Herausforderung Corporate Network

Polizei in Nordrhein-Westfalen setzt auf ein landesweites Sprach-Datennetz

29.08.1997

1995 fiel die Entscheidung für das Polizei-CN, mit dessen Aufbau die Zentralen Polizeitechnischen Dienste (ZPD) in Düsseldorf - der DV- und Kommunikations-Dienstleister für alle Polizeibehörden in Nordrhein-Westfalen - betraut wurden. Eine gewaltige Aufgabe: 21 Polizeipräsidien und 29 Oberkreisdirektionen mit insgesamt zirka 450 Polizeiinspektionen und -wachen waren zu vernetzen, dazu die Wasserschutzpolizei mit sieben Inspektionen sowie 21 weitere Einrichtungen wie Polizei-Schulen, Hubschrauberstaffeln und das Landeskriminalamt.

Achim Knecht, Dezernatsleiter Technische Einrichtung von Dienstgebäuden und Sprachkommunikationstechnik bei der ZPD, beschreibt die Ausgangsposition: "Bis dahin wurden die einzelnen Netze, also das Fernsprech- und Fernschreibnetz sowie die Datennetze, mit entsprechend hohem Personaleinsatz getrennt betrieben, überwacht und verwaltet." Außerdem existierten im Bereich Datennetze unterschiedliche Systemwelten, die es nunmehr nahtlos zu verbinden galt.

Datus-Geräte als Grundlage

Ein BS2000-Zentralrechner und dreizehn Kommunikationsrechner mit insgesamt 1400 über Nordrhein-Westfalen verteilten Terminals mußten dabei ebenso ins CN eingebunden werden wie die lokalen Netze im Bereich Wach- und Wechseldienst innerhalb der 450 Polizeidienststellen (mit mehr als 600 Unix-Servern und über 3000 Windows-PCs).

Insgesamt 76 WAN-Switch-Systeme des Aachener Anbieters Datus elektronische Informationssysteme GmbH (neun Backbone-Knoten vom Typ "5810/ 100" und 67 Access-Knoten vom Typ "5810/85" beziehungsweise "5810/65") sollten die Säulen des künftigen Polizei-CN bilden. Netzweit ist der Einsatz von insgesamt 400 Router-Systemen vom Typ "Cisco 2503" geplant: Neun davon am Backbone, die restlichen 391 in der Fläche, um die lokalen Netze der Polizeidienststellen in das CN einzubinden.

Vom Backbone ausgehend, wurde das gesamte Netz in vier Ebenen strukturiert. Auf den Schichten eins bis drei sollten S2M-Festverbindungen (2 Mbit/s), auf der Ebene vier D64S-Festverbindungen (64 Kbit/s) eingesetzt werden. "Um für die Datenübertragung eine bestmögliche Bandbreitenausnutzung zu erreichen, entschlossen wir uns dazu, an 15 Kanälen der S2M-Verbindungen statistisches Multiplexing einzusetzen", so Guido Garcia-Neitzel, Netzzuständiger bei den ZPD.

Die übrigen 15 Kanäle sollten für die Sprachübertragung fest zugeordnet werden. Dort, wo es gegebenenfalls auf den Verbindungen Engpässe geben könnte - zwischen der 2-Mbit/s-Bandbreite der Ebene drei und der 64-Kbit/s-Bandbreite der Ebene vier - wollten Knecht und sein Team zudem auf Sprachkomprimierung innerhalb des TK-Anlagen-Verbundes setzen.

Zur Vernetzung desselben setzen die ZPD das Standard-Signalisierungsprotokoll QSIG (Quer-Signalisierung) ein, zudem vermaschte sie aus Sicherheitsgründen die Ebenen eins bis drei. "So können wir bei Verbindungsausfall über Backups immer alternative Wege für den Daten- und Sprachverkehr schalten", unterstreicht Garcia-Neitzel den auf hohe Verbindungssicherheit ausgelegten Ansatz.

Als Datenübertragungsprotokoll auf den Festverbindungen sollte nach einer Vorgabe des Landesinnenministeriums das OSI-Standardprotokoll X.25 eingesetzt werden. Die Sprachvermittlung im Netzverbund sollten nicht die TK-Anlagen, sondern ebenfalls die Datus-Knoten übernehmen.

Nachdem die WAN-Switch-Systeme des Anbieters im Rahmen eines Pilotprojekts zwischen Münster und Recklinghausen ausgiebig von den ZPD getestet worden waren, ging das Netzwerkteam Zug um Zug an den Aufbau des Gesamtnetzes. Es folgten die Teilbereiche Bielefeld, Dortmund, Duisburg und Wuppertal, die jeweils an die zuvor installierten Teile des CN angebunden wurden.

Heute sind mehr als 50 Prozent des landesweiten Polizeinetzes installiert. Die beiden übrigen Teilnetze im Raum Köln und Düsseldorf sollen noch im Verlauf dieses Sommers fertiggestellt werden, um die letzten Lücken des Corporate Network zu schließen.

Die Überwachung und Verwaltung der WAN-Switch-Systeme erfolgt von den ZPD in Düsseldorf aus über das Datus-Netz-Management-System "XNM5". Müssen beispielsweise Konfigurationen in Router-Systemen eingespielt oder verändert werden, lassen sich die Geräte unabhängig davon, wo sie sich im Netz befinden, aus der XNM5-Oberfläche heraus gezielt via Telnet ansprechen.

Auf diese Weise hatte man bereits während der Installation die Router-Konfigurationen von Düsseldorf aus auf die entfernten Systeme geladen. In Zukunft sollen so Software-Updates auf die über das Land verteilten Router-Systeme aufgespielt werden.

Um in den WAN-Knoten selbst höchstmögliche Verarbeitungssicherheit zu erzielen, wurde neben der Stromversorgung auch der Verwaltungsprozessor doppelt ausgelegt. Selbst vor dem Ausfall einzelner Module ist man weitgehend geschützt. Sollte in Zukunft beispielsweise eine der Komponenten in den WAN-Switch-Systemen am Backbone ausfallen, wird man zwischenzeitlich das Modul eines weniger sensiblen Knotens nutzen können, bis eine neue Komponente zur Verfügung steht. Über unterbrechungsfreie Stromversorgung (USV) hat die ZPD die WAN-Knoten zudem gegen Stromausfall abgesichert. Verläßliche Backup-Schaltungen auf den Ebenen eins bis drei komplettieren das Sicherheitssystem.

Das bisherige Ergebnis kann sich sehen lassen: Knecht spricht von einer fast hundertprozentigen Ausfallsicherheit, seit dem ersten Pilotversuch sei es zu keinem Absturz gekommen. Sogar das Telefonieren und Faxen über das Corporate Network sei sicherer als zuvor via das Telefonnetz der Deutschen Telekom. Aber auch unter dem Strich stimmt die Sprachkommunikation via Corporate Network. Durch Komprimierung der Sprache von 64 Kbit/s auf 9,6 Kbit/s rauben Telefonate nur wenig von der teuren Bandbreite. "Ohne spürbare Qualitätseinbußen bei der Sprachausgabe in Kauf nehmen zu müssen", wie Knecht versichert, der Gebühreneinsparungen von etwa 25 Prozent durch die Abwicklung des Telefon- und Faxverkehrs über das Corporate Network ermittelt haben will.

"Im Sommer 1997 schließen wir den Aufbau des CN ab. Dann sind rund 30000 Teilnehmer in den unterschiedlichen Polizeibehörden angeschlossen", freut sich der Dezernatsleiter. "Der Erfolg ist bereits heute abzusehen. Das integrierte und durchsatzstarke Sprach-Daten-Netz wird das Land Nordrhein-Westfalen etwa soviel kosten wie zuvor die separat geführten Netze mit geringer Bandbreite: das Transdata-Netz, die zentralen Unix-Netze, das Fernschreib- und das Fernsprechsondernetz."

Doch damit sind die Wirtschaftlichkeitspotentiale des integrierten Polizeinetzes längst nicht ausgeschöpft. Mit der Ablösung des 450 Standorte verbindenden, personalaufwendigen Fernschreibnetzes durch ein im CN integriertes X.400-Mail-System bis Sommer 1997 soll eine schnelle und vor allem billigere Textkommunikation im Polizeinetz Einzug halten.

Weitere Verbesserungen geplant

Als nächster Schritt ist eine landesweite Vorgangsbearbeitung geplant. Die Programmierung dazu ist bereits im vollen Gang. Alle berechtigten Sachbearbeiter sollen dann ohne unnötige Mehrfacharbeit schnell und transparent auf alle elektronisch gespeicherten Schriftstücke im landesweiten Polizeinetz zugreifen können. "In beiden Integrationsschritten steckt ein hohes Potential an Effektivität und Wirtschaftlichkeit", so Dezernatsleiter Knecht. "In der Summe kann das Land Nordrhein-Westfalen mit zusätzlichen Einsparungen rechnen."

Für die nahe Zukunft stehen bereits weitere Projekte fest: Schon bald soll der Verkehrswarndienst, der heute noch über separate X.25-Wählverbindungen zu den Rundfunkanstalten abgewickelt wird, über das Corporate Network der Polizei geführt werden, wovon man sich ebenfalls Einsparungen erhofft. Auch Least-cost-Routing wird demnächst ein Thema im Corporate Network sein - ein lukrativer Ansatz bei einem landesweiten Polizeinetz. Das Netzwerkteam um Knecht spielt außerdem bereits mit dem Gedanken, Richtfunkstrecken mit Übertragungsraten von 2-Mbit/s auf den Netzebenen eins bis drei einzusetzen.

*Hadi Stiel ist freier Journalist in Bad Camberg.