Rahmenbedingungen für E-Business

Portale und Marktplätze: Ordnung für das Chaos

12.01.2001
Portale und virtuelle Marktplätze waren die Hypes der vergangenen zwei Jahre. Erstere wollen Ordnung ins Netzchaos bringen, letztere bemühen sich redlich, traditionelle Geschäftsstrukturen abzulösen. Winfried Gertz* wagt einen Parforce-Ritt durch die aktuellen Angebote und zeigt, wie sich beide Konzepte verbessern lassen.

Wenn die Könige der Landstraße mit den Muskeln spielen, geht nichts mehr - wie Ende September in der Bundeshauptstadt, als Tausende Trucker dem Kanzler zeigen wollten, was eine Harke ist. Statt allseits beliebte Weisen von Freiheit und Abenteuer schmetterten die Brummi-Piloten den Politikern üble Schmährufe entgegen.

Doch die Angst der Lkw-Fahrer vor zu hohen Kosten und drohendem Jobverlust ist völlig unbegründet, denn ausgerechnet das Internet wird die Transportlawine auf den Straßen kräftig anschwellen lassen. "Waren, die im Internet bestellt werden, müssen auch ausgeliefert werden", frohlockt Bernd Gottschalk, erster Mann im Verband der Automobilindustrie (VDA).

Logistik - das neue Zauberwort der New Economy? Kaum ein anderer Wirtschaftszweig werde künftig so profitieren, prognostiziert die Dresdner Bank. Wenn E-Shops, Portale und elektronische Handelsplätze tatsächlich dazu beitragen, dass Durchlaufzeiten und Prozesskosten in den Keller gehen, dann reift Logistik zur Königsdisziplin. Um die Leistungen an den Mann oder die Frau zu bringen, müssen zunächst jedoch wichtige Voraussetzungen erfüllt sein. Noch ist das Web - entgegen einer weit verbreiteten Illusion - nicht das perfekte Instrument, den freien Handel zu fördern.

Sucht ein kleiner Betrieb nach einer gebrauchten Maschine oder der Hobby-Eisenbahner nach einer Mini-Lok, werden ihnen selbst die einschlägigen Suchmaschinen kaum weiterhelfen können. Zwar versprechen Experten wie der McKinsey-Berater John Hagel, dass sich der Aufwand zur Recherche von speziellen Angeboten im Internet reduzieren wird. Doch solange Surfer trotz Informationen im Überfluss nicht finden, was sie suchen, oder zu lange warten müssen, bis sich die Seiten aufbauen, bleiben die schönsten Perspektiven nur Makulatur.

Bevor einem die Hand auf der Maus einschläft, ist man gut beraten, Portale und elektronische Handelsplätze anzusteuern. Bei rund einer Milliarde Websites sind sie wahre Leuchtfeuer im digitalen Ozean. Internet-Portale zeigen Ottonormalnutzer, wo es lang geht: Hier lässt sich für jeden Lebensbereich etwas finden - vom Kfz-Angebot bis zum Buchtipp, vom Wetterbericht bis zum Verkauf von Artikeln für Fußballfans. Freunde des Jazz kommen ebenso auf ihre Kosten wie Weinliebhaber, dabei konkurrieren zahlreiche Portale um die Wette.

Megaportale wie AOL, Yahoo oder T-Online ziehen bereits 15 Prozent des gesamten Internet-Verkehrs auf sich und sacken stolze 45 Prozent des Web-Anzeigenvolumens ein. Allerdings registrieren die Marktforscher von Forrester Research, Boston, dass sich die Erfolgskurve der Mega-Portale abflacht und stattdessen eine Vielzahl vertikaler Sites von sich reden macht.

Die bloße Selbstdarstellung greift inzwischen zu kurzMarketing-Verantwortliche haben aus ihren Versäumnissen gelernt, nun fackeln sie nicht lange. Früher investierten sie den Großteil ihrer Internet-Budgets in den Aufbau eigener Websites. Doch in der Internet-Ökonomie greift die bloße Selbstdarstellung zu kurz. Nur einen Mausklick entfernt lauert der Wettbewerb mit verlockenden Angeboten. Agenturen, Web-Designer und Online-Strategen entwickelten deshalb Unternehmensportale, die als Sammelbecken für viele Zielgruppen funktionieren.

Sie können sich als B-to-B-Marktplätze ausschließlich auf das Geschäft zwischen Unternehmen konzentrieren oder als Portal Informations-, Kommunikations- und Kaufbedürfnisse von Verbrauchern ansprechen. Wie bei jeder firmeneigenen E-Shop-Lösung gilt auch für branchen- oder themenbezogenen Portale und Marktplätze, was Jaap Favier von Forrester Research in Amsterdam präzisiert: "Sie sind nur dann sinnvoll, wenn sie genug Umsatz in die Kassen spülen." Mit anderen Worten: Sind sie für den Surfer attraktiv und ziehen "Eyeballs", also "Augäpfel", in Massen an, sind sie auch attraktiv fürs Web-Marketing. 57 Prozent des gesamten Online-Werbebudgets, heißt es in einem Forrester-Report, sollen bis zum Jahr 2004 in vertikale Portale und Netzwerke fließen.

Welchen Nutzen Portale stiften können, zeigen einige Beispiele. "Die volle Verbrauchermacht spüren" sollen Unternehmen, über deren Produkte und Dienstleistungen sich Surfer auf Seiten wie www.ciao.com oder www.dooyou.com auslassen. Wenn bei hippen Handys, trendigen Motorrollern oder angesagten Residenzen der Daumen nach unten zeigt, sollten Marketiers schnell reagieren. Andererseits lassen sich besonders gute Bewertungen der Surfer nach allen Regeln der Kunst "ausschlachten."

Adäquate Informationen locken Besucher anHohe Akzeptanz und entsprechendes "Augapfel-Aufkommen" verspricht auch www.fahnder.de, ein Portal für juristische Fachinformationen. Mehr als 1,5 Millionen Dokumente aus den Bereichen Recht, Wirtschaft und Steuern warten hier auf den Besucher. Der Zugriff auf alle nationalen und EG-weiten Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen lockt. Sucht ein brauereiabhängiger Gastronom, der Probleme wegen eines Darlehens hat, nach ähnlich gelagerten Erfahrungen, kann er nach Eingabe von Stichworten verschiedene vergleichbare Fälle nachlesen. Ein weiterer Trumpf sind zahlreiche Newsletter, die den Anwender laufend per E-Mail auf den neuesten Stand bringen.

Ein anderes Konzept macht erst seit kurzem von sich reden: www.easytrade.de. Das Portal der Postbank für den privaten Wertpapierhandel will sich stärker als es bisher überhaupt möglich war, auf die individuellen Interessen der einzelnen Kunden konzentrieren. Im Unterschied zu vergleichbaren Angeboten von Consors oder Comdirect gehen die Verantwortlichen nach eigenen Angaben "nicht mit der Gießkanne" vor. Karl im Brahm, Marketing-Leiter der Postbank Easytrade AG in Köln: "Wie der Name des Portals bereits suggeriert, wollen wir leicht verständlich sein und unseren Kunden viel Unterstützung bieten." Auf der von Gauss Interprise, Hamburg, entwickelten Plattform ruhen hohe Erwartungen. Während die Bankbosse das Projekt mit höchster Priorität versehen, tief in die Tasche greifen und bis Ende 2001 bereits 250000 aktive Depots vorweisen wollen, hofft im Brahm auf ein kleines Wunder: "Vielleicht geht sogar der Traum vom Eins-zu-Eins-Marketing in Erfüllung."

Sich das Portal individuell konfigurieren zu können, um nur diejenigen Informationen und Transaktionsvorlagen auf den Bildschirm zu laden, die von persönlichem Belang sind, ist eine zentrale Herausforderung. Personalisierung heißt der Königsweg. Eine weitere Funktion ist das Content Mining: Inhalte werden dynamisch für den einzelnen Anwender aufbereitet. Dies kann sich beispielsweise in einem individuellen Newsletter niederschlagen, der regelmäßig an den Kunden weitergeleitet wird und nur das durch den Filter lässt, was den Leser tatsächlich interessiert. Davon sind aber die meisten Angebote im Web noch meilenweit entfernt. Entscheidungsträger aus Marketing und Vertrieb sowie aus Logistik und Datenverarbeitung sind gut beraten, ihre Sites auf individuelle Angebote maßzuschneidern.

Dennoch: Sei es das internationale Sport-Portal www.sportal.com, die Site für Startup-Companies www.firsttuesday.com oder die Plattform für berufliche und private Anleger, www.financial.de - sie alle profitieren vom Riesenbedürfnis nach Ordnung und Orientierungshilfe im Web. Wer in Hongkong investieren will, lädt sich von www.hongkong.com Standortanalysen der Großbanken herunter oder greift gezielt auf Informationen über Steuern, Zölle und Einfuhrbestimmungen zu.

Nicht lumpen ließ sich auch der Freistaat Bayern, als er 1994 mit "Bayern Online" zum Sprung ins Internet ansetzte. Inzwischen sind rund 500 Millionen Mark in Projekte wie das "digitale Grundbuch" oder "Abfallberatung online" geflossen. Mitarbeiter von Polizei und Strafverfolgung stecken im Netz ebenso ihre Köpfe zusammen wie Mediziner, die über radiologische Befunde beraten, obwohl ihre Kliniken hunderte Kilometer voneinander entfernt sind. Auch 85 Prozent der weiterführenden Schulen und Gymnasien hängen bereits am Netz. Doch das ist alles nur ein Kinderspiel, folgt man den Plänen für das neue bayerische Internet-Portal www.baynet.de.

Staatssekretär Hermann Regensburger vom Innenministerium will aus Baynet das Standardportal der Bayern und Zugereisten machen: "Der Bürger steht im Mittelpunkt. Je nach individueller Lebenslage soll ihm das Internet helfen, mit Verwaltung und Wirtschaft zu kommunizieren." Möchte ein Münchner nach Passau ziehen, liefert ihm das System eine individuelle Checkliste, welche Behördengänge anstehen und wie er sie am schnellsten abhakt. Muss er seine alte Wohnung renovieren, erhält er eine Liste mit Firmen, die ihm zur Seite stehen. Regensburger: "Niemand braucht künftig 20-mal die Gelben Seiten durchzublättern."

Doch Baynet ist auch ein virtueller Marktplatz, der vom kleinen Handwerksbetrieb in Landshut bis zum internationalen Multikonzern die gesamte Wirtschaft ansprechen will. Kommunikation und Transaktion sollen einmal so selbstverständlich sein wie vor über 250 Jahren im Londoner Hafen. Im 18. Jahrhundert traf sich im Kaffeehaus Lloyds, wer für seine Schiffe Fracht suchte oder aufgeben wollte. Bei Lloyds konnten sich Händler informieren, miteinander reden, Ware ordern und verkaufen. Erst als dritte Kraft kamen schließlich die Versicherer ins Spiel; ihre Aufgabe bestand darin, das Warenverlustrisiko von Verkäufern und Reedereien zu minimieren.

Im 21. Jahrhundert hat man ganz andere Sorgen. Wer vertraut noch auf Telefon und Fax, sollte sich das Internet tatsächlich als die entscheidende Verständigungs- und Handelsplattform etablieren? Wer beugt sich dem Zwang zu persönlicher Begegnung? Konzerne und marktführende Unternehmen geben den Takt bereits vor und errichten einen Marktplatz nach dem anderen. Autobauer, Chemie- und Metallriesen forcieren ihre Geschäfte im Netz und zwingen so ihre Partner, Kunden und Wettbewerber, sich dem Trend anzuschließen.

Giganten wie General Motors und Ford lehren ihre Lieferanten, sich ins Online-Business einzufädeln, wie der neue Marktplatz www.covisint.com zeigt. Rohstoffhändler verabschieden sich vom Telefon-Brokering und gehen ins Web. Ein Großteil des Handels verlagert sich auf Marktplätze, die Angebot und Nachfrage in Internet-Zeit steuern. Von den Vorteilen der Online-Transaktion und -Auktionen lassen sich auch Nahrungsmittelindustrie und Logistikdienstleister animieren. Wer mit hohem Volumen, aber niedrigen Margen operiert, verspricht sich hohe Kosteneinsparungen.

In Europa gibt es zur Zeit je nach Analyse zwischen 200 und 2000 virtuelle Marktplätze bei einer Wachstumsrate von 40 Prozent. Nach übereinstimmenden Marktprognosen soll Deutschland im Jahr 2003 mit rund 20 Milliarden Dollar Umsatz der Spitzenreiter in Europa sein. Doch die Zahlen sind vielleicht zu optimistisch - dieser Meinung ist zumindest Bernd Skiera, Professor für E-Commerce an der Goethe-Universität in Frankfurt. Gemeinsam mit der Hamburger Unternehmensberatung Mummert + Partner hat er führende Marktplätze unter die Lupe genommen. Das frappierende Resultat: Nur 15 Prozent der B-to-B-Plattformen sind empfehlenswert. Viele unterstützen die erhoffte Geschäftsabwicklung nur in Teilen, jeder zweite Markt ist lediglich ein Treffpunkt.

Telefon und Fax haben noch nicht ausgedient"Viel bleibt der Kreativität der Partner überlassen", hat Skiera ermittelt. Anders als von einem virtuellen Handelsplatz erwartet, müsse man auch im Internet-Geschäft unter Firmen heute noch telefonieren, Briefe und Faxe verschicken - alles wie gehabt. Eine optimal funktionierende B-to-B-Plattform dagegen begleite den gesamten Prozess von der Informationsphase bis zur Lieferung, präzisiert Skiera das Anforderungsprofil. Dies dürfte für viele Startup-Unternehmen als Urheber zahlreicher Internet-Marktplätze ein - teurer - Traum bleiben.

Wie die Boston Consulting Group in einer Studie herausfand, verfügen nur traditionelle Unternehmen über die notwendigen Voraussetzungen, um virtuelle Märkte erfolgreich zu betreiben: etablierte Kunden- und Lieferantenbeziehungen, funktionierende Logistikstrukturen, internationale Präsenz, bekannte Marken und vor allem Branchen-Know-how. Viele Marktplätze, die von Startups gegründet wurden, stehen vor dem Aus. Für Norbert Walter, Chef-Volkswirt der Deutschen Bank, ist dies keine Überraschung: "Viele haben ihren Porsche einfach zu früh gekauft. Man sollte nie vergessen, dass Hightech immer auch Highrisk bedeutet."

* Winfried Gertz ist freier Fachjournalist in München.

Shopping-Guide

www.getgo.de - elektronischer Ticketverkauf

www.blume2000.de - Blumenhandel im Netz

www.infopoint.de - 3500 deutschsprachige Zeitschriften im Internet

www.fahnder.de - Portal für juristische Informationen

www.easytrade.de - Portal für den privaten Wertpapierhandel

www.baynet.de - Bayerisches Portal für Bürger, Verwaltung und Wirtschaft

www.zebralino.de - Portal für Spielsachen, Kinderbekleidung und Schulbedarf

www.Trade5.de - Marktplatz für Handys und Zubehör

www.pecunet.de - Marktplatz für Vermittler von Versicherungen und Finanzdienstleistungen

www.ec4ec.com - Marktplatz für den Anlagen- und Maschinenbau

www.bidbizz.com - Marktplatz für den Mittelstand in Schleswig-Holstein

www.AECventure.com - Marktplatz für die Baubranche

www.proxchange.com - Marktplatz für gebrauchte Wirtschaftsgüter

Vom Treffpunkt zum Handelsplatz

CW: Was spricht für die Einrichtung von E-Shops und Portalen?

Favier: Forrester Research unterscheidet nicht zwischen Portal und E-Shop. Wir favorisieren den Begriff "Cooperative E-Commerce". Hier kommen Content Provider, Händler und Hersteller zusammen, um Aufmerksamkeit (Eyeballs) zu erzielen und Besucher zum Kauf angebotener Produkte und Dienstleistungen zu animieren. Typische Portal-Services wie Suchmaschinen oder Medienangebote können Klickraten und Umsätze nach oben treiben.

CW: Virtuelle Marktplätze repräsentieren den E-Commerce im B-to-B-Sektor. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?

Favier: Internet-Marktplätze zeichnen sich durch drei Merkmale aus: Erstens findet der Handel ausschließlich im Web statt, zweitens läuft er über tatsächliche Transaktionen ab, und drittens wird er zwischen mindestens zwei Unternehmen betrieben. Von Portalen spricht Forrester Research dann, wenn Transaktionen von und zu Verbrauchern stattfinden. Das ist der einzige Unterschied.

CW: Das Geschäft im Netz scheinen Konzerne und Großunternehmen unter sich auszumachen. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, dass auch mittelständische Betriebe erfolgreich ins Internet-Geschäft einsteigen können?

Favier: Am besten eignen sich Partnerschaften mit Händlern, Herstellern oder Medienunternehmen, um ein gemeinsames Angebot zu unterbreiten - eventuell unter einer neuen E-Shop-Marke. Die erforderlichen Techniken kann man von einem externen Anbieter, einem Application Service Provider (ASP), beziehen. Im zweiten Schritt können solche Partnerschaften auch auf Wettbewerber ausgedehnt werden. Genossenschaften etwa könnten die Aufgabe übernehmen, gemeinsam mit mittelständischen Unternehmen ein Serviceangebot zu entwickeln.

CW: Worauf müssen die kleinen Firmen besonders achten?

Favier: Unternehmen sollten sich genau ansehen, welche Marktplätze für sie überhaupt in Frage kommen und ob dort bereits tatsächliche und potenzielle Geschäftspartner engagiert sind. In den Online-Handel muss man behutsam einsteigen, etwa bei Büroartikeln, den so genannten C-Teilen. Sobald genug Vertrauen aufgebaut ist, kann man den Handel auf teure, strategisch wichtige Produkte ausweiten. Außer einem Internet-Link sind dazu keine weiteren Investitionen nötig.