Der Zwang zur Innovation und seine Folgen:

Post sendet Warnsignale aus dem FTZ

30.04.1982

Viel, vielleicht, zuviel, vorgenommen hat sich die Deutsche Bundespost für die nächsten Jahre. Ohne Delegation von Teilaufgaben und ohne den Zugriff auf das Know-how bedeutender Hardware- und Software-Produzenten lassen sich komplexe Projekte wie zum Beispiel Teletex, Bildschirmtext und Datex-P parallel mit grundlegenden Veränderungen der Netzstruktur nicht realisieren.

Nun, Delegation richtig gehandhabt bedeutet ja Aufgabenvergabe, wobei die Richtung vorgegeben, laufend kontrolliert und im Bedarfsfalle korrigiert werden muß. Eine Vergabe von Aufgaben heißt aber nicht, daß man sich damit der Verantwortung dafür entziehen kann. Wer glaubt, fehlenden Durch- oder Überblick durch Delegation ersetzen zu können, wird mit großer Wahrscheinlichkeit Wunderliches erleben. Die Kollegen vom Bundesverteidigungsministerium sind, auf Sachen Tornado rückblickend, sicher in der Lage, dem Bundespostministerium einige gutgemeinte Verhaltensregeln zu vermitteln.

Beim Fernmeldetechnischen Zentralamt (FTZ), der planenden und federführenden Institution in Sachen technologische Entwicklung, glauben Insider, erste Warnsignale erkennen zu können.

Verhandlungen über die Anwendung von Hardware- oder Softwaretechnologie erwecken sehr oft den Anschein, daß der Auftraggeber gerade erst laufen gelernt hat oder noch gar nicht laufen kann, aber schon am Hürdenlauf teilnehmen will. Für den Verhandlungspartner aus dem Lager des Anbieters kein gutes Gefühl, denn er ist nicht sicher, ob der Anbieter mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis den Zuschlag erhält oder gar der Anbieter, der gegen sein besseres Wissen den Gehschülern vermitteln kann, daß sie mit ihm als Trainer den ersten Preis gewinnen werden, Gehört der Trainer ohnehin schon zu den Großen, wie die großen drei Buchstaben in Sachen Bildschirmtext, wird nach dem Trainingskonzept nicht mehr so ausführlich gefragt.

Den abgewiesenen Bewerbern fällt es immer schwerer, plausible Erklärungen zum Selbsttrost zu finden.

Erwarb die Deutsche Bundespost in den letzten Jahren Datenübertragungseinrichtungen wie Modems, die das Mehrfache an Ausmaß und Gewicht von vergleichbarer Technologie aufweisen, so assoziierte man wirtschaftliche Zusammenarbeit auf europäischer Ebene.

Schwieriger dagegen ist die Suche nach Argumenten für den Kauf solcher Meß- und Analysegeräte für Datenübertragungsstrecken, die trotz jahrelanger Software-Entwicklung nicht annähernd den heutigen Ansprüchen gerecht werden. Zur Not bleibt nur der Slogan: "Aus deutschen Landen frisch auf den Tisch." Einige Kenner der Branche sprechen da von Amtshilfe in bezug auf die steigende Arbeitslosigkeit in Deutschland.

Um so verwirrter mußten diese Branchenkenner aber sein, als sie bemerkten, daß einiges plötzlich in die andere Richtung läuft. Verzweifelt sucht man nach verständlichen Gründen für die Vergabe von Aufträgen im Diagnosebereich, deren Anbieter bislang weder mit dem Vertrieb noch mit dem Service in der Bundesrepublik präsent waren. Und dies, zumal es einige hiesige Anbieter mit zweifelsohne besserem Preis-Leistungs-Verhältnis gibt, die in Form von zu zahlenden Steuern ihren Beitrag zur Ankurbelung der deutschen Wirtschaft leisten.

Unbestätigten inoffiziellen Berichten zufolge bieten ausländische Anbieter ohne deutsche Niederlassung einen wertvollen Vorteil: Normalerweise erfordern Schulungen in Sachen Programmierung einige Tage Aufenthalt beim Anbieter, aber leider nur innerhalb unserer Staatsgrenzen. Auch wenn sich Zertifikate mit internationalem Aussehen hervorragend zur Wanddekoration eignen - der aufmerksame Beobachter macht sich sicher Gedanken darüber, ob man für ein paar Tage Programmierschulung 10 000 Flugkilometer zurücklegen muß.

Der Gerechtigkeit wegen muß erwähnt werden, daß es sich hierbei wie gesagt nur um Auswüchse handelt. Wo Kritik gerechtfertigt ist, muß auch Platz für Lob sein.

Bei manchen Wettkämpfen im Innovationswettstreit zeigt die Anzeigetafel einen Punktevorsprung für die Deutsche Bundespost. Zum Thema paketvermittlung als wesentlicher Fortschritt in Richtung gerechte Gebührenverteilung, wo die Berechnung nicht nach der Entfernung der Übertragungseinrichtungen sondern nach der Menge der zu übertragenden Informationen erfolgt, gilt für einige Hersteller, und leider auch für die großen unter diesen, oftmals die Devise: Alle reden darüber, kaum einer kann und tut es. Zu oft versucht man der Bundespost den schwarzen Peter zuzuspielen, etwa mit der Begründung:

Da gibt es noch viele Probleme beim Betrieb des Netzes, die Durchsetzzeiten sind zu lang und ähnliches. Das alles klingt nicht so sehr glaubwürdig wie immer, wenn man über Erfahrungen spricht, die man noch gar nicht gemacht hat.

Lobenswert zu erwähnen ist ebenfalls der Wandel in der Einstellung der Postbediensteten gegenüber dem Kunden. Die jüngere Generation im Heer der Postbediensteten scheint begriffen zu haben, daß man auch für den Kunden da sein muß, und nicht umgekehrt. Einem Kundenkreis, der Jahr für Jahr viele Millionen D-Mark für die Bereitstellung von Datenübertragungsnetzen in die Postkasse einbringt, kann und muß hie und da einmal unbürokratisch geholfen werden. Wenn Kommunikationstechnologie die Wettbewerbsfähigkeit inländischer Unternehmen gegenüber dem Ausland erhöhen soll, so darf diese nicht durch allzu bürokratische Zulassungsverfahren eingeschränkt werden. Es lohnt sich sicher, das Monopolauge - wenn notwendig - auch einmal zuzudrücken, um den gesunden Menschenverstand über die Bürokratie zu stellen.

Um so erfreulicher, wenn man in Anwenderkreisen oftmals den zuständigen Netzkoordinator und seine Gehilfen als vollwertige Verhandlungspartner akzeptieren kann. Nur ein derart partnerschaftliches Verhältnis kann die Basis für die Bewältigung aller Probleme sein, die jetzt und künftig auf die Beteiligten zukommen. Bei der Einführung des integrierten digitalen Datenübertragungsnetzes gibt es schon jetzt und sicher auch in naher Zukunft erhebliche technische Probleme. Vom Anwender kann man kaum erwarten, daß er Verständnis für diese Probleme aufbringt, wenn die Bundespost nicht gleichfalls Verständnis für die Probleme des Anwenders zeigt und Hilfe anbietet.

Ob derartige der gemeinsamen Sache dienende Agreements möglich sind, wird vielleicht das Ergebnis im Fallbeispiel IBM 3600 Bankensysteme zeigen. Mit Ablauf des Jahres 1984 sollen alle Übertragungskomponenten, die nicht mit der bei digitaler Übertragungstechnik erforderlichen Netztaktung arbeiten, eliminiert werden. Genau für dieses Jahr, nämlich 1984, bietet auch der Hersteller an diese für den deutschen Markt spezifischen Anforderungen angepaßte Geräte an. Was aber tut der Anwender, der im Jahr 1982 bzw. 1983 sein Terminalnetz erweitern muß? Kann man ihm zumuten, daß er heute Geräte erwirbt, die er in knapp zwei Jahren nicht mehr einsetzen kann? Wohl kaum, ohne ihn zu verärgern und somit aus einem Partner einen Feind zu machen, der dann mit durchgeladener Waffe auf einen schwachen Moment beim Gegner wartet, um loszuschießen.

Daß es solche Schwachstellen zur Genüge geben wird, ist sicher keine Vermutung. Staatliche Institutionen unterliegen in diesem Punkt den gleichen Gesetzen wie jeder Hersteller oder Vertreiber technischer Produkte. Die Technologie, und mag sie nach Fertigstellung noch so brillant sein, ist eben immer nur so gut wie das Bedienungs- und Servicepersonal.

Genau an dieser Stelle gibt es eine weitere Gemeinsamkeit zwischen den Partnern Deutsche Bundespost und Anwender/Hersteller. Der Ausbildungsstand des Personals reicht vom gänzlich Unwissenden und Uninteressierten bis zum hochkarätigen Spezialisten. Das Leistungsprinzip innerhalb der freien Wirtschaft mit der Möglichkeit der relativ einfachen Freistellung von Mitarbeitern hat dieser Gruppe einen gewissen Vorsprung verschafft. Die Tatsache, daß mit nachlassender konjunktureller Entwicklung die Tätigkeit im öffentlichen Dienst auch für hervorragende Fachkräfte interessant geworden ist, die jetzt soziale Sicherheit vor zeitweisen Spitzenverdienst stellen, läßt diesen Vorsprung kleiner werden. Wie klein, ist gleichfalls von der rechtzeitigen Richtungsvorgabe und ständiger Korrektur abhängig.

Auswüchse müssen im Frühstadium, also schon dann, wenn sie "nur" als kleiner Schönheitsfehler sichtbar werden, behandelt werden. Als Ansporn mag die Tatsache genannt werden, daß es ohne Zweifel leichter ist, frühzeitig nach Lösungen zu suchen, als später nach Ausflüchten, so wie im vorgenannten Tornado-Beispiel.

*Pseudonym (Name ist der Redaktion bekannt).

Tornado-Symptom

Aus der Sicht eines Mannes, der besorgt ist über ein Zuviel an Aktivitäten der Deutschen Bundespost, ist nebenstehender Artikel geschrieben. Unstimmigkeiten, was die Absichtserklärungen der Post anbelangt und die entsprechenden Realisierungsansätze und Realisierungen, haben ihn nachdenklich werden lassen. Suchte und fand er schließlich in "wirtschaftlicher Zusammenarbeit auf europäischer Ebene", so entdeckte er den tieferen Sinn der Vergabe von Aufträgen an Exoten, etwa im Diagnosebereich, gar nicht. Dem aufmerksamen Beobachter der Post- beziehungsweise FTZ-Szene (Fernmeldetechnisches Zentralamt) werden einige der hier mit spitzer Feder beschriebenen "Merkwürdigkeiten" bekannt vorkommen. Der Autor, rät dem Postministerium, Kontakt aufzunehmen mit den Kollegen vom Verteidigungsministerium: "Auf Sachen Tornado rückblickend, sind sie sicher in der Lage, dem Bundespostministerium einige gutgemeinte Verhaltensregeln zu vermitteln." bi