ERP-Upgrades: Das Wartungsende als Damoklesschwert

Planung schützt vor Verzweiflungstaten

20.12.2002
MÜNCHEN (rg) - Zeit- und kostenintensive ERP-Upgrades schmerzen in Zeiten knapper IT-Budgets besonders. Strategisch vorbereitet, bieten sie aber auch Chancen zur Konsolidierung von Technik und Geschäftsprozessen. Viele Anwender warten mit dem Upgrade jedoch bis zum Ende des Wartungszyklus und setzen sich damit unnötig unter Druck.

Leidgeprüfte CIOs können ein Lied davon singen. Wenn sie das Budget für das anstehende Upgrade ihres Enterprise-Resource-Planning-(ERP-)Systems vom Finanzvorstand abzeichnen lassen wollen, werden sie nicht selten mit der Frage konfrontiert: "Haben wir für ERP nicht erst vor kurzem etliche Millionen ausgegeben?" Einem Gartner-Bericht zufolge werden sich dem Thema in den kommenden zwei Jahren viele Anwenderunternehmen trotzdem stellen müssen. Nicht zuletzt wegen der damals grassierenden Y2K-Panik seien in den Jahren 1998 und 1999 viele ERP-Systeme in Betrieb genommen worden, deren Wartungszyklen in absehbarer Zeit auslaufen.

Anbieter reagieren auf Kundendruck

Zwar haben unter dem massiven Druck der Anwender fast alle ERP-Anbieter die Wartungszeiträume mittlerweile verlängert, die Gnadenfrist beträgt jedoch meist nicht mehr als ein Jahr. So hat beispielsweise Oracle das Wartungsende für das Release 10.7 seiner ERP-Suite von Juni 2001 auf Juni 2002 verschoben, nachdem die zahlreichen Bugs in den Anfangsversionen der Nachfolgesoftware 11i viele Kunden verärgert hatten. Daraufhin unterzeichneten 58 Mitglieder der Oracle Applications User Group (OAUG) eine Petition, in der sie eine weitere Verlängerung bis Dezember 2004 forderten. Letztendlich einigten sich Oracle und OUAG auf den Juni 2003. Auch die Konkurrenten J.D.Edwards, Peoplesoft, Siebel und SAP mussten ihre Wartungsverträge in den vergangenen Jahren auf den Druck der Kunden hin verlängern. Manche Unternehmen lassen sich dieses Entgegenkommen allerdings bezahlen.

Laut Gartner nutzen 52 Prozent der SAP-R/3-Anwender die Release-Stände 3.1i bis 4.6B. Deren Support läuft offiziell zum Jahresende 2003 aus. SAP bietet jedoch an, die Wartung um zwölf Monate zu verlängern, wenn der Kunde bereit ist, statt 17 Prozent der Lizenzgebühren 19 Prozent pro Jahr zu berappen.

Anwender, die sich auf solche Deals einlassen, dürfen jedoch nicht damit rechnen, von ihrem Anbieter dauerhaft verwöhnt zu werden. Die Masse der Wissensträger beim Hersteller arbeitet an den aktuellen Versionen.

Was tun, wenn die Wartung ausgelaufen ist?

Unternehmen, für deren ERP-Software der Support bereits abgelaufen ist oder die einen Wechsel nicht rechtzeitig bewerkstelligen können, sollten eine Reihe von Vorkehrungen treffen, um ihr System betriebsfähig zu halten. So empfiehlt Gartner unter anderem, für den laufenden Betrieb unnötige Datenbestände in Archivsysteme auszulagern, um die Performance des ERP-Systems sicherzustellen. Darüber hinaus sollten an den Applikationen keine Änderungen mehr vorgenommen werden, um unvorhersehbare Auswirkungen zu vermeiden, die sich ohne geeignete Unterstützung nur schwer in den Griff bekommen lassen. Dieses Einfrieren habe allerdings auch sehr eingeschränkte Möglichkeiten zur Folge, die mit der Software unterstützten Geschäftsprozesse zu ändern.

Gartner warnt außerdem davor, Upgrades zu lange vor sich herzuschieben. Je länger Unternehmen ihre Lösung über das Wartungsende hinaus betrieben, desto schwieriger werde eine spätere Migration auf einen aktuellen Release-Stand. Im Extremfall wachse sich ein verspäteter Upgrade zu einer kompletten Neuinstallation aus. Für Anwender heißt das, sie können anstelle eines Upgrades auch die Installation eines anderen Produkts in Erwägung ziehen.

Neben Problemen, den Wechsel auf eine neue Version unter finanziellen Gesichtspunkten zu rechtfertigen, gibt es eine Reihe von technischen Faktoren, die den harmlos klingenden Begriff Upgrade als blanken Euphemismus erscheinen lassen. Als ein Hauptproblem entpuppt sich häufig die Pflege von Schnittstellen, insbesondere wenn darüber Applikationen von Drittanbietern eingebunden sind. Als weiterer RoI-Killer gilt die Übernahme von individuellen Anpassungen, mit deren Hilfe die Standardsoftware auf die speziellen Erfordernisse des Unternehmens zugeschnitten wurde. Dies rächt sich umso mehr, je weiter dabei vom Standard abgewichen wurde, vor allem wenn für die Funktionserweiterungen Änderungen im Code des ERP-Systems notwendig waren.

Wechsel auf Internet-Architekturen

Mittlerweile haben fast alle ERP-Anbieter ihre Lösungen zumindest teilweise von Client-Server- auf Internet-Architektur umgestellt. Dies bringt für Anwender zwar eine Reihe von Vorteilen mit sich, verlangt aber beim Umstieg Anstrengungen, die das Maß früherer Upgrades übersteigen. Größere Umbauten der Infrastruktur können beispielsweise mit erheblichen Mehrausgaben für Server, Netzkomponenten und Desktops verbunden sein. So erfordert laut Gartner schon der Wechsel von SAP R/3, Version 3, auf Release 4 eine um 87 Prozent erhöhte CPU-Geschwindigkeit, 72 Prozent mehr Speicheraufwand und 33 Prozent mehr Festplattenkapazität in den Rechnern der Endanwender.

Zu diesen technischen Aspekten kommt die finanzielle Frage. Für einen technisches Upgrade, also die Einführung einer neueren ERP-Version mit dem Ziel, lediglich die vorhandene Funktionalität zu übernehmen, geht Gartner von Kosten in Höhe von fünf bis 15 Prozent einer Neuimplementierung aus. Derartige Projekte ohne nennenswerten Zusatznutzen lassen sich in den Unternehmensvorständen zu Recht schlecht vermitteln. AMR Research kam bei einer Befragung von rund 110 Unternehmen, die gerade ein ERP-Upgrade abgeschlossen hatten, zu dem Ergebnis, dass 21 Prozent der IT-Verantwortlichen den Wechsel intern mit dem Ende der Wartungsfristen begründet hatten. Diese Argumentation zeugt allerdings weniger von guter Planung als vielmehr von purer Verzweiflung.

CIOs, die das Thema rechtzeitig und strategisch angehen, können dagegen auch Gründe ins Feld führen, warum sich mit einem Upgrade zum Teil erhebliche Mehrwerte erzielen lassen. Das Migrationsprojekt kann beispielsweise genutzt werden, um verteilte Instanzen zu konsolidieren. Das erhöht unter anderem die Möglichkeiten, den technischen Support zu zentralisieren.

Ähnliches gilt für die Ablösung von Legacy-Systemen. Deren manchmal kostspielige Wartung sowie die aufwändige Pflege entsprechender Schnittstellen kann entfallen, wenn sich die Funktionen in die neue Standardlösung übernehmen lassen. Ferner bieten neue Releases in der Regel viele zusätzliche Funktionen, wodurch sich eventuell Geschäftsprozesse verbessern lassen.

Zur Rechtfertigung der Upgrade-Kosten eignen sich diese Faktoren allerdings nur, wenn sie auch quantifiziert werden können. Hinzu kommt, dass der finanzielle Aufwand bei umfangreichen Prozessneuorganisationen, Infrastrukturerweiterungen und Konsolidierungsprojekten die Kosten für ein technisches Upgrade weit übersteigen kann. Laut Gartner beträgt er je nach Umfang bis zu 75 Prozent einer kompletten Neuinstallation.

Zur Vermeidung von bösen Überraschungen empfielt es sich, kontinuierliche Planungsprozesse beispielsweise in Form von Lenkungsausschüssen einzuführen. Dabei sollten nicht nur die IT-Macher eingebunden sein, sondern auch die Fachabteilungen. Das erleichtert unter anderem die Suche nach individuell angepasstem Code, der sich durch Standardfunktionen, Add-ons oder industriespezifische Erweiterungen ersetzen lässt. Einerseits kann so vermieden werden, dass die Techniker über das Ziel hinausschießen und wichtige Funktionen verkomplizieren, andererseits verzichten Endanwender leichter auf Nice-to-have-Features, wenn sie den dafür erforderlichen Aufwand verstehen.

Außerdem können Unternehmen mittels kontinuierlicher Planung den Anteil externer Beratungsleistungen reduzieren. AMR Research kam bei einer Untersuchung zu dem Schluss, dass Anwender, die die Verantwortung für ihr Upgrade-Projekt an Berater übertrugen, statt 1,5 Millionen Dollar durchschnittlich 2,3 Millionen Dollar ausgaben und Projektlaufzeiten von zehn statt sechs Monaten zu verdauen hatten. "Die Kosten explodieren, weil am Projekt Leute arbeiten, die das Geschäft des Anwenders nicht verstehen, und weil darüber hinaus viele Consultants beim Kunden auf dessen Kosten ausgebildet werden", so Judy Bijesse, Analystin bei AMR.

Vor allem kleinere und mittelständische Unternehmen, deren Hilferufe beim ERP-Hersteller ungehört bleiben, sollten ferner darauf verzichten, auf neue Releases der ersten Generation zu migrieren. Diese Punkt-null-Versionen tragen meist so viele Bugs in sich, dass ein baldiger Wechsel auf Punkt-eins- oder Punkt-zwei-Releases notwendig wird. Aufgrund der hohen Komplexität der Systeme kann es dabei passieren, dass sämtliche Anpassungen, Erweiterungen und Schnittstellen neu überarbeitet werden müssen.

Drama in sieben Akten

Für das Upgrading eines ERP-Systems sind von der Planung bis zum Echtbetrieb sieben Stufen zu bewältigen, die alle ihre Tücken aufweisen:

- Genehmigung einholen: ERP-Upgrades sind teuer und erfordern daher eine genaue Prüfung und Quantifizierung aller damit erreichbaren Potenziale. Das Auslaufen von Wartungsverträgen als wichtigstes Argument für die Migration kommt bei Finanzvorständen meist schlecht an.

- Planung: Upgrades bieten die Möglichkeit, individuelle Anpassungen durch Erweiterungen im Standard zu ersetzen. Die Prüfung dieser Potenziale kostet Zeit und muss abgestimmt mit den Fachabteilungen erfolgen.

- Installation: In diese vergleichsweise unproblematische Phase fällt die Inbetriebnahme zusätzlicher Hardware und Netzkomponenten sowie die Installation der Software.

- Testphase: ERP-Pakete sind hochintegriert. Die Einstellung von Parametern an einer Stelle kann unerwartete Folgen an drei anderen Enden nach sich ziehen. Zusammen mit der hohen Zahl von Softwarebugs in neuen Releases kann sich die Testphase zu einem Alptraum für alle Beteilgten auswachsen.

- Migration der Daten: Der Aufwand für die Übernahme der Daten hängt stark von deren Qualität ab. Es bietet sich an, spätestens jetzt den Datenbestand gründlich zu bereinigen.

- Schulung der Mitarbeiter: Oft ist der Release-Wechsel mit der Einführung neuer Bildschirmoberflächen und der Neuorganisation von Geschäftsprozessen verbunden. User, die damit allein gelassen werden, entwickeln sich zu tickenden Zeitbomben.

- Going Live: Für den Übergang zum Echtbetrieb und das Abschalten der Altsysteme eignen sich besonders verlängerte Wochenenden. Das operative Geschäft ist damit weniger Belastungen ausgesetzt, außerdem sollten so wenig Mitarbeiter wie möglich mit dem anfänglichen Chaos konfrontiert werden.