Pleitenstandort Deutschland?

30.10.2006
Hiobsbotschaften über Entlassungen und Gehaltskürzungen erschütterten zuletzt die deutsche ITK-Szene. Gleichzeitig entwickeln sich die Märkte solide.
In Sachen Beschäftigung tut sich im deutschen ITK-Markt wenig.
In Sachen Beschäftigung tut sich im deutschen ITK-Markt wenig.

Der ITK-Markt in Deutschland sendete im Oktober widersprüchliche Signale aus: Während sich die Branche einerseits über gesundes Wachstum freut und Personalmangel beklagt, gab es andererseits jede Menge Schockmeldungen.

Branchentelegramme

• Hardware: Das Geschäft mit Standardhardware bleibt schwierig. Das bekam zum Beispiel Maxdata im PC-Markt zum wiederholten Mal zu spüren. Andere Anbieter verlassen sich schon längst nicht mehr allein auf Hardware. So verdienen IBM und EMC einen Großteil ihrer Umsätze mit Software und Services. Oder man hat sich wie Apple mit seinen Geräten einen gewissen Kultstatus erarbeitet.

• Halbleiter: Die Konkurrenz mit AMD macht Intel zunehmend zu schaffen. Umsatz und Gewinn sind rückläufig. Doch auch bei AMD wird sich der Preiskampf über kurz oder lang bemerkbar machen. Derweil deutet sich ein Abschwung im Halbleitergeschäft an. Texas Instruments rechnet mit vollen Lagern bei den Abnehmern sowie längeren Austauschzyklen und warnt deshalb, die Umsätze würden im laufenden Quartal nicht so hoch ausfallen wie ursprünglich erwartet.

• Telekommunikation: Für die Telekommunikationsanbieter wird es angesichts des brutalen Preiskampfes immer schwieriger, die Erwartungen zu erfüllen. Um an der Börse nicht durchzufallen, bemühen sich die Anbieter um Wachstum durch Akquisitionen. Allerdings gibt es immer seltener lohnenswerte Beute. Daher werden die Auseinandersetzungen härter und bis vor die Schranken der Gerichte getragen, wie der Streit zwischen Vivendi und der Deutschen Telekom um den polnischen Anbieter PTC zeigt.

• Telko-Ausrüster: Die Geschäfte der Telekommunikationsausrüster laufen im Großen und Ganzen rund. Durch die Bank legen die Umsätze zu. Lediglich auf der Ergebnisseite gibt es Schwankungen, die meist auf das modeabhängige Handy-Geschäft vieler Ausrüster zurückzuführen sind.

• Internet: Neben dem Börsen-Musterschüler Google haben es die anderen Anbieter schwer. Der Suchmaschinenbetreiber übertraf ein weiteres Mal die Erwartungen und ließ die Analysten jubeln. Wer sich in diesem Geschäft schwache Steigerungen oder gar rückläufige Raten erlaubt, ist bei den Börsianern sofort unten durch.

• Software: Die großen Softwarehäuser wie SAP und Microsoft haben ihr Geschäft sicher im Griff. Dagegen kämpft so mancher der kleineren Anbieter ums Überleben - nicht immer mit Erfolg, wie die Insolvenz von Semiramis gezeigt hat. Probleme haben auch die Unternehmen, die zugekauft haben. Lawson legte nach der Übernahme von Intentia ein miserables Ergebnis im Lizenzgeschäft hin und Symantec kommt nach der Akquisition von Veritas immer noch nicht so recht in die Gänge.

• Services: Geringe Margen machen den Serviceanbietern das Leben schwer. Nur wer seine Kosten im Griff hat, schreibt schwarze Zahlen. Das gelingt nach wie vor den Offshore-Anbietern. Von den Zahlen und Wachstumsraten der Inder können die alteingesessenen Dienstleister nur träumen.

Branchenmonitor

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Martin Bayer

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Ende September hatte BenQ Mobile Insolvenz angemeldet. Im Oktober klang der Donnerhall nach. Der Insolvenzverwalter verkündete: 1900 der 3100 Stellen fallen weg. Dieser Schritt sei erforderlich, um die wirtschaftliche Selbständigkeit wieder herzustellen. Gewerkschaften und Politiker liefen Sturm. Der taiwanische Konzern stehle sich aus der Verantwortung für seine deutschen Mitarbeiter, schimpfte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers. Siemens müsse seinen Hilfsfond für die von der Arbeitslosigkeit Betroffenen aufstocken, forderten die IG-Metall-Verantwortlichkeiten.

Pleite zieht weite Kreise

Die Pleite des Handy-Herstellers verursachte Kollateralschäden. Infineon rechnet in Folge der Pleite des Chipabnehmers mit Umsatzausfällen, die bis zu 400 Arbeitsplätze kosten könnten. Auch Handy-Ausrüster Balda zollt der Pleite Tribut und baut Kapazitäten ab. Drei Werke mit rund 1000 Mitarbeitern sollen veräußert werden.

Mitten in der Diskussion um die BenQ-Mobile-Pleite traf die deutsche ITK-Arbeitnehmerschaft der nächste Schock - ganz in magenta. Zuerst kündigte T-Systems-Chef Lothar Pauly im Interview mit der computerwoche tiefe Einschnitte an. Statt den bislang angekündigten 5500 sollen nun über 7000 Stellen beim Dienstleister gestrichen werden. Hintergrund sind offenbar rigide Sparvorgaben des ehemaligen Staatskonzerns. Um rund eine Milliarde Euro pro Jahr soll Pauly das IT-Budget drosseln. Weil die Arbeit nicht weniger wird, stellt T-Systems auch neue Mitarbeiter ein - aber nicht in Deutschland, sondern in Niedriglohnländern wie der Slowakei, Ungarn und Indien. "Wie haben keine Alternative zu dem Stellenabbau."

Die Aufregung um den IT-Dienstleister war kaum vorbei, da legte die Telekom selbst nach. Über den bereits beschlossenen Abbau von 32000 Stellen hinaus könnten weitere 23000 Jobs wegfallen, sickerte aus einem Strategiepapier des Vorstands durch. Und damit noch nicht genug. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass der Konzern nur 93000 Menschen in Deutschland wettbewerbsfähig beschäftigen könne. Bei derzeit etwa 167000 Vollzeitstellen ein unnötiger Ballast von 74 000 Mitarbeitern - ein Klotz am Bein der Konzernstrategen.

Telekom kürzt Gehälter

Diese dementierten zwar, einen weiteren Stellenkahlschlag über 2008 hinaus zu planen, kündigten aber an, 45 000 Angestellte der Festnetzsparte in eine neue Geschäftseinheit zu transferieren. Hintergrund: Die Servicequalität soll verbessert werden. Darüber hinaus sollen auch die Kosten deutlich sinken - zu Lasten der Mitarbeiter. Die müssen sich auf empfindliche Gehaltseinbußen gefasst machen.

Bizarr klingen angesichts dieser Meldungen die Klagen des Bitkom, der Branche fehle es an Personal. Der Mangel an Fachkräften könne zu einer ernsten Belastung für die gesamte Branche führen, lamentierten die Verbandsoberen. 43 Prozent der befragten Unternehmen hätten angegeben, sie könnten offene Stellen nicht wie geplant besetzen und seien damit in ihrer Geschäftstätigkeit behindert. Dazu komme, dass die Studienanfängerzahlen in Informatik rapide sinken. Im vergangenen Jahr nahmen 29000 Schulabgänger das Studium auf. Im Jahr 2000 waren es noch 38000. Infolge der aktuellen Abbrecherquote würden weniger als die Hälfte ihr Studium beenden.

Ob die Lage wirklich bedrohlich ist, lässt sich kaum einschätzen. In Sachen IT-Arbeitsmarkt hat sich der Bitkom schon oft verschätzt. Anfang des vergangenen Jahres wurde noch stolz verkündet, die Branche werde 2005 rund 10 000 neue Stellen schaffen. Am Ende war es weniger als die Hälfte, musste der Bitkom kleinlaut zugeben. Für das laufende Jahr wollte der Verband erst gar keine Prognose abgeben. Man gehe davon aus, dass die Zahl der in der deutschen ITK-Industrie Beschäftigten bei etwa 750 000 stagnieren werde.

Nur die Qualifikation zählt

Wohin steuert der ITK-Standort Deutschland? Vom Geschäftsvolumen her ist er einer der wichtigsten Märkte der Welt. Im laufenden Jahr verdienen die ITK-Anbieter hierzulande laut den Prognosen des Bitkom immerhin 146,4 Milliarden Euro. Doch die Produkte, mit denen die Konzerne ihr Geld machen, werden zu großen Teilen ganz woanders produziert. Eines scheint klar: Der Bedarf an reiner Programmiertätigkeit geht weiter zurück, asiatische Anbieter sind billiger und offensichtlich auch besser. Gefragt ist IT-Personal mit Projekt-Management- und Branchen-Know-how. Der gnadenlose Preiskampf zwingt die Konzerne dazu, ihre Kosten, wo es nur geht zu drücken.

Um diese unbequeme Wahrheit drücken sich die meisten Konzernlenker. Da wird versucht, mit Hilfsfonds sowie halbgaren Versprechungen und Schuldzuweisungen den Scherbenhaufen zu kitten. Bis der nächste Geschäftsbereich zu Bruch geht. Lediglich Telekom-Boss Kai-Uwe Ricke brachte es zuletzt auf den Punkt: "Geringer bezahlte Arbeit ist besser als gar keine Arbeit", sagte er der "Süddeutschen Zeitung".