Bilaterale Telecom-Handelsgespräche zwischen Washington und Bonn:

Post signalisiert US-lndustrie Marktöffnung

13.12.1985

MÜNCHEN (cmd) - Der bundesdeutsche Fernmeldemarkt wird künftig durch eine Reihe von Liberalisierungsschritten bessere Zugangschancen für US-Unternehmen bieten. Auf diesen Nenner einigten sich die deutsche und die amerikanische Regierungsdelegation bei ihren zweitägigen "Fact finding talks" auf Expertenebene in München.

Im Mittelpunkt der Gespräche, die beide Seiten ausdrücklich nicht als Verhandlungen gewertet wissen wollten, stand der Vorwurf der Amerikaner, die Deutsche Bundespost schotte durch restriktive Zulassungspraktiken den hiesigen Markt gegen mißliebige Konkurrenz aus den Staaten ab und behindere durch monopolistisches Verhalten zudem den technologischen Fortschritt bei der Entwicklung neuer

Telekommunikationsdienste. Auf eben diesem Feld will Washington aber einen gewichtigen Teil seines Handelsbilanzdefizits von weltweit 150 Milliarden US-Dollar abbauen. Dabei sind jedoch aus Sicht der Vereinigten Staaten die europäischen Fernmeldeverwaltungen, mit Ausnahme der bereits privatisierten British Telecom, das Haupthindernis. Die Unterredungen mit der Deutschen Bundespost, die als eine der konservativsten Verwaltungen gilt und auch innenpolitisch unter besonders starkem Druck steht, bildeten lediglich den Auftakt zu weiteren Konsultationen mit den anderen europäischen Handelspartnern.

Obwohl es, wie die amerikanische Delegation vor der Presse betonte, "keine direkten Verhandlungsziele" gab, signalisierten die Bonner Vertreter aus dem Post-, dem Wirtschafts- und dem Außenministerium Entgegenkommen. Arnold Dohmen, Unterabteilungsleiter Kassenwesen, Betriebswirtschaft, Einkauf im Hause Schwarz-Schilling, skizzierte die wesentlichen Punkte:

- Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge werden innerhalb der EG einheitliche Vergaberichtlinien zugrundegelegt, die US-Unternehmen "absolute Gleichbehandlung" für den Zugang zum deutschen Markt garantieren.

- In ihrer Mietleitungspolitik wird die Bundespost in absehbarer Zeit einen liberaleren Kurs einschlagen, da die nutzungsabhängige Tarifierung für die Gebührenharmonisierung zwischen Fest- und Wählleitungen sorgt. Eine gleichzeitige "Nutzungsliberalisierung" erlaubt die freizügige Zusammenschaltung verschiedener Netze und damit eine Netznutzung durch andere Dienste-Anbieter.

- Der Betrieb von Value Added Services (Mehrwert-Dienste)-Anbietern wird zugelassen.

- Bei internationalen Mietleitungen beabsichtigt die Post, die bestehenden Restriktionen aufzuheben und die bereits im Rahmen eines Tests erprobte zeitabhängige Tarifierung anzuwenden. Auch hier soll die freizügige Zusammenschaltung mit anderen Netzen realisiert werden.

- In puncto Zulassungspolitik bei Endgeräten ist eine weitere Verselbständigung der Zentralen Zulassungsstelle für das Fernmeldewesen (ZZF) in Saarbrücken ins Auge gefaßt; darüber hinaus sollen die Zulassungen beschleunigt werden.

- Alle relevanten und geltenden Zulassungsbestimmungen werden zusammengefaßt und damit das Zulassungsverfahren "transparenter gestaltet".

- Innerhalb der EG wird ein vereinfachtes Zulassungsverfahren für Endgeräte nach einheitlichen Richtlinien eingeführt.

- Bei der angestrebten Liberalisierung im Endgerätebereich sei mit den multifunktionalen Endgeräten und dem schnurlosen Telefon ein erster Schritt getan. Für die neuen ISDN-Nebenstellenanlagen werden künftig keine starren Kategorien nach Baustufen mehr gelten, sondern es wird nur noch eine Einteilung nach Größenklassen geben. Darüber hinaus müssen diese Systeme nur noch bestimmten Mindestanforderungen genügen, weitergehende Leistungsmerkmale können je nach Konzeption des jeweiligen Herstellers auch unterschiedlich realisiert sein.

Große Differenzen zwischen den beiden Partnern

Die gemeinsame Pressekonferenz der beiden Delegationen machte allerdings trotz dieses Maßnahmenkatalogs deutlich, daß es nach wie vor große Differenzen zwischen Deutschen und Amerikanern gibt: Zwar betonten beide Seiten, die Gespräche seien "in erfreulich guter Atmosphäre" verlaufen und "geprägt gewesen durch hohen Sachverstand", man habe auch "Mißverständnisse" ausgeräumt und "das Verständnis für die unterschiedlichen Positionen auf beiden Seiten verbessert", doch auf eine gemeinsame Presseerklärung konnte man sich nicht einigen.

So unterstrich die deutsche Seite nachdrücklich, daß man nicht amerikanischem Druck nachgegeben habe. Dieter Wolf, Unterabteilungsleiter Industriepolitik im Wirtschaftsministerium, erklärte beispielsweise: "Die Tatsache, daß wir Gespräche geführt haben, bedeutet noch keineswegs, daß wir den Vorwurf des Protektionismus auch anerkennen."

BPM-Mann Dohmen ergänzte, Liberalisierung könne nur eine langsame Entwicklung sein, die ohne irgendwelche Drohungen zustandekomme. Im übrigen sei die deutsche Fernmeldepolitik eingebettet in den EG-Rahmen.

Die amerikanische Delegation ihrerseits machte keinen Hehl daraus, daß die Münchner Ergebnisse allenfalls ein erster Schritt in die von ihr propagierte Liberalisierungsrichtung seien. Von einem Durchbruch, so hieß es, könne keineswegs schon die Rede sein. Dies dürfte aber für die USA auch über kurz oder lang schwer zu erreichen sein: Trotz ihres weltweiten Handelsbilanzdefizits können nämlich die Vereinigten Staaten gegenüber der Bundesrepublik auf dem Sektor Informationstechnik ein Plus zu ihren Gunsten verbuchen. Nach einer Erhebung des Federal Statistical Office der USA importierten die Deutschen 1984 im Telecom-Bereich Waren für 143,1 Millionen Dollar, während der Export sich auf 54,3 Millionen US-Dollar belief.

Hohes DV-Handelsdefizit auf seiten Bonns

Noch wesentlich ungünstiger sieht die Bilanz auf dem DV-Sektor aus: Hier führte die Bundesrepublik Güter im Wert von 1,321 Milliarden Dollar ein, exportiert wurde dagegen nur in Höhe von 242,2 Millionen US-Dollar. Beide Bereiche zusammengenommen, ergab sich gar ein Handelsbilanzdefizit von 1,167 Milliarden Dollar zu Lasten Bonns. Die entsprechenden Werte für das erste Halbjahr 1985 unterstreichen diesen Trend.