine zu restriktive Auslegung der technischen Anforderungen birgt jedoch die Gefahr in sich, daß die Hersteller in der Produktgestaltung stark eingeschränkt werden und unter Umständen keine preis- und marktgerechten Lösungen anbieten können.

Auf dem Weg zur Liberalisierung

Erste Bemühungen im Sinne einer Liberalisierung sind bereits zu verzeichnen. Seit kurzem existieren zwei unterschiedliche Zulassungsverfahren bei den Endgeräten. Für Endgeräte der Gruppe A gilt das bisher gewohnte Verfahren. Dagegen ist bei Endgeräten der Gruppe B die Konfiguration Gestaltung der Benutzeroberfläche weitgehend dem Hersteller überlassen, garantiert wird hauptsächlich die Protokoll-Kompatibilität. Das zweistufige Zulassungsverfahren wird letztlich zu einer breit gefächerten Angebotspalette führen, in der sowohl preisgünstige PC-Lösungen als auch teure, komfortable Anlagen ihren Platz haben.

Diese Liberalisierung ist ein Schritt in die richtige Richtung, denn sie bedeutet den freien Wettbewerb im Endgerätebereich unter Wahrung der Protokollkonformität. Das mehrstufige Dienstekonzept beinhaltet letztlich die Abkehr vom dedizierten Dienste-Endgerät und die Hinwendung zu einem für die jeweils gewünschte Anwendung konfigurierbaren Mehrdienste-Endgerät. Dieses ist dann nicht durch den Hersteller neu zu entwickeln, sondern wird durch entsprechende Software auf einer bereits beim Kunden existierenden Hardwarekonfiguration realisiert werden können.

Ein anderer Aspekt der Liberalisierung hat sich aus der europäischen Integration entwickelt. In sogenannten Eurolabs werden derzeit Normenkonformitäts-Prüfdienste eingerichtet, die auch die etablierten Telematikdienste abdecken. Die dort in Kooperation mit der Zertifizierungsstelle erstellten Zertifikate ersetzen gegenwärtig zwar noch nicht die nationale Zulassung, es ist jedoch für die Zukunft absehbar, daß der Stellenwert einer Zertifizierung im Vergleich zur Zulassung steigen wird.

Die Problematik, die das Anschlußmonopol aufwirft, zielt auf den Kern des herkömmlichen Diensteverhältnisses Dadurch, daß nur Vertrauenspersonen des Dienstbetreibers die Endgerätekennung vor Ort einstellen dürfen, wird garantiert, daß eine Kommunikation mit anonymen Endgeräten nicht stattfindet. Einen solchen Vorteil aufzugeben, fallt schwer. Aber man muß sich natürlich auch seitens Telekom fragen, was denn einen Mehrwert (in Form einer Grundgebühr) rechtfertigt, wenn beispielsweise zwei Endgeräte am ISDN Ende-zu-Ende miteinander kommunizieren und die Kommunikationsoftware "zufällig" zu einer im Dienst benutzten identisch ist?

Folgerichtig kann das zukünftige Dienstleistungskonzept nicht auf eine abgestufte Teilnahme am Dienst (Kategorie A und B) beschränkt bleiben Es muß vielmehr berücksichtigen, daß es voraussichtlich auch zu einer Kommunikation von Endgeräten kommen wird, von denen eines am Dienst teilnimmt ("dienstgut"), das andere aber nur im Protokollverhalten eine Kommunikation ermöglicht. Die offizielle Teilnahme am Dienst muß demnach eine definierte Leistung beinhalten, die mehr ist als der bloße Austausch von Daten.

Die dritte gravierende Einschränkung im bisherigen Dienstekonzept ist die Zuordnung der einzelnen Telekom-Diensten zu bestimmten Netzen. Diese Netzabhängigkeit hat in der Vergangenheit dazu geführt, daß Dienste nicht in einander ergänzender Weise, sondern oft in konkurrierender Weise betrieben und beim Anwender konkurrierend eingesetzt wurden Der Nutzer war es letztlich auch, der hierfür zur Kasse gebeten wurde, aber auch die Telekom hat mit einer niedrigeren Akzeptanz der Dienste einen nicht minder hohen Preis bezahlt. Gefordert ist also eine Technik, die Netzunabhängigkeit garantiert und damit die Integration verschiedener Dienste unterstützt.

ISDN ist als integriertes Netz für alle Dienste auserkoren. Trotz aller technischen Kapazität kann ISDN, flächendeckend angeboten, nur die mittel- bis langfristige Lösung darstellen. Kurzfristig ist jedoch genau das Gegenteil wichtig, nämlich: Der Benutzer muß jeden Dienst mit seinem gerade verfügbaren Netzzugang erreichen können! Um diese Netzunabhängigkeit zu fördern, sollten zwei technische Komponenten forciert werden. Zum einen eine herstellerneutrale Schnittstelle oberhalb der Netzschicht und zum anderen ein OSI-Protokoll-Stack oberhalb Schicht 3, auf den die neutrale Schnittstelle Bezug nimmt. Der Protokoll-Stack oberhalb des Netzzuganges - also die Realisierung der Schichten vier bis sieben nach dem OSI-Referenzmodell - ist zugleich die zweite wesentliche technische Komponente, die einer Erörterung bedarf.

Die Entscheidung der Postgesellschaften zugunsten der OSI-Protokolle war und ist aus folgenden Gründen richtig: OSI garantiert die Herstellerunabhängigkeit und unterstützt die Netzunabhängigkeit für Büroanwendungen. Darüber hinaus sichert der Standard globale Verfügbarkeit. Lange Zeit war unklar, was gemeint war, wenn verschiedene Gruppen von OSI sprachen. Der CCITT hatte die Telematikprotokolle für die Dienste entwickelt, während die ISO parallel einen nicht ganz identischen Weg ging, der ebenfalls im CCITT in der X.200 Empfehlungsreihe standardisiert wurde.

Integrierte Protokollplattform

Die höheren Telematikprotokolle wurden vom CCITT in ein Basisprotokoll der X.-Empfehlungsreihe und Anwendungsregeln der T.-Empfehlungsreihe aufgespalten. Damit können die Dienste jetzt bitkompatibel die identischen OSI-Protokolle verwenden wie andere Anwendungen. Zusätzlich wurden die neuen Dienstoptionen mit dem DTAM-Protokoll ausgestattet, das parameterweise die gleichen OSI-Schichten nutzt wie MHS und auf der Anwendungsebene die zusätzliche Aushandlung der Dienstgüte erlaubt.

Zusammenfassend kann also festgehalten werden: Für alle Telematikdienste, deren Technik auf Basis der T.400- (incl. T.62- und T.70-) und X.400-Empfehlungsreihen realisiert ist, existiert heute eine integrierte Protokollplattform für alle kommunikationsrelevanten Komponenten bis hinein in die OSI-Anwendungsschicht. Für diese Protokollplattform entstehen gegenwärtig Softwarelösungen.

Auch der nächste notwendige Schritt, die Akzeptanz der geschilderten Technik zu erhöhen, ist evident. Die Protokollplattform muß nach oben mit einer einheitlichen, diensteunabhängigen, standardisierten und für die Implementierer von OSI-Anwendungen verfügbaren Schnittstelle abgeschlossen werden. Gemeinsam mit France Telecom hat die Telekom bereits eine sogenannte "COMM/APPLI"-Schnittstelle zunächst für den Teletexdienst ausgearbeitet. Diese Schnittstelle sollte in Zukunft kooperativ mit anderen Gremien auf X.400 und T.400 erweitert werden, damit der Anwendungsprogrammierer und der Enduser von Protokollfragen unabhängig ist und sich auf die Handhabung seiner Applikation beschränken kann.

Abschied vom dedizierten Diensteendgerät

Die letzte und entscheidendste Komponente einer zukünftigen Technik der Telematikdienste ist die durch den jeweiligen Dienst repräsentierte Anwendung selbst. Auch hier ist ein neuer und für den Endanwender begrüßenswerter Trend zu verzeichnen. Die Erkenntnis daß die überwiegende Anzahl der Bürotätigkeiten letztlich mit dem Austausch von Dokumenten befaßt ist, hat im CCITT zur Spezifikation protokollunabhängiger Telematikanwendungen unter dem Begriff "Dokumententransferdienste" geführt. Dokumententransfer kann als Option verschiedener Dienste (Telefax, Teletex, MHS) den Austausch beliebiger Dokumente, bestehend aus Bildern, Grafiken, Texten und Sprache, isoliert oder gemischt (kodiert nach ODA/ODIF) realisieren.

Als Fazit kann also festgehalten werden: Für eine Zukunft der Telematikdienste, die kommerziell erfolgreich sein will, ist zu fordern, daß die drei Aspekte der Dokumenten-Kommunikation in einem liberalisierten Dienstekonzept angeboten werden. Dieses sollte sich auszeichnen durch ein endgültiges Abschiednehmen vom dedizierten Diensteendgerät. Die Dokumenten-Kommunikation wird zukünftig über beliebige Geräte in Anspruch genommen und durch entsprechende Software für bestimmte Anwendungen konfiguriert werden können.

Es sei hier nur am Rande darauf verwiesen, daß die Industrie bereits weitaus eher vom dedizierten Diensteendgerät Abstand genommen hat, als die Telekom bereit war, ihre Strategie diesbezüglich zu überprüfen. Nicht zuletzt die Konkurrenz der verschiedenen Dienste über verschiedene Netze hatte dies allzu lange verhindert.

Die Bündelung der einzelnen angebotenen Dienstleistungen wird das Produkt der Zukunft formen, einen Dienst, aber kein bestimmtes Gerät oder begleitende Regularien, wie sie im heutigen Erscheinungsbild noch existieren. Auf dieser Basis werden die Telematikdienste auch weiterhin eine gute Chance im Markt besitzen, selbst wenn deren Charakter sich ändert und das Engagement der Telekom flexibler und liberaler sein wird als in der Vergangenheit.