Podiumsdiskussion auf der Comdex Es sprechen mehr Argumente fuer Unix als fuer Windows NT

11.06.1993

ATLANTA (gfh) - Auf der Fachmesse Comdex hat Microsoft-Chef Bill Gates Windows NT nicht nur angekuendigt, sondern es auch deutlich gegen Unix positioniert. Geht es nach seinen Vorstellungen, dann setzen die Anwender vom PC bis zum Superrechner bald nur noch das Microsoft-Betriebssystem ein. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion versuchten die Messeveranstalter zu klaeren, ob NT in der Lage ist, Unix zu verdraengen. Aus diesem Wettstreit ging das Multiuser- Betriebssystem als klarer Punktsieger hervor.

Gefuehrt wurde die Diskussion von vier amerikanischen Fachjournalisten, die in Zweier-Teams fuer Windows NT beziehungsweise fuer Unix eintraten. In drei Runden sollten sie die These stuetzen oder widerlegen, dass das Microsoft-Produkt Unix am Desktop (Runde eins), im Server-Bereich (Runde zweiund bei unternehmensweiter DV (Runde drei) verdraengen werde. Nach jedem Durchgang stimmte das Publikum darueber ab, welche Partei besser argumentierte.

1. Runde: NT und

Unix am Desktop

John Dodge, Leitender Redakteur von "PC Week", eroeffnete die Diskussion zugunsten von Windows NT mit der Meinung, dass "Windows NT das ideale High-end-Workstation-Betriebssystem und hervorragend fuer wissenschaftliche Anwendungen und den Netzbetrieb geeignet" sei. Er begruendete diese These mit dem Hinweis auf die tausenden von DOS- und Windows-Applikationen, die unter NT laufen werden, sowie mit der fuer die Anwender vertrauten Benutzeroberflaeche. Besonders hebt er das neue multiple Dateisystem hervor, das unter anderem verschiedene Dateiformate lesen koenne, Posix unterstuetze und nach Systemabstuerzen Dateien rekonstruieren koenne.

Mitstreiter Mike Azzara, Redakteur von "Open Systems Today" (frueher: "Unix Today"), sekundierte mit dem Hinweis auf Microsofts hervorragende Marketing-Strategie, die das Produkt durch tausende von Betaversionen nicht nur bei moeglichen Kunden, sondern vor allem bei den Software-Entwicklern bekannt gemacht habe. Die vielen Rueckmeldungen wuerden dazu fuehren, dass NT rasch zu einem ausgereiften Betriebssystem werde. Darueber hinaus zeigten Features wie das C2-Security-Level, dass Microsoft das Versprechen einhalten wolle, eine Plattform fuer unternehmenskritische Anwendungen anzubieten.

Diese Strategie, so ergaenzte Dodge, habe schon jetzt fuer eine breite Unterstuetzung von Value Added Resellers, Distributoren und OEMs gesorgt - die sich auch auf den Support erstrecke.

Diesen Argumenten hielt Unix-Fuersprecher David Coursey, Redakteur von "P.C. Letter", die Frage entgegen, welche neuen Errungenschaften NT dem Anwender denn bringe? Nicht einmal Microsoft habe diese Frage beantworten koennen und gebe sich daher bei

den Zukunftsprognosen inoffiziell gar nicht so optimistisch. Nach seinen Aussagen rechnet das Unternehmen damit, dass NT bestenfalls fuer jeden zehnten Windows-User attraktiv ist. Insgesamt schaetzte Microsoft den Markt auf vier Millionen potentielle Kunden. Dieser Zahl stuenden derzeit rund zehn Millionen Desktop-Unix-Anwender gegenueber.

Zudem koenne Microsoft gar kein so grosses Interesse an der Vermarktung von Windows NT haben, da doch das Nachfolgeprodukt Cairo bereits vor der Tuer stehe. Nach seiner Ueberzeugung will sich Microsoft mit NT lediglich den Intel-Markt bis zur Freigabe des eigentlichen Zukunftsprodukts sichern.

Warum, so fragte er, sollte ein Anwender das Wagnis eingehen, auf die erste Version eines noch nicht ausgereiften Betriebssystems umzusteigen. Selbst bei der sechsten Version von MS-DOS habe das Unternehmen es entgegen seinen Versprechungen nicht geschafft, ein fehlerfreies Produkt auf den Markt zu bringen. Das Umstiegsrisiko ist laut Coursey besonders gross, wenn es um unternehmenskritische Anwendungen geht. In solchen Faellen sollten die Kunden sich ohnehin nicht auf Desktop-Systeme verlassen.

Windows NT ist nach seiner Ansicht von den Hardware-Anforderungen derzeit ausserdem noch zu teuer. Auch wenn absehbar sei, dass sich 486er PCs mit 16 MB Hauptspeicher durchsetzen wuerden, so biete NT keine Features, die den mit einem Betriebssystem-Wechsel verbundenen Aufwand rechtfertigten.

Fuer Coursey waren im uebrigen nicht Netware und Unix die Hauptkonkurrenten von Windows NT, sondern das bisherige Windows. Wie, so fragte er, soll man zufriedene Windows-Anwender dazu bewegen, ihre Umgebung gegen ein aufwendiges Betriebssytem auszutauschen, das zudem weitgehend mit dem bisherigen identisch ist.

Ausserdem biete die Kombination aus Netware, Unix und Windows Vorteile, die jenen von NT ueberlegen seien. Unix glaenze durch den modernen Stand der Technik und durch Herstellerunabhaengigkeit, Netware durch Leistungsfaehigkeit und Zuverlaessigkeit und Windows durch den Preis und die grosse Menge an Applikationen.

An dieser Stelle ergriff Dodge von der NT-Partei das Wort und erinnerte daran, dass Unix mindestens soviele Hardware-Ressourcen in Anspruch nehme, wie das Microsoft-Betriebssystem. Ausserdem sei ein Stamm von 10 000 Desktop-Kunden in rund 24 Jahren nicht gerade ein Zeichen von Erfolg.

2. Runde: Unix und

NT als Server-System

Auch auf Server-Ebene, so argumentierte das Unix-Team, sei es unsinnig, funktionierende Produkte wie Unix und Netware fuer ein neues, kaum erprobtes System aufzugeben. "Wo Unix laeuft, oder Netware, da hat Windows NT keine Chance", bekundete David Flack, Chefredakteur des "Unix World Magazine". Anders als im Desktop- Markt werde Server-Software nicht wie Winword im Laden an

der Ecke gekauft, sondern bei einem Systemintegrator, der Funktionalitaet und Support garantieren koenne. Dieser Markt sei fuer Microsoft jedoch absolutes Neuland.

Auch im Bereich Software-Entwicklung raeumte Flack Microsoft wenig Chancen ein. Der Vorsprung von Unix bei der Vielfalt und Ausgereiftheit der verfuegbaren Entwicklungswerkzeuge sei kaum einzuholen. Hinzu kaeme, dass Unix in mehreren Laendern ausserhalb der USA zu einem nationalen Standard erhoben worden sei.

Coursey unterstuetzte seinen Kollegen mit dem Versuch, den proprietaeren Charakter von Windows NT aufzuzeigen: "Microsoft will mit Windows NT die DV-Welt in den Griff bekommen, und Firmen wie Intel und DEC sollen dabei helfen", unterstellte er Microsoft monopolistische Tendenzen. Wer sich dagegen wehren wolle, dass Bill Gates Standards setze, wie sie ihm gefielen, der sei auf offene Systeme wie Unix angewiesen. Nur dort ist seiner Ansicht nach der Einfluss der Anwender und der freie Zugang zu allen Schnittstellen einigermassen sichergestellt.

"Wenn es stimmt", wiederholte Coursey ein bereits ins Feld gefuehrtes Argument, "dass NT lediglich ein Uebergangsprodukt ist, dann werden die Kunden in ein paar Jahren Probleme bekommen, bei denen ihnen nur Microsoft helfen kann". Wer sich dagegen fuer Unix entscheide, brauche Schwierigkeiten bei einem Technologiewechsel nicht zu fuerchten.

"Kein Unternehmen kauft sein Betriebssystem aus moralischen Erwaegungen", brauste NT-Verfechter Azarra auf. Vielmehr entschieden die Anwender einzig nach dem Nutzen, und hier muessten selbst die Gegner eingestehen, dass Microsoft mit NT ein gutes Produkt auf den Markt bringe. Unix dagegen, das habe die Entwicklung der letzten Jahre gezeigt, werde staendig neu erfunden.

NT-Fuersprecher Dodge versuchte daraufhin die Situation durch den Hinweis zu entschaerfen, dass Microsoft sein Kundenpotential weniger im Unix- als im Downsizing-Markt sehe. Offenheit haelt er fuer zweitrangig, da es im Endeffekt lediglich auf die Leistung der Anwendungssoftware ankaeme. Gegen das Argument der groesseren Erfahrung im Bereich Entwicklungs-Tools setzte er die Behauptung, dass die meisten davon lediglich in einer eng begrenzten Hardware- Umgebung einsetzbar waeren.

Ausserdem wies Dodge den Vorwurf zurueck, NT fuehre die Anwender in eine Sackgasse. Nach seinem Kenntnisstand sei es vielmehr so, dass Cairo auf dem NT-Betriebssytem aufsetzen werde. Dem hatte sein Partner Azzara nur noch hinzuzufuegen, er halte die oft geaeusserte Behauptung fuer Unsinn, dass Benutzer funktionierende Systeme nicht durch neuere Produkte ersetzen. Azzara: "Oder kennen Sie jemanden, der heute noch mit CP/M arbeitet."

Nachdem die Unix-Mannschaft noch einmal das Wort ergriff, um Bill Gates ins Stammbuch zu schreiben, er habe bisher seine Behauptung nicht belegen koennen, wonach "NT ein besseres Unix als Unix" sei, entschied wieder das Pubklikum - und zwar wie in der ersten Diskussionsrunde fuer Unix.

3. Runde: Unix und

NT unternehmensweit

Nur mit Windows NT liesse sich das gesamte Unternehmen vom Desktop bis zum Superrechner unter ein einheitliches Betriebssystem-Dach bringen, eroeffnete Microsoft-Unterstuetzer Azzara die letzte Runde. Unix dagegen diene im Zweifelsfall als Server fuer Windows-Clients. Ausserdem gebe es nach wie vor zuviele Varianten dieses Multiuser- Betriebssystems.

Auch dem Netzbetriebssystem Netware sei das Microsoft-Produkt ueberlegen, assistierte Dogde, weil es echte Client-Server- Unterstuetzung biete. Er verschwieg dabei aber, dass diese Arbeitsweise seit der Version 4 auch im Novell-Produkt vorgesehen ist.

Im uebrigen gelte, dass die Produktivitaet der DV von den Endanwendungen herruehre, die heute nahezu alle unter Windows liefen. Die Aufgabe eines Servers sei lediglich deren Koordination. Hier habe NT wegen der technischen Naehe zu Windows und dem weitgehend identischen "Look-and-feel" klare Vorteile.

Als Unix-Vertreter setzte Coursey ganz andere Schwerpunkte. Wichtig sei vor allem, dass offene Schnittstellen die Zusammenarbeit moeglichst problemlos machen. Dabei entscheide am Front-end die Anwendung, ob ein Mac oder ein Windows-PC besser geeignet ist. Auf Serverseite habe jedoch Unix aufgrund seiner Offenheit die besten Karten. Auch NT koenne hier eine Rolle spielen. Bisher sei jedoch noch unklar, welche Staerken dieses System in heterogenen Umgebungen auszeichne.

Auch Flack raet zur Vorsicht. Er weist darauf hin, dass noch keineswegs klar sei, ob und fuer welche unternehmenskritischen Einsatzgebiete sich NT eigne. Anders als am Front-end koenne man ein Server-Betriebssystem jedoch nicht ohne gravierende Folgen ausmustern, falls es sich nicht bewaehrt.

Als Vertreter von Windows NT griff Dodge die Kritierien Offenheit und freie Herstellerwahl als aufgeblasene Werbekampagne der Unix- Anbieter an. Dabei habe die Industrie diese Ziele durch die Auseinandersetzungen in und zwischen den zahlreichen Standardisierungsgremien laengst korrumpiert. Was die Branche brauche, sei eine einheitliche Vision, wie sie Bill Gates biete. Schon jetzt belebe die innovative Kraft von Microsoft die DV- Industrie.

Dieser Aufruf, mit Microsoft die IT-Industrie voranzubringen, fand bei den Zuhoerern wenig Verstaendnis. Ein drittes Mal stellten sie sich klar auf die Seite der Unix-Argumente.