Politische Defizite in der Verwaltungsautomation

27.01.1984

Der Ruf, den die Nutzung der Informationstechnik in öffentlichen Verwaltungen genießt, ist nicht besonders gut. Drei Schlaglichter:

Nicht nur die Politiker und das Verwaltungsmanagement, auch quasi professionelle Kritiker von DV-Nutzung in der öffentlichen Verwaltung hat die Vehemenz des Widerstandes gegen die Volkszählung 1983 überrascht angesichts der Daten, die erhoben werden sollten.

Die Enquete-Kommission "Neue Informations- und Kommunikationstechniken" des Deutschen Bundestages hat in ihrem Zwischenbericht vom März t 983 keinen Anwendungsbereich so kritisch betrachtet wie die öffentliche Verwaltung und deutlich Defizite benannt.

Wie eine Repräsentativbefragung der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung erbracht hat, schätzen 63 Prozent der Befragten Nachteile des Computers in Staat und Verwaltung höher ein als dessen Vorteile; bei den Einzelfragen dieser Erhebung finden sich noch wesentlich schärfere

Ausprägungen der Kritik an der DV-Nutzung im öffentlichen Bereich.

Rufschädigung

Sicher kommt da vieles zusammen: Vorbehalte gegen undurchschaubare Großtechnologie, Furcht vor Überwachung im Privatbereich, am Arbeitsplatz und in der Öffentlichkeit, Bürokratiekritik. Selbst wenn also die Informationstechnik bisweilen als Sündenbock herhalten muß für die Fehler anderer und an anderer Stelle, so wäre es doch verfehlt, bei der Frage nach Stand und Entwicklungsrichtung der Computernutzung in Staat und Verwaltung einfach zur Tagesordnung überzugehen. So ganz ohne eigene Erfahrungen, so ganz ohne realen Hintergrund dürfte derartige Technikschelte nicht erhoben werden, zumal weil sie sich in recht unterschiedlicher Art und bei unterschiedlichen Anlässen doch immer in ähnlicher Richtung äußert.

Dem steht gegenüber, daß im täglichen Betrieb zahlreiche, teilweise hoch komplexe DV-Systeme fast fehlerfrei laufen, daß kein Bereich der routinisierten und durchgeregelten Verwaltung ohne DV arbeitet, daß ohne Computer - so wird geschätzt - in der Büroarbeit öffentlicher Verwaltungen zehn Prozent mehr Personal beschäftigt werden müßte, daß insgesamt Stand und Niveau der Technikanwendung im öffentlichen Bereich den Vergleich mit der Privatwirtschaft wohl kaum zu scheuen brauchen.

Blinder Fleck der Verwaltungspolitik

Ungeachtet dieser hohen Alltagsbedeutung für den Vollzug der Aufgaben mißt jedoch die Führungsebene der Verwaltung den Fragen nach Technik in Staat und Verwaltung wenig Gewicht bei. Niemand scheint sich so recht darum zu kümmern, was Maschinisierung von Information und Kommunikation, also von zentralen Kategorien von Staat und Verwaltung bedeutet und bedeuten könnte. Nur einige Indizien dufür:

Daß maschinisierte Volkszählung eine andere Verwaltungsaufgabe darstellt, nicht nur die Maschinisierung einer traditionellen Aufgabe, mußte die Verwaltungsführung erst "von der Straße" lernen.

Die Umstellung der Ausbildung für den gehobenen Dienst in den 70er Jahren auf Fachhochschulen für öffentliche Verwaltung wäre ein Anlaß gewesen, neue Qualifikationsanforderungen in den Lehrplänen wie in der Ausstattung zu berücksichtigen. Dies geschah jedoch nicht: Technisch-organisatorische Ausbildung derjenigen, die bis ins nächste Jahrtausend die Sachbearbeiterebene der Verwaltungen prägen, fehlt entweder ganz oder verfehlt die notwendigen Lernziele, insbesondere weil Technik losgelöst von ihren Anwendungen vorgestellt und gelehrt wird.

Die Einführung neuer DV-Systeme in den Verwaltungen wird nicht zum Anlaß genommen, die Beschäftigten intensiv mit der neuen Technik vertraut zu machen; vermittelt wird bloßes Handhabungswissen, jedoch so gut wie kein Systemwissen. Dieses Wissen veraltet jedoch so schnell wie die jeweilige DV-Version und motiviert nicht zur innovativen Nutzung des neuen Arbeitsmittels.

Maschinisierung der Verwaltung ist kein Diskussionsthema für die politische und administrative Führung der Verwaltung, was eine Durchsicht führender Fachzeitschriften jedem deutlich macht. Kaum ein Verwaltungsmann hat offenbar die Erwartung, er könne sich in seiner Zunft durch Überlegungen zur Zukunft der Technik in der Verwaltung profilieren.

Technik zur Konservierung

Entscheidungen wurden und werden vornehmlich als technische verstanden und den DV-Fachleiten in besonderen Organisationen überantwortet. Diesen DV-Organisationen gab man einst - Ende der 60er Jahre - wichtige verwaltungspolitische Ziele mit auf den Weg; die immensen Entwicklungsschwierigkeiten führten aber bald zu einer Ernüchterung, die negativ auf die verwaltungspolitische Einschätzung dessen, was sich vollzog durchschlug. Was liegenblieb, sind die Fragen nach grundsätzlichen Alternativen, nach den Konsequenzen technischbedingter Strukturveränderungen, nach der Verschiebung der Aufmerksamkeit in einzelnen Verwaltungszweigen als Folge bestimmter technischorganisatorischer Konzeptionen, nach der Bedeutung der Vollzugsspielräume vor Ort die mit den vorfindlichen Techniknutzungen weitgehend beseitigt sind, nach den Erfordernissen angemessener Qualifikation auf allen Ebenen der Verwaltung.

Bei einem von unserer Forschungsgruppe über fünf Jahre begleiteten Großprojekt das der Bund zur Weiterentwicklung kommunaler Datenverarbeitung förderte, findet sich außer einer alles oder auch nichts regelnden allgemeinen Zielvorgabe keine von der politischen oder administrativen Spitze formulierte Vorstellung über die Verwaltung der Zukunft. Die Zielperspektive beschränkt sich vielmehr darauf, die Defizite alter Technik durch neue Technik auszugleichen. Die weichenstellenden Entscheidungen in diesem Projekt - etwa über das Ausmaß zentralisierter Entwicklung und Produktion angesichts neuer technischer Möglichkeiten und damit auch über das Ausmaß kommunaler Selbstverwaltung - sind eher nebenbei gefallen, teilweise sogar nach außen verlagert worden. Das Verfahren war zwar immer formal ordnungsgemäß abgesichert, die poltische Relevanz von einzelnen Entscheidungen blieb aber undeutlich; jede Seite suchte die "Politisierung" zu vermeiden.

Selbst wenn man seit geraumer Zeit in vielen Verwaltungen empirisch Einblick gewonnen hat, so daß einem eigentlich nichts Bürokratisches mehr fremd sein sollte, ist man doch immer wieder überrascht, in welchem Maße Fragen der richtigen technischorganisatorischen Konzepte als Fragen von interner Auseinandersetzung, von Machtbalance, von Etat-Erhalt, von Einstufung der Dienstposten, von Sicherung formaler Verantwortlichkeit behandelt und entschieden werden. Dies sind sicher alles relevante Aspekte innovativer Technik in öffentlichen Verwaltungen, aber wohl kaum der Kern, um den es gehen sollte, nämlich die Verbesserung des Aufgabenvollzugs im Interesse der politisch gesetzten Ziele, der Bürger und der Sicherung humaner Arbeit in der Verwaltung.