E-Procurement & B-to-B/Angst vor dem elektronischen Schulterschluß?

Portale überzeugen Mittelstand noch nicht

23.03.2001
Der Mittelstand ist zurückhaltend. Dies ist er immer und erst recht dann, wenn es um die Realisierung von B-to-B-Portalen geht. Die Anbieterargumente stoßen bei den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) häufig auf taube Ohren - dies umso mehr, als der Internet-Markt zurzeit sein Image kräftig aufpolieren muss. Von Hadi Stiel*

Als Anbieterargumente kommen die Vorteile von B-to-B-Portalen überzeugend daher: Schneller, gezielter, weiträumiger und vor allem kostensparend sollen Unternehmen unter dem Schirm solcher Portale mit der Abwicklung kompletter Einkaufs- und Logistikprozesse agieren können. Vor allem mittelständischen Unternehmen, denen es in der Regel an der wirtschaftlichen Power fehlt, den Markt allein zu erobern, soll dieser elektronische Schulterschluss zugute kommen.

Anbieter treffen auf wenig InteresseDas Problem: Solche Argumente treffen bei den potenziellen Kunden - mittleren, aber auch großen Unternehmen - bisher auf wenig Widerhall. Und wie es aussieht, wird sich daran auf absehbare Zeit wenig ändern. Viele Firmen machen sowohl betriebswirtschaftliche als auch technologische Gründe geltend, um ihre Zurückhaltung zu erklären.

Das hält jedoch die B-to-B-Portalanbieter nicht davon ab, ihr Heil in der Marktoffensive zu suchen. Mehr als 500 solcher Portale gibt es derzeit in Europa, doch die tun sich mit dem Kundenfang ausgesprochen schwer. Gerade mal hundert davon könnten überleben, prophezeit dementsprechend Jupiter Media Metrix (MMXI) in seiner aktuellen Untersuchung. Wirklich freuen über diese Entwicklung können sich vorerst nur die Anbieter von Portalsoftware für das B-to-B-Geschäft. Der Markt für E-Procurement-Software für den Einkauf von Waren und Dienstleistungen via Internet, beispielsweise, und von Trading-Hub-Software zum Aufbau und Betrieb von Internet-Marktplätzen, soll von 311,2 Millionen US-Dollar im Jahr 2000 auf 2,03 Milliarden Dollar per annum 2004 wachsen. Aber auch diese Freude könnte von kurzer Dauer sein. Um Portale im Markt überhaupt auf den Weg zu bringen, offerieren aggressive Anbieter wie Developer (http://developer.ez.no) bereits die komplette Software inklusive Auktionsmodul, Single Sign-on, Content-Management- und integrierter Shopping-Card-Anbindung zum Nulltarif. Sie könnten damit Anbietern von Portalsoftware, wie in Deutschland B-Gate, BPS Netbase und Matchbid mit ihren 50 000 bis 100 000 Mark teuren Softwarepaketen, schnell den Marktboden unter den Füßen wegziehen.

Argument "Wettbewerbsdruck" zieht nichtB-to-B-Portalanbieter und solche, die sich für dieses Geschäft stark machen, behelfen sich in dieser Situation mit dem Argument "Wettbewerbsdruck". "Wer sein Business-Modell nicht rechtzeitig an ein virtuelles Netzwerk mit all seinen Online-Partner-, Lieferanten- und Kundenbeziehungen anpasst, verliert den Anschluss", postuliert Ulrike Englmann, Messeprojektleiterin für Join, eine Mittelstandsmesse, die dem Einstieg ins virtuelle Geschäft eigens einen Themenschwerpunkt widmet. Rüdiger Both, Bereichsleiter bei Diebold Deutschland in München, bezeichnet solche Argumente als pure Marketing-Masche. "Solange das Portalgeschäft nicht in Schwung kommt, gibt es auch keinen zusätzlichen Wettbewerbsdruck." Der werde noch auf sich warten lassen, ist sich Both sicher. Denn die wenigsten Unternehmen wollen sich unter einem Portal einfinden, das ihr Geschäft auf Dauer unter gewinnminimierenden Preisdruck und gleichzeitig wachsenden Zeitdruck setzt. Zudem hät-ten die oftmals konkurrierenden Unternehmen wenig Interesse daran, beispielsweise via Branchenportal und transparenten Wertschöpfungsketten ihr Geschäft und ihre Strategien gleich mit offenzulegen.

Zusätzlich gebremst wird der Elan der Unternehmen, unter Portale zu schlüpfen, durch die Börsenentwicklung bei den Internet-Werten. Sie haben beispielsweise am Neuen Markt in Frankfurt binnen acht Monaten im Schnitt mehr als 80 Prozent ihrer Substanz eingebüßt, was den Anbietern außer dem Kapitalverlust bei den potenziellen Kunden einem massiven Vertrauensverlust eingebracht hat. Zu alledem fehlt es an den Impulsen aus dem Endverbraucher-Markt für diese Portale, nachdem Player wie Letsbuyit, Amazon und Ebay ihre Gewinnprognosen kräftig nach unten korrigieren mussten. "Nicht einmal die einfache Geschäftsphilosophie von Informationsportalen geht im Markt auf", registriert Mathias Hein, freier IT-Berater in Tavern bei Trier, und denkt dabei an Anbieter wie Lycos, Web.de und Tomorrow Internet, die weit unter der Rentabilitätsgrenze arbeiten. "Wie soll es da mit Portalen klappen, unter denen komplette Einkaufs- und Logistikprozesse zwischen Unternehmen abgebildet werden sollen?" Allerdings sieht er eine Zukunft für solche B-to-B-Portale, die unter der Regie eines starken Herstellers dessen Zulieferer einbinden. "Doch diese Portale gibt es bereits, beispielsweise in der Automobilindustrie", so Hein. "Nur dass dort Einkaufs-, Logistik- und Fakturierungsprozesse statt über Portale über EDI (Electronic Data Interchange) abgewickelt werden."

Doch es sind nicht nur betriebswirtschaftliche Gründe und der lädierte Internet-Markt, die dem Portalgeschäft Dämpfer verpassen. "Die Business-Konzepte von Portalbetreibern und Unternehmen stecken noch in den Anfängen", weiß Bernd Frey, bei Siemens Business Services (SBS) in Paderborn verantwortlich für Portale und Internet-Marktplätze, aus der Consulting-Praxis. "Solange versucht wird, die bestehenden Abläufe per Portalsoftware abzubilden, können solche Lösungen nicht richtig ins Laufen kommen." Dieser Zustand sei besonders markthemmend, weil die neuen Business-Konzepte eigentlich dem Design und Einsatz einer angemessenen Portalsoftware vorangehen müssten.

Umfassende Portallösung auf dem PapierDamit erlebt auch die Portalsoftware noch ihre Jugendzeit. Die monolithische, hierarchische Denkweise aus der Ecke der Rechenzentren im Sinne einer allumfassenden Portallösung funktioniert bestenfalls auf dem Papier. In der Einsatzrealität stehen solchen Überlegungen jedoch IT-Landschaften in den Unternehmen entgegen, die ebenso heterogen wie proprietär sind. Das Resultat daraus: gravierende Schnittstellenprobleme, die einen Online-Schulterschluss im Sinne durchgehender und gemeinsamer Wertschöpfungsketten noch verhindern. Das Ansinnen der B-to-B-Portalanbieter, ihre Kunden sollten stattdessen alle für die Abbildung dieser Wertschöpfungsketten notwendigen Daten über angebotene Adaptoren zentral einfließen lassen, erscheint eher blauäugig. Kaum ein Unternehmen dürfte dazu bereit sein, seine sensiblen Geschäftsdaten an den Portalanbieter abzugeben und damit sein Geschäft diesem Anbieter und den Wettbewerbern gleich mit transparent zu machen.

Frey liefert eine Liste technologischer Schwachstellen, die heute nur mit hohem Aufwand im Sinne einer professionellen Portallösung mit durchgehenden Wertschöpfungsketten überbrückt werden können:

-heterogene IT-Welten mit unverträglichen Schnittstellen,

-keine Verzeichnisintegration, die es ermöglicht, über alle beteiligten (Netzwerk-)Betriebssysteme, Dienste, Datenbanken und Anwendungen hinweg eine zentrale, wirtschaftliche Benutzeradministration herbeizuführen,

-inkompatible Datenbank- und Anwendungsformate,

-unverträgliche Management-Systeme, die nötig wären, um die gesamte Installation verlässlich zu überwachen und zu steuern,

-keine PKI (Public-Key-Infrastruktur) über eine neutrale CA (Certificate Authority), die diesen Namen verdient,

-keine SLAs (Service Level Agreements) für einzelne Geschäftsprozesse, um die transaktionsorientierten Verarbeitungsketten ohne Einbußen bei Dienstgüte und -verfügbarkeit abzuwickeln und

-meist fehlende Online-Fakturierung und Qualitätssicherung, welche die Unternehmen unter dem Portal dazu zwingen, in dieser Hinsicht traditionelle Wege zu gehen.

Frey plädiert vor diesem komplexen Hintergrund für das Machbare und für mehr Einfachheit. Und das hieße, das B-to-B-Portal lediglich zur Darstellung ausgesuchter Informationen einzusetzen, ohne vorerst die Hoheit für sensible Daten und Prozesse abzugeben. Zumal es zur Gestaltung durchgehender Geschäftsprozessen unter dem Portal an verbindlichen Standards fehle.

Schnellboote statt TankerTechnologiekenner wie Andreas Bonnard, Manager Technology Risk Consulting bei Arthur Andersen in Eschborn bei Frankfurt am Main, sehen derzeit lediglich drei Technologien, auf die bei der Integration zu einer B-to-B-Portallösung aufgebaut werden kann: SQL (Structured Query Language)-Datenbanken, LDAP (Light Weight Directory Access Protocol) Version 3 als Verzeichnisstandard sowie XML zur Verknüpfung und Darstellung von Geschäftsinformationen. Sein Rat deshalb an die Unternehmen: Schnellboote statt nicht manövrierbarer Tanker. Diese lockere Anbindungsphilosophie unter dem Portalschirm gehe aber nur für die Unternehmen auf, schränkt Bonnard ein, deren Geschäft nicht transaktionsgetrieben sei.

Doch selbst die drei vermeintlich verlässlichen Integrationssäulen unter dem Portal entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als mehr oder weniger unverbindliche Zeitgenossen. ERP (Enterprise Resource Planning)-Systeme wie von SAP, People Soft und Baan, die als Trägersysteme für durchgehende Einkaufs- und Logistikprozesse dienen könnten, setzen intern auf proprietäre Datenbanksysteme, fernab vom De-facto-Standard SQL. Hersteller von (Netzwerk-)Betriebssystemen, Netzdiensten, Datenbanken und Anwendungen halten sich, trotz LDAP-V.3-Standard der IETF (Internet Engineering Task Force), bei der Definition von Objekten und Attributen nicht zwangsläufig an die Norm. Damit gestaltet sich ein systemübergreifender Austausch von Verzeichnisdaten wie Benutzerinformationen, -rechte und -rollen als schwierig. Selbst der Hoffnungsträger XML gemäß dem W3C (World Wide Web)-Standard kommt eher diffus daher. "Standardisiert ist bisher lediglich die Syntax dieser Meta-Sprache", warnt Hein. "Was die richtige Ausprägung der Semantik von XML betrifft, versuchen derzeit Hersteller und Herstellerinitiativen wie Microsoft, IBM, Commerce One, Ariba und Rosetta Net, dem Markt jeweils ihr Verständnis aufzudrücken." Das aktuelle Produkt der separaten Bemühungen: eine Vielzahl an XML-Ausprägungen mit unterschiedlichen Feldbelegungen, Formaten und Strukturen, die einen systemübergreifenden Austausch von Geschäftsdaten verhindern.

Jupiter MMXI bringt vor diesem eher ernüchternden Hintergrund die weiteren Perspektiven von B-to-B-Portalen auf den Punkt. Im Jahr 2004 sollen kaum mehr als zehn Prozent des gesamten europäischen Geschäfts über B-to-B-Portale abgewickelt werden. Dabei dürfte diese Prognose noch geschönt sein. Denn Jupiter MMXI hat ein reges Interesse daran, dass die Perspektive "B-to-B-Portale" nicht in zu schlechtem Licht erscheint. Bernd Frey von SBS bringt den Orientierungsgehalt derartiger Prognosen auf den Punkt: "Bei der aktuellen Ausgangssituation und dem hochdynamischen Markt des E-Business sind solche Vorhersagen kaum mehr als der sprichwörtliche Blick in die Glaskugel."

*Hadi Stiel ist freier Journalist in Bad Camberg