IT in der Verwaltung/Netzwerke und Multimedia lösen Zettelkästen und Funksalat ab

Polizei: Stand des aktuellen Einsatzes auf Knopfdruck verfügbar

20.03.1998

Das alte Gebäude des Polizeipräsidiums an der Büscherstraße in Essen wirkt nicht gerade einladend. Mit den ständigen Bauarbeiten und heruntergekommenen Räumen haben sich die Mitarbeiter notgedrungen abgefunden. Auf die Einsatzleitzentrale dagegen sind sie stolz: In dem hellen Großraumbüro erleichtert High-Tech die Arbeit. "Felis", das Flexible Einsatzsystem Innere Sicherheit, hilft seit Mitte 1997 bei der Bewältigung von bis zu 600 Einsätzen täglich. Bis zu zehn Beamte in Polizeiuniform nehmen hier Notrufe an, koordinieren Einsätze und können blitzschnell reagieren, wenn im Stadtgebiet etwas passiert.

Zehn Sun-Workstations mit jeweils drei Bildschirmen unterstützen jeden Leitstellenbeamten. Für jede der 200 Einsatzarten, von A wie Alarmierung bis Z wie Zugunglück, sind Maßnahmenkataloge gespeichert. Auch Tageszeit und Örtlichkeit werden automatisch berücksichtigt. "Ein Unfall auf der Hauptkreuzung muß im Feierabendverkehr naturgemäß durch mehr Fahrzeuge gesichert werden als mitten in der Nacht", sagt Jörg Metz, der für das Essener Felis-Netzwerk zuständig ist. Jedem Einsatz wird eine Priorität zwischen eins und fünf zugeteilt. Ein kleiner Autounfall auf einer Nebenstraße ist weniger dringlich als ein Raubüberfall.

Welche Fahrzeuge sich in der Nähe des Einsatzortes befinden, zeigt einer der drei Bildschirme. Auf Knopfdruck können die Streifen zum Einsatz geschickt und weitere Fahrzeuge alarmiert werden. Die Essener Polizei verfügt über rund 300 Autos und Motorräder. Dazu kommen Beleuchtungswagen privater Firmen, Krankenwagen und die Feuerwehr, die zum Teil online angefordert werden können.

Gebäudegrundrisse und Innenansichten gespeichert

Schon bevor die Kollegen vor Ort sind, kann sich der Einsatzleiter auf einem der drei Bildschirme informieren, wie die Örtlichkeit beschaffen ist. 21000 Kreuzungen, 3900 Straßennamen, 500 Grundriß- und Lagepläne sowie 1200 Objekte wie Banken, Sportanlagen, die Häuser bestimmter prominenter Personen, Park- und Krankenhäuser, Heime und vieles mehr sind hier gespeichert. Darunter Fotos von Parkanlagen, Luftbilder, Ausschnitte des Stadtplans, Gebäudegrundrisse sowie die Innenansichten von Banken und Parkhäusern. Selbst Videos, die den Weg vom Schalterraum einer Bank bis zum Tresorraum zeigen, lassen sich speichern. "Die Essener Geschäftsleute haben uns bereitwillig ihre Baupläne zur Verfügung gestellt", betont Metz. "Schließlich tun sie das im eigenen Interesse. "Bei Überfällen kann die Streife so im voraus über Hinterausgänge und Fluchtmöglichkeiten informiert werden und muß sich nicht erst vor Ort ein Bild machen. "Das beschleunigt die Einsätze erheblich", erklärt Metz.

Schneller Überblick über die Örtlichkeiten

Auch die sechs Polizeiinspektionen in den Essener Stadtbezirken sind mit zweikanaligen ISDN-Standleitungen mit dem Felis-Netzwerk verbunden. Die Kriminalwache und der Führungs- und Lagedienst im Polizeipräsidium haben eigene Arbeitsplätze. Das erübrigt viele Telefongespräche und einiges an Koordinationsaufwand: Auf Knopfdruck ist der Stand des aktuellen Einsatzes verfügbar.

Jörg Metz zählt die wesentlichen Vorteile des neuen Einsatzleitsystems auf: "Ein schneller Überblick über die Örtlichkeiten, die verfügbaren Wagen und die Chance, das Einsatzgeschehen zu optimieren. "

Verglichen mit den polizeilichen Werkzeugen der Vergangenheit hat das Workstation-Netzwerk einen Zeitsprung ermöglicht. "Bei früheren Unfalleinsätzen wußte der Mann in der Zentrale nicht viel mehr als den Unfallort und die Zahl der Verletzten", so Metz. Der Funker im Polizeipräsidium mußte durch viele Gespräche den Standort der Streifenwagen bestimmen, bei größeren Einsätzen erst einmal klären, wer gerade frei ist, und sich alles auf Spruchzetteln notieren. Für eine Dokumentation der Einsätze im Zettelkasten blieb keine Zeit. Der Einsatzleiter hatte alle Hände voll damit zu tun, sich über Funk und Telefon zu informieren, in Stadtplänen zu stöbern und den Polizisten vor Ort Beschreibungen durchzugeben. Von Überblick keine Spur. Und wenn ein Einsatz an eine der sechs Polizeiinspektionen weitergegeben wurde, mußten alle Informationen mündlich übermittelt werden.

Heute wird der Einsatz per Knopfdruck an die Wachen abgegeben. Welcher Streifenwagen verfügbar ist, sieht der Einsatzleiter auf dem Bildschirm. So ist Verstärkung schnell vor Ort, wenn sich die Lage ändert. Und alle Anweisungen werden am Bildschirm protokolliert, so daß Einsatzabläufe nachvollziehbar sind.

Die Daten früherer Einsätze, die sich aus eingescannten Fotos, Plänen und handschriftlichen Eintragungen zusammensetzen, werden auf einem Server Sun Spark Station 20 mit zweimal 1 GB intern und zweimal 2,1 GB extern gespeichert. Ein ausfallsicheres Storage Array sichert die Daten auf zehn Platten mit 15 GB Kapazität.

Der Server und die Sun Spark Stations 5 im TCP/IP-Netzwerk des Polizeipräsidiums sind durch eine unterbrechungsfreie Stromversorgung gegen entsprechende Ausfälle abgesichert.

Der Einsatzleitrechner ist auch mit den Überfall- und Einbruchmeldeanlagen, Notrufabfragen, den Funkmeldern in den Streifenwagen sowie mit anderen Rechnern und Datenbanken verbunden. Zum Beispiel mit dem Einwohnermeldeamt, dem internationalen Fahndungssystem "Inpol" oder den Rechnern des Kraftfahrtbundesamts, um Personen, Identitäten und Autohalter ermitteln zu können.

Die neue Technik hat offenbar keine Akzeptanzprobleme bereitet, weil ihre Vorteile offensichtlich sind. Selbst altgediente Einsatzleiter, die seit Jahrzehnten mit Zettelkästen hantierten, freundeten sich schnell mit der neuen Technik an, "die Fünfzigjährigen sogar noch schneller als die Jüngeren", sagt Koordinator Metz.

Schwieriger war die Projektabwicklung, denn die Programmierer des Debis-Systemhauses mußten erst einmal die Arbeit der Polizei kennenlernen. "Wir mußten den Softwareleuten Abläufe nahebringen und die polizeiliche Denkweise vermitteln", berichtet Metz. Und die Polizisten mußten erkennen, daß bestimmte Vorstellungen informationstechnisch gar nicht so einfach umzusetzen waren. "Heute sprechen wir eine Sprache", sagt Debis-Mann Hans-Jürgen Ludt.

Das Prototyping dauerte gut ein Jahr. Mitarbeiter der Zentralen Polizeitechnischen Dienste in Düsseldorf wachten darüber, daß die Essener keine individuelle Softwarelösung entwickeln ließen. Denn Felis soll auch in anderen Großstädten Nordrhein-Westfalens eingesetzt werden.

Anfang 1996 waren die Anforderungen definiert. Im Oktober begannen im Polizeipräsidium die Tests im laufenden Betrieb. Im Juni 1997 wurden auch die Polizeiinspektionen integriert und das System von Franz-Josef Kniola, dem Innenminister von Nordrhein-Westfalen, der Öffentlichkeit vorgestellt. "Die in Essen geleistete Pionierarbeit wird wesentlichen Einfluß auf den geplanten Einsatz in allen Kreispolizeibehörden haben", erklärte Kniola bei der Präsentation am Ende Juni 1997.

Die nächsten Einsätze sind schon klar. Debis erhielt von den Zentralen Polizeitechnischen Diensten Anfang November einen Auftrag über 53 Leit- und drei Schulungssysteme, die in den nächsten drei bis fünf Jahren installiert werden sollen. Die Kreispolizeibehörde Bergisch Gladbach sowie die Polizeipräsidien Bochum und Recklinghausen werden als erste bedient.

Andere Großstädte - andere Vorstellungen

Auch in Hamburg und München arbeiten solche Einsatzleitsysteme. "Jedes Land und jede Großstadt hat eigene Vorstellungen", erklärt Werner Niessner, zuständiger Projektbereichsleiter in Hamburg, wo auch die Leitsysteme für andere Städte entwickelt wurden. Seit August 1996 verfügt die Hamburger Polizei über "Help", das Hamburger Einsatzleitsystem Polizei. Hier werden im Jahr 700000 Anrufe und Notrufe erfaßt und koordiniert.

"Zeus" heißt das Zentrale Einsatzleit- und Unterstützungssystem für die Polizei München, das im Oktober letzten Jahres ein zehn Jahre altes System abgelöst hat.

Neu war an dem 2,1-Millionen-Mark-Projekt mit seinen 28 Arbeitsplätzen die Integration eines digitalen Stadtplans, auf dem die Einsätze dargestellt werden. Aus dem alten System mußten mehr als 60000 polizeiliche Objekte, von Banken bis zu Konsulaten, übernommen werden.

Im Polizeipräsidium an der Münchner Ettstraße kommen pro Jahr über eine halbe Million Hilferufe an, die sofort eingegeben werden. Wie in Essen und Hamburg werden die Angaben des Anrufers sofort überprüft. Dazu sind 60000 Straßen und 140000 Hausnummern gespeichert. Die 120 Streifenwagen übermitteln stündlich 1400 Standortmeldungen, so daß das Zeus-System den leitenden Beamten sofort Einsatzvorschläge machen kann.

Die Softwarebasis ist für alle Debis-Polizeikunden gleich. "Wir passen die Programme über Konfigurationsparameter an die Vorstellungen unserer Kunden an", so Vertriebsmann Ludt. Nach Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Bayern fand das Systemhaus auch in Niedersachsen den ersten Kunden. Im Februar 1998 soll bei der Polizeidirektion Hannover die neue Einsatzleitzentrale mit einem SUN-Server und 21 Windows-NT-Arbeitsplätzen in Betrieb gehen.

Angeklickt

Einen Zeitsprung hat das Polizeipräsidium Essen gemacht. Das Instrument dafür war ein Workstation-Netzwerk: An den zehn Arbeitsplätzen von "Felis" (Flexibles Einsatzsystem Innere Sicherheit) werden für bis zu 600 Einsätze täglich, bei 200 Einsatzarten, unterstützt. Die Zentrale verfügt über wesentlich mehr Informationen als bisher: Fotos von Parkanlagen, Luftbilder, Ausschnitte von Stadt- und Gebäudeplänen etc. Die Server und die Sun Spark Stations 5 im TCP/IP-Netzwerk sind per unterbrechnungsfreie Stromversorgung gegen Ausfälle gesichert. Der Leitrechner ist mit Überfall- und Einbruchmeldezentralen, Notrufabfragen und den Funkmeldern in den Streifenwagen sowie anderen Rechnern und Datenbanken verbunden.

Friedhelm Weidelich ist freier Journalist in Düsseldorf.