Management-Fehler bremsen Wachstum

Pleiten, Pech und Pannen der deutschen CRM-Anbieter

17.11.2000
Deutsche Customer-Relationship-Management-(CRM-)Anbieter leben von den Fehlern ihrer amerikanischen Vorbilder, können aber ihren Heimvorteil nicht ausspielen. Management-Schwächen, mangelndes Selbstbewusstsein und technologische Rückstände sind die gravierenden Nachteile der hiesigen CRM-Hersteller. Wolfgang Schwetz* zieht ein Resümee der Entwicklung in den letzten drei Jahren.

Das CRM-Zeitalter begann weltweit Mitte 1997. Den deutschsprachigen Markt traf der damit verbundene Angriff amerikanischer Sales-Force-Automation-(SFA-)Anbieter unter der neuen Flagge CRM überraschend, hatte man doch gerade alle Computer-Aided-Selling-(CAS-)Prospekte eingestampft und durch neue mit dem Label "SFA" ersetzt. Etwa zur gleichen Zeit erhöhte sich sprungartig das ohnehin reizvolle Potenzial des deutschen Marktes durch die Deregulierung auf dem Telekommunikations- und Energiesektor. Attraktive Großprojekte im B-to-C-Sektor winkten.

Initiiert von amerikanischen Marktanalysten, hatte Mitte 1997 der Markt mit CRM endlich weltweit einen einheitlichen Begriff. Den globalen Anbietern wie SAP, Oracle, Baan war es recht, deutschsprachige Anbieter mussten dagegen abermals ihre druckfrischen SFA-Prospekte zur Altpapiersammlung geben und auf CRM umstellen. Gleichzeitig fängt damit auch die Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen im deutschen CRM-Markt an. Zwar versuchte man, sich gegen die Anbieter aus den USA zu wehren, tat sich dabei aber schwer, weil man in Ermangelung eigener Strategien bei den Eindringlingen abgekupfert hatte. Einziges Plus für die heimischen Softwerker war die Schwäche der Konkurrenz aus der Neuen Welt: die Ungeschicklichkeit der auf US-Marketing, englische Sprache und den Dollar fixierten Amerikaner.

Im Kampf gegen die Übermacht von Siebel und den anderen US-Größen schlugen die deutschen Anbieter verschiedene Wege ein. Die einen versuchten über Mergers, den Anschluss zu den Führenden der Branche nicht zu verlieren. Andere expansionshungrige, aber mit wenig Kapital ausgestattete Hersteller buhlten mit Hochglanzbroschüren und euphorisch dargestellten Perspektiven um Venture Capital. Und sie bekamen es reichlich, wie die Beispiele Update Marketing aus Wien und die Münchner TPS Labs zeigen.

Für manch einen ging es ums Überleben, denn mit der veralteten, DOS-lastigen Softwaretechnologie war gegen die Hightech-Newcomer kein Preis mehr zu gewinnen. Zum Vergleich: Die damaligen deutschen Marktführer Kiefer & Veittinger (K&V), mit 300 Mitarbeitern zum größten europäischen CAS-Anbieter avanciert, feierten ihren zehnten Geburtstag, während ihre amerikanischen Kollegen, frei von DOS-Lasten, gerade zwei Jahre alt geworden waren. Und das hatte Folgen: K&V, laut Marketing längst auf der modularen Standardsoftwareschiene, konnte sich trotz Entwicklung an neuen Standorten wie Indien nicht von der Individualprogrammierung lösen. Der Generationswechsel war aus eigenen Kräften nicht zu schaffen. Die Abwägung der Risiken Kapitalbeschaffung und Neuentwicklung gegen Verkauf sprach eindeutig dafür, die veralteten Technologien abzustoßen, zumal man als Marktführer mit einem guten Preis rechnen konnte. Die guten Kontakte zu SAP kamen da wie gerufen, und Ende 1997 war es dann so weit.

SAP brauchte dringend eine CRM-Lösung, nachdem im August der Noch-Rivale Baan zuerst den maroden holländischen CAS-Anbieter Matrix und dann den erfolgreichen US-Marktführer Aurum sowie die dänische Produktkonfigurationsschmiede von B&O geschluckt hatte.

Jetzt, drei Jahre später, hat SAP die Nase wieder vorne, etwas angeschlagen zwar, aber immerhin. Rückblickend hatte man in dieser Zeit der wartenden Kundschaft und den ungeduldigen Medien mehr als einmal Rätsel aufgegeben und die Geduld der treuen R/3-User mit verfehlter Entwicklungs- und Produktpolitik arg strapaziert. Bevor der Riese aus Walldorf endlich Mitte 2000 aus den Startlöchern kam, war es jungen Startups wie Saleslogix, Fabasoft, EHP und Office Komfort gelungen, etwas kompaktere CRM-Lösungen auf dem Markt zu platzieren.

Mittlerweile ist Baan kein ernst zu nehmender Wettbewerber mehr, nachdem eine Reihe von Management-Fehlern den ERP-Klassiker samt Übernahmen aus dem CRM- und Produktkonfigurationssektor in den Ruin und von dort in die Arme des britischen Systemhauses Invensys getrieben hatte. Dort wartet man nun unter dem Arbeitstitel "Invensys CRM", frei vom beschädigten Baan-Image, auf den Relaunch der CRM-Division unter der Flagge von Aurum - back to the roots. Schade nur, dass die angesehene Aurum-Chefin Mary Coleman dem Verschleiß bei Baan zum Opfer gefallen ist.

Ab 1997 schlug die Globalisierungswelle auch auf den deutschen CRM-Markt durch. Zu den ersten amerikanischen CRM-Anbietern gehörten hier Saratoga, Siebel, Vantive, Scope und Applix. In den Folgejahren kam mit Clarify, Firepond, IMA, Prime Response, Oracle, Remedy und Sales Logix weitere Konkurrenz hinzu. Zu den aus anderen Ländern stammenden CRM-Spezialisten zählen unter anderem Amyyon (Niederlande), Magic (Israel), Pivotal (Kanada), Selligent (Belgien), Super Office (Norwegen), Team Brendel (Schweiz) und Update.com (Österreich).

Umgekehrt suchten deutsche Anbieter ihr Heil im Ausland, wenn auch bislang nur vereinzelt mit nennenswertem Erfolg. Zu diesem Zeitpunkt hielt man hierzulande von Partnerschaften nicht viel. Selbermachen hieß die Devise. K&V eröffnete 1997 Geschäftsstellen in Großbritannien und den USA. Erfolgsmeldungen über den Export blieben jedoch aus. Update Marketing leistete sich zwar einen Flop in den USA, besetzte dafür aber halb Mittel- und Osteuropa mit Tochtergesellschaften. Orbis gelang als erstem deutschen Anbieter der Sprung über die Grenze nach Frankreich und in die USA. Heute setzt der Hersteller aber auch auf die Schützenhilfe von Cincom. Als letzter, aber bislang erfolgreichster deutscher Anbieter ging CAS aus Pirmasens 1998 nach Amerika, wo man von drei Standorten aus bereits einige attraktive Neukunden wie Sunbeam und Nabisco gewinnen konnte. Für CAS machte sich damit der Know-how-Vorsprung aus der Konzentration auf die Konsumgüterbranche, auf die sich das Management Anfang 1999 zurückgezogen hatte, im internationalen Wettbewerb bezahlt.

Während die einen aufzustocken begannen, um die Löcher ihrer CRM-Suiten zu füllen - beispielsweise Siebel durch die Übernahme von Scope im März 1998 oder SAP mit der Clarify-Partnerschaft im ersten Halbjahr 2000 - verschärfte sich der Wettbewerb weiter durch Oracles Ankündigung einer selbst entwickelten Front-Office-Lösung im Januar 1999, zeitgleich mit dem Marktauftritt von Baans Front Office. Oracle hatte damit seine bisherigen Datenbankpartner, zu denen fast alle CRM-Anbieter gehörten, vor ein Dilemma gestellt. Jedenfalls konnten weder Oracle noch die CRM-Anbieter eine klare Antwort auf den Umgang mit dieser neuen Konstellation geben. Der Friede blieb allerdings ungestört, da es Oracle bis heute nicht gelungen ist, einen deutschen CRM-Kunden vorzuzeigen.

Venture Capital garantiert das Überleben nichtVenture Capital zur Finanzierung des Wachstums und der technologischen Erneuerung hat sich rückblickend nicht als Überlebensgarantie für Anbieter erwiesen. Bereits 1998 musste Fit, Wiesbaden, Konkurs anmelden. Dem folgten im September 1999 die Darmstädter Sidata und im September 2000 überraschend auch die S3 AG mit einem Insolvenzantrag.

Die Wiener Update Marketing mit ihrer starken deutschen Niederlassung, seit 1997 eine AG, hatte es in drei Finanzierungsrunden auf Venture Capital in Höhe von rund 45 Millionen Mark gebracht und sah sich angesichts verlustreicher Entwicklungen gezwungen, das Management an strategischen Positionen mehrmals neu zu besetzen. Immerhin halfen diese einschneidenden Maßnahmen, die Softwareentwicklung und Kundenbetreuung des inzwischen auf knapp 200 Mitarbeiter angewachsenen Unternehmens professioneller zu gestalten. Der Börsengang im April 2000 war von den Turbulenzen am Neuen Markt überschattet. Trotzdem erreichte die Aktie mit über 40 Euro im Mai fast den doppelten Ausgabekurs, bevor der Absturz auf das derzeitige Niveau von sechs Euro begann. Bereits zwei Adhoc-Meldungen signalisierten, dass die Planwerte im laufenden Jahr eindeutig nicht erreicht wurden. Personelle Probleme, vor allem in Deutschland, und die anhaltende Zurückhaltung potenzieller CRM-Abnehmer lassen auch für das dritte Quartal keine wesentliche Besserung erwarten.

Auch bei Point Informations Systeme GmbH, einem 1989 gegründeten Call-Center- und E-CRM-Spezialisten im internationalen Finanzdienstleistungsmarkt, mussten Gründungsgesellschafter das Unternehmen verlassen, weil man ihnen den notwendigen Wachstumskurs nicht zutraute. Mit insgesamt 34 Millionen Mark Venture Capital von Allianz Capital Partners und Goldman Sachs wurde das Entwicklungszentrum in Dublin sowie zahlreiche internationale Niederlassungen in den USA, Sydney und Singapur aufgebaut. Point verfügt damit über die größte internationale Basis aller deutschen CRM-Anbieter.

Der Gründer der TPS Labs AG musste ebenfalls seinen Hut nehmen, nachdem der ERP-Anbieter Bäurer AG die Geschäfte übernommen hatte. Zuvor war bereits die Belegschaft von über 120 Mitarbeitern auf die Hälfte zusammengeschrumpft. Das ehrgeizige Expansionsstreben der 1991 gegründeten GmbH, 1997 in eine AG umgewandelt, verschlang rund 33 Millionen Mark Venture Capital.

Management-Fehler bremsen WachstumMit ihrem Zusammenschluss zur S3 AG wollten Anfang 1998 die mittelständischen CRM-Anbieter DCS (Essen), IVM (Hamburg) und T.I.S (Hilden) zur europäischen Elite aufschließen. 1999 zählte die neue AG mit 18 Millionen Mark Umsatz immerhin zu den Top Ten in Deutschland. Ende 1999 stieg die in Europa mehrfach vertretene Nemetschek AG mit über 30 Prozent ein und öffnete damit auch ausländische Märkte. Von Anfang an gelang es jedoch nicht, die Eigenheiten der drei Softwarehäuser und deren Kundenstamm unter einen Hut zu bringen. Der gescheiterten Fusion mussten von Dezember 1999 bis August 2000 alle drei Gründungsgesellschafter und Vorstände der AG Tribut zollen (siehe CW 41/00, Seite 1). Die im August 2000 eilig bestellte neue Geschäftsführung reichte bereits vier Wochen später den Insolvenzantrag ein. Die gesamte Konsumgütermannschaft war mittlerweile zu Orbis übergelaufen. Im Scherbenhaufen versucht nun der Insolvenzverwalter, Zukunftsstrategien und neue Finanzpartner zu finden. Die Chancen stehen nicht schlecht, zumal neue Mitarbeiter seit einiger Zeit an dem Konsolidierungsprozess auf neuer Softwarebasis arbeiten.

Den ERP-Anbietern, die nicht in Kürze über integrierte CRM-Systeme verfügen, wird eine düstere Zukunft vorausgesagt. Nach SAP und Baan hat auch Peoplesoft darauf reagiert und im Oktober 1999 Vantive, die angeschlagene Nummer drei am Weltmarkt, für 430 Millionen Dollar übernommen. Auf dem deutschen Markt kann sich Vantive bislang nur dank intensiver Partnerschaften mit Systemintegratoren behaupten. Die kleine deutsche Niederlassung musste 2000 nach personellen Turbulenzen praktisch wieder neu aufgebaut werden.

Clarify, hinter Siebel weltweit und auch in Deutschland Nummer zwei im CRM-Markt, wurde ebenfalls im Oktober 1999 für die Rekordsumme von 2,1 Milliarden Dollar vom kanadischen Nortel-Konzern geschluckt. Einen aufgrund des Mergers gewonnenen Großkunden blieb Nortel dem Brancheninformationsdienst "Computerwire" zufolge bis heute schuldig. Im Mai dieses Jahres überraschte SAP mit der Bekanntgabe der Zusammenarbeit mit Clarify. Damit wollen die Walldorfer ihr "Mysap.com"-Internet-Paket mit CRM-Komponenten wie Call-Center- und E-Mail-Lösungen von Clarify erweitern, um endlich zum Marktführer Siebel aufzuschließen.

Auch mehrere CRM-Mittelständler bekamen kalte Füße. So ließ sich beispielsweise Braun Informationssysteme vom Schweizer ERP- und E-Business-Anbieter Miracle im Januar 2000 unter die Fittiche nehmen, wobei der Fortbestand von Miracle seit einigen Wochen aufgrund von Geldnöten gefährdet ist.

Team 4, mit rund 100 Mitarbeitern einziger CRM-Anbieter unter den Top Ten Deutschlands mit einer Lotus-Notes-basierten CRM-Lösung, hatte kein Vertrauen mehr in die eigenen Wachstumskräfte. Seit der CeBIT 2000 versucht das Unternehmen, unter dem Dach der Kabel New Media AG rascher und vor allem internationaler zu wachsen sowie von Synergien im E-Business-Umfeld zu profitieren. Außerdem scheint der begrenzte Lotus-Notes-Markt zu eng: Im Mai dieses Jahres überraschte die neue Kabel Team 4 mit der Bekanntgabe einer Siebel-Partnerschaft.

Auch Marktführer tun sich in Deutschland schwerDie ehrgeizigen Pläne, den deutschen Markt zu erobern, fordern aber auch bei den Marktführern Opfer. Angesichts eines theoretischen Potenzials von einer halben Million Kunden, die jedoch nur mühsam zu überzeugen sind, solange sich CRM so schwer rechnet, bleibt ein fünfzigprozentiges Wachstum oder mehr in Deutschland Utopie. Wenn es sich langfristig trotzdem auszahlen soll, in gute Kundenbeziehungen zu investieren, braucht es eben mehr als vollmundige Sprüche von Softwareverkäufern. Dies zu akzeptieren, fällt auch dem unangefochtenen Marktführer Siebel (Umsatz 1999 weltweit 800 Millionen Dollar, Wachstumsprognose plus 80 Prozent) nicht leicht. Ob es dem seit Juli 2000 neu bestellten deutschen Geschäftsführer gelingen wird, die ehrgeizigen Vorgaben aus den USA zu erfüllen, an denen sein Vorgänger scheiterte, bleibt abzuwarten.

Wie die Beispiele zeigen, sind viele der Schwierigkeiten im CRM-Markt auf Management-Fehler zurückzuführen. Nicht jeder kreative Softwareentwickler wird zum erfolgreichen CEO. Die Spezialisten für Kundenbindung müssen außerdem noch lernen, ihrem Personal langfristige Perspektiven zu geben. Denn auch die hohe Mitarbeiterfluktuation ist in laufenden Projekten eine der Hauptursachen für Qualitätsmängel, wie von unzufriedenen Kunden immer wieder zu hören ist. Wer sich in diesem Wettbewerb behaupten will, muss gute Leistungen versprechen - und bringen.

* Wolfgang Schwetz ist seit 1989 herstellerneutraler CRM-Berater sowie Autor und Herausgeber verschiedener CRM-Veröffentlichungen wie dem "CAS-/CRM-Marktspiegel" und der Marktstudie "CRM Top 15 Deutschland". (www.schwetz.de)

Abb.1: CRM-Markt Deutschland

Am deutschen CRM-Markt erwirtschaften die 15 führenden Softwareanbieter mehr als die Hälfte des gesamten Umsatzes. Quelle: Wolfgang Schwetz/Unternehmensberatung

Abb.2: Gedränge auf dem CRM-Markt

124 CRM-Hersteller tummeln sich auf dem deutschen Markt, davon 32 Anbieter aus dem Ausland. Quelle: Wolfgang Schwetz/Unternehmensberatung