Politische Defizite in der Verwaltungsautomation

03.02.1984

Prof. Dr. Hans Brinckmann

Forschungsprojekt

Verwaltungsautomation an der Gesamthochschule Kassel

(Teil 2)

Was man bei einzelnen DV-Anwendungen immer wieder feststellen muß - das Abschieben politischer Verantwortung und Entscheidung auf Gremien mit mehr technischem Sachverstand -, gilt nicht nur für die Verwaltungsautomation, es gilt ebenso für die im Aufbau befindliche neue informationstechnische Infrastruktur: "Auf dem kleinen Dienstwege" nannte kürzlich ein Fachkenner den Entscheidungsgang in Sachen Bildschirmtext, der massive Konsequenzen auch für die Nutzung im Bereich öffentlicher Verwaltung haben dürfte.

Denn die Struktur dieses neuen Mediums bestimmt die kommunikativen Beziehungen, überformt sie und wirkt sich damit auch auf die Inhalte aus. Die Frage nach den Kommunikationsbedarfen aller potentiellen Partner hätte daher an den Anfang gehört. Bekommen haben wir nun ein System mit ungleichen Möglichkeiten auf der Basis des Telefonnetzes, das beide Kommunikationspartner gleich behandelt also eine Hierarchisierung, wo bislang Gleichstellung prägend war. Damit wird im Kontakt mit dem Bürger eines unter den vielen bürokratischen Elementen verstärkt statt abgebaut.

Schnelle Vergreisung von Innovationsorganisation

Zwar haben sich Tagungen mit programmatischen Vorträgen, (selbst-)kritischen Äußerungen aus den oberen Etagen der Administration in letzter Zeit stark vermehrt - aber eine tatsächliche Verhaltensänderung ist bislang nicht faßbar. Die DV-Organisationen der Länder - einmal geschaffen als Institutionen für technisch-organisatorische Innovation und bei ihren ersten Schritten auch durchaus erfolgreich - haben sich bislang keineswegs auf die neuen Möglichkeiten, die Mini- und Mikrorechner oder die neue Kommunikationstechnik - für die Verwaltungen bieten, gestürzt. Wäre es nicht der zukunftsträchtigere Weg, statt auf dem Stand der 70er Jahre mit Zentralisation von Entwicklung und Betrieb stehenzubleiben, neue Serviceleistungen für Anwender anzubieten, die die neue Technik vor Ort betreiben wollen - ohne die von der Aufgabe her überflüssige Kommunikation von Massendaten zum Rechenzentrum und zurück.

Politik und Verwaltungsmanagement sollten eigentlich in der Lage sein, diese vor gar nicht zu langer Zeit erst gegründeten neuen Verwaltungseinheiten zu mehr Beweglichkeit zu bringen. Dies geschieht jedoch nicht. Statt dessen finden wir sogar zur Absicherung von Einflußsphären von Datenzentralen Verträge mit Herstellern, die die Diffusionen von neuen Lösungen verhindern: Die in einem Bundesland funktionierenden autonomen Verfahren kann eine Gemeinde in einem anderen Bundesland von der dortigen Niederlassung der Firma nicht bekommen, weil diese sich mit der DV-Organisation des Landes verbunden hat zur flächendeckenden Einführung der zentral gesteuerten Verfahren. Sehr viel mehr an Innovation wäre zu gewinnen wenn die Datenzentrale ihre Marktmacht im umgekehrten Sinne ausnutzt, also Hersteller, denen sie ein lukratives Feld eröffnet, verpflichtet, alle neuen Lösungen im Lande anzubieten.

Die Folge dieser auf Selbsterhaltung konzentrierten Politik ist: Eine Verwaltung, die sich mit eigener Initiative an die Lösung ihrer DV-Probleme macht, erhält nicht nur keine Unterstützung; sie erhält auch keinen Zugang zu dem, was der Markt andernorts schon bietet.

Fehlgelenkte Aufmerksamkeit

In den beiden ersten Jahrzehnten der Verwaltungsautomation hatten die Politiker Managementfragen noch mit dem Argument verdrängen können, die Nutzung von Technik für Datenverarbeitung, Textverarbeitung und Kommunikation würde nicht eigentlich die öffentlichen Verwaltungen tangieren, bliebe oberflächlich, sei eine schlichte Weiterentwicklung von Rechen- und Schreibmaschinen, von Telefon und Fernschreiber, also von schon bekannter Bürotechnik. Daß großangelegte Informationssysteme kaum vorkamen und somit ein Auftrag der Landesgesetzgeber an die DV-Organisation nicht erfüllt werden konnte, wurde ebenso als Hinweis auf die geringe Tiefenwirkung der neuen Technik genommen wie die Enttäuchung der Erwartungen (oder auch Befürchtungen) in die Integration, das heißt, die aufgabenübergreifende Wirkung des Einsatzes von Computern. Damit schienen sich Führungsfragen erledigt zu haben.

Die Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf die Frage der Wirtschaftlichkeit, auf die Maschinisierung interner Abläufe von Routinefällen. Aber auch diese Maschinisierung hat das Verwaltungsmanagement nicht politisch abgesteckt, sondern an die DV-Fachleute delegiert, die nach technischen Kriterien und - kaum kontrolliert von Fachämtern - ihre Systeme entwarfen und implementierten.

Die Folge war die Abkehr von aufgabenbezogenen Organisationsgrundsätzen -zugunsten technischer beziehungsweise DV-wirtschaftlicher Prämissen: Konzentration von Maschinerie und Daten statt dekonzentriertes Bearbeiten der Aufgaben in orts- und/ oder objektnahen Einheiten; Verselbständigung von DV-Institutionen statt Einheit der Verwaltung auf den einzelnen Ebenen; Verkomplizierung der Abläufe mit neuen horizontalen und insbesondere vertikalen Verknüpfungen ohne Bezug zur Aufgabe statt größtmögliche Selbständigkeit der Einheiten, statt Einfachheit und Transparenz der Abläufe; dichtere Regelung der Verwaltungsarbeit statt Stützung der Verantwortlichkeit vor Ort - um nur einiges zu nennen.

Reparatur mit neuer Technik

Während die Konsequenzen dieser Verschiebung von Organisationsprinzipien für die Binnenstruktur eher unbeachtet blieben, fiel dem Bürger doch bald die Vernachlässigung von Außenbeziehungen auf: So wenig Aufmerksamkeit hatte die Verwaltung der schriftlichen Kommunikation noch nie gewidmet. Daß man sich nach außen verständlich machen muß, war offenbar im Eifer der Maschinisierung in Vergessenheit geraten und muß nun Schritt für Schritt wiederentdeckt werden, wenn der Unmut über die Bürokratie nicht allzu groß werden soll.

Hier wie bei den binnenstrukturellen Folgen der Techniknutzung kommt nun nicht eine grundsätzlichere verwaltungspolitische Diskussion in Gang; vielmehr werden die neuen Angebote der Informationstechnik darauf hin abgeklopft, ob sie die Mängel der alten Techniknutzungen reparieren können: Läßt sich mit den neuen Diensten der Post die negative Auswirkung der Konzentration und der neu geschaffenen Kommunikationszwänge reduzieren? Kann Textverarbeitung das Image durch - ein besseres Design von schriftlichen Äußerungen nach draußen wiederherstellen? Können intelligente Terminals die Belastungen durch die Zeitstruktur zentraler Verarbeitungen vor Ort erträglicher machen? Kann Btx die vernachlässigten Außenbeziehungen wieder ins rechte Lot bringen?

Sicher sind das alles bedenkenswerte Ansätze zur fortschreitenden Nutzung von Technik. Wieder aber wird der Weg von der Technik aus gesucht, nicht von einer verwaltungspolitischen Zielstellung. Wieder wird dem technischen Sachverstand die Aufgabe delegiert, nach Anwendungen für angebotene technische Systeme zu suchen, statt Probleme der Verwaltung und der Verwaltungsarbeit, des Aufgabenvollzugs, der Beziehung zum Bürger an den Anfang zu stellen und deren Lösung anzustreben.