Virtuelles Führen

Plötzlich Führungskraft im Home Office

26.03.2020
Von 
Gudrun Happich ist seit rund 20 Jahren Führungskräfte-Coach sowie Sparringspartnerin für Top-Manager und Leistungsträger in Schlüsselpositionen. Die Diplom-Biologin und Inhaberin des Galileo Instituts für Human Excellence blickt selbst auf langjährige Führungserfahrung zurück und war unter anderem als Geschäftsführerin verantwortlich für mehr als 1.000 Mitarbeiter im DACH-Raum. Gudrun Happich ist Autorin mehrerer Bücher.
Dem Führen auf Distanz stehen manche Führungskräfte erst seit der Corona-Krise gegenüber. Mit den folgenden Tipps klappt die Mitarbeiterführung aus dem Home Office.
Plötzlich Führungskraft im Home Office: Virtuell führen in Zeiten von Corona.
Plötzlich Führungskraft im Home Office: Virtuell führen in Zeiten von Corona.
Foto: LStockStudio - shutterstock.com

Aus meinen persönlichen Erfahrungen kann ich sagen, dass man virtuelles Führen nicht nur lernen kann, sondern dass es auch über viele Jahre hinweg funktioniert. Bereits vor mehr als 20 Jahren war ich als Mitglied der Geschäftsleitung für ca. 1.000 Mitarbeiter verantwortlich, die über den gesamten DACH-Raum verteilt waren. Wo heute virtuelle Konferenzen einen Präsenztermin ersetzen können, war die Technik damals im Vergleich steinzeitlich. Gleichzeitig waren meine Mitarbeiter viel auf sich alleine gestellt, da droht schnell ein Motivationsloch, sich abgehängt oder isoliert zu fühlen.

Lesetipp: Virtuelle Kommunikation braucht Normen

Persönliche Kontakte - auch bei Führung auf Distanz

So wie man in einem Unternehmen oder Büro mal so eben "Hallo" sagt oder auch mit einem wertschätzenden Blickkontakt dem Mitarbeiter zeigt, dass man ihn wahrgenommen hat, genauso braucht es diese Geste auch beim Führen auf Distanz. Nicht lange, aber kontinuierlich. Eine Möglichkeit können zum Beispiel einfache Kurznachrichten sein, wie:

  • "Schönen guten Morgen"

  • "Freue mich auf das Meeting mit xy gleich"

  • "Wie geht es Deiner Erkältung heute?"

  • "Kopf hoch"

Solche Kurznachrichten zeigen Ihrem Mitarbeiter, das Sie an ihm (ehrlich!) interessiert sind. Zudem ist es nützlich, mit jedem Mitarbeiter und jeder Mitarbeiterin ein exklusives Eins-zu-eins-Zeitfenster pro Woche zu vereinbaren. Mindestens eine halbe Stunde lang, maximal eine Stunde. Das ist seine/ihre Zeit und gilt seinen/ihren Belangen.

Netiquette ist wichtig - auch bei Führung aus dem Home Office

Wenn Sie Ihre Mitarbeiter vom Home Office aus führen und möglicherweise über einen langen Zeitraum nicht sehen (können), wird der kontinuierliche Kontakt auch vielfach über E-Mail - also schriftlich erfolgen. Hier macht es Sinn, mit den Mitarbeitern ebenfalls eine "Netiquette" zu vereinbaren. Das bedeutet: Vereinbaren Sie beispielsweise, nur kurze Mails zu schreiben und schnell auf den Punkt zu kommen oder unterbinden Sie cc-Massenverteiler.

Führungsverantwortung durch regelmäßige Meetings

Die Meetings mit meinem damaligen Team - damals ausschließlich am Telefon - hatten immer die gleiche Struktur:

  1. Kurzer Smalltalk, um warm zu werden

  2. Was hattest Du Dir von letzter Woche zu heute vorgenommen? Was hat geklappt?

  3. Was hat noch nicht geklappt?

  4. Was nimmst Du Dir für die nächste Woche vor?

  5. Was brauchst Du von mir?

Im Grunde ist dies eine Struktur, die den heutigen Stand Up Meetings bei Scrum gleicht. Solche Meetings haben den Vorteil, dass sie stets dem gleichen Ablauf folgen. Die Mitarbeiter können sich vorbereiten und die wichtigsten Punkte kommen auf den Tisch. Die Punkte 2. und 3. dienen der Mitarbeiterbetreuung und -bindung. Wenn das aktuelle Verhalten eines Mitarbeiters nicht zu seinem Standardverhalten passt, sollten die Alarmglocken klingeln.

Das sollte zum Anlass genommen werden, der Führungsverantwortung nachzukommen und nachzuhören. Steckt der Mitarbeiter in einem Motivationstief oder wird er von etwas anderem abgelenkt? Diese Information bietet dann sofort die Möglichkeit, aktiv zu werden. Meine Erfahrung zeigt: Wenn ich mich für meine Mitarbeiter interessiere, dann bekomme ich auch auf Distanz sehr viel von ihnen mit.

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Die Spielregeln gelten für alle

Damit Führung auf Distanz funktioniert, sind verbindliche Spielregeln unabdingbar. Die wichtigsten Spielregeln sind:

  1. Die vereinbarte Zeit ist exklusiv für die jeweiligen Mitarbeiter da. In dieser Zeit sind sie die wichtigste Person auf der Welt.

  2. Störungen von außen werden in dieser Zeit ignoriert.

  3. Die Mitarbeiter sind verantwortlich, sich zur vereinbarten Zeit zu melden. Ja, richtig gelesen! Die Aktivität geht von den Mitarbeitern aus.

  4. Ruft jemand zu früh an oder will die Gesprächszeit verlängern, sollte das unterbunden werden.

Die Regel in Punkt 4. hat folgende Hintergründe: Zum einen Rücksichtname auf die anderen Mitarbeiter, die schon auf ihren Zeitslot warteten. Zum anderen aber auch um den betroffenen Mitarbeiter an Grenzen zu gewöhnen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es immer die gleichen Mitarbeiter waren, die versuchten eine "Sonderlocke" zu erheischen. Das ist beim Führen auf Distanz nicht anders als beim direkten Kontakt im Büro. In einem komplett virtuellen Führungsraum können Sie der Führungsherausforderung nur gerecht werden, wenn sich alle an die gleichen Regeln halten. Das ist Ihr "Führungsstandard". Erst wenn diese Grundlagen gelegt sind, kann man über die zusätzlichen individuellen Führungsmöglichkeiten nachdenken.

Vertrauen ist ein Muss

Haben auch Sie sich die folgende Frage gestellt? "Kann ich dem Mitarbeiter trauen, vielleicht missbraucht er ja die Freiheitsgrade?". Ehrlich gesagt, diese Gedanken entpuppten sich damals als kontraproduktiv. Also stellte ich sie ab und baute auf Vertrauen. Meine Erfahrung ist: Misstrauen vergiftet eine virtuelle Beziehung. Orientieren Sie sich einfach an den Ergebnissen, die der Mitarbeiter bringt. Und wenn Ergebnisse nicht so ausgefallen sind, wie Sie das besprochen hatten? Fragen Sie nach den Hintergründen (nein, nicht nach den Ausreden fragen!). Sie bekommen innerhalb kürzester Zeit ein eindeutiges Gefühl dafür, ob die Worte den Taten, sprich dem Verhalten, entsprechen. Ist die Antwort ja, gibt es keinen Grund für chronisches Misstrauen. Passen die Worte nicht zu den Taten, dann haben Sie ein ganz anderes Problem und dürfen handeln.

Führung per Telefon oder Video Call statt nur über E-Mail

Nehmen wir einmal an, das Führen auf Distanz klappt soweit auch ganz gut, aber ab und an fühlen Sie sich angegriffen, nicht richtig verstanden, übergangen oder was auch immer. Wenn sich ein negatives Gefühl in Ihnen aufbaut, ist die wichtigste Regel in so einem Fall: Nehmen Sie es nicht zu persönlich. Worte sind Worte und machen etwa sieben Prozent der Kommunikation aus. Daher bekommen wir schriftliche Formulierungen schnell in den falschen Hals.

Nehmen Sie stattdessen Ihren Unmut wahr und atmen Sie tief durch, bevor Sie antworten. Sollte es nach dem zweiten E-Mail-Austausch immer noch in Ihrem Magen grummeln, greifen Sie bitte zum Telefonhörer oder starten einen (verabredeten) Videocall. Sprechen Sie lieber mit der betreffenden Person, anstatt erneut per E-Mail zu antworten.

Dort kann die erste Frage lauten: "Sie haben xy formuliert. Das ist bei mir so und so angekommen, wie war es gemeint?" Fragen Sie nach, was und wie es der andere gemeint hat. Beim Sprechen am Telefon werden schon weitere 38 Prozent mehr an Kommunikation weitergereicht. Wenn Sie jetzt eine virtuelle Konferenz einberufen, sehen Sie Ihr Gegenüber sogar und können auf insgesamt 100 Prozent Kommunikation kommen, komplettiert mit den 55 Prozent der Kommunikation, die die Körpersprache ausmacht.

Fazit

Gute Zusammenarbeit kann sehr gut virtuell funktionieren. Als Führungskraft sind Sie gefordert, Ihre Mitarbeiter zu führen und zu Ergebnissen zu bringen. Führen auf Distanz ist eine Führungskompetenz die zu Ihrem Führungsrepertoire zählen sollte.