Poldergrafen

20.11.1981

Trotz allgemeiner Rezession geht der Vormarsch der Elektronik, und damit der Computer, unaufhaltsam weiter - die jüngste Rechnerstatistik der DV-Päpste von Diebold (Stand vom 1. 7.1981) beweist es. Ihr anhaltendes Wachstum verdankt die DV-Branche allein dem Trend zu neuen Anwendungen - bei kleineren und mittleren Universalrechnern, die administrativen Routinekram erledigen, ist das Geschäft für die Computerhersteller spürbar härter geworden. Dies trifft insbesondere auf die Situation im Inlandsmarkt zu.

So gleicht die bundesdeutsche DV-Landschaft derzeit einem Polder: Jungfräulicher Installationsboden muß dem Markt durch Eindeichung abgerungen werden. Als besonders fruchtbar haben sich dabei die Bereiche Distributed Data Processing, Personal Computing, Textverarbeitung, Computergrafik und computerunterstütztes Konstruieren (CAD/CAM) erwiesen.

Im Kampf um die neuen Pfründe, die Diebold-Statistik zeigt es deutlich, erzielen Außenseiter und Newcomer mehr Erfolge als die "alten" Mainframer. Die Ausnahmeerscheinung IBM bestätigt, wie es sich gehört, die Regel.

Big Blue hat rechtzeitig von der traditionellen Upgrade-Konzeption, dem Melken der Großkunden, auf eine aggressive Akquisition im Terminal- und Office Automation-Geschäft umgeschaltet. Mit Grafik-Produkten, wie dem 3101-Bildschirm, aber auch mit dem Personal Computer-Baby leistet IBM dem neuen Trend nach Intelligenz am Schreibtisch kräftig Schützenhilfe. Denn gerade für die Arbeitsplatz-Datenverarbeitung gewinnt die Verbundfähigkeit der einzelnen Geräte zunehmend an Bedeutung, wird die Kompatibilität von Programmen und Dateien zum wichtigsten Entscheidungskriterium für die potentiellen Benutzer.

So muß denn die Vorstellung, das enorme Workstation-Potential könnte in die Hände des Marktführers fallen, in den Vorstandsetagen der bisherigen IBM-Weggefährten Siemens, Univac, Honeywell, NCR, Burroughs und ICL beklemmend wirken. Daß selbst langjährige Nicht-IBM-Kunden, nicht zuletzt wegen der Terminalschwäche ihres Zentralrechner-Lieferanten, in das 3270-Lager überwechseln könnten, mögen einige Alt-Mainframer nicht wahrhaben. Für sie wird, Marktbeobachter bestätigen dies, Parkverteidigung zum Überlebensprinzip. Während IBM neue Märkte angeht (siehe oben), sind Siemens & Co. in selbstzerstörerische Rückzugsgefechte verwickelt: Der eigene Entfaltungsspielraum kann jeweils nur auf Kosten der anderen Kontrahenten erweitert werden.

So groß jedoch die Gefahr von "oben" ist, eine noch größere könnte von "unten" entstehen: Da gibt es innovative Minicomputer-Firmen, wie Digital Equipment, Hewlett-Packard, Tandem oder Prime, die zunehmend mit Distributed Data Processing- und Office Automation-Produkten den "Alten" Konkurrenz machen.

Ausgesprochene Bürokommunikationsspezialisten lauern überdies auf ihre Chance - Wang etwa, oder Datapoint. Ja, selbst die Steckerkompatiblen Amdahl und National Advanced Systems (NAS) graben mit ihrer Nachbaupolitik den Nicht-IBM-Anbietern indirekt das Wasser ab: Die IBM-Welt wird größer.

Tatsächlich befinden sich die IBM-Antipoden in Schwierigkeiten. Den größten Gerüchte-Wirbel gab's zuletzt um ICL und Siemens. Aber auch Univac und Burroughs blieben vom Hochwasser nicht verschont. Cii-Honeywell Bull stützt eine Regierungskrücke. Bislang ist jeder Ausbruchsversuch der Etablierten an einer falschen Produktstrategie oder an purer Managementschwäche gescheitert.