Industrie und ZGDV kooperieren bei der Ausbildung:

Pilotzelle sorgt für Grafik-Nachwuchs

07.08.1987

Mit atemberaubender Rasanz entwickelt sich der Markt für grafische Datenverarbeitung. Die Ausbildung von Fachnachwuchs, bisher in Kleingruppen organisiert, kann kaum Schritt halten. Nun soll sich das ändern: In Kooperation mit der Industrie hat das Zentrum für Grafische Datenverarbeitung (ZGDV), Darmstadt, ein Modell für eine "Pilotzelle" entwickelt, in der das Fachwissen großen Hörerzahlen zugänglich gemacht werden kann.

Der Grafik-Markt explodiert. Gleichzeitig fehlen aber noch Hilfsmittel für den kreativen Designprozeß und spezielle Bausteine für effizientere Durchführung von Grafikprogrammen - und vor allem Fachkräften mit Kenntnissen in grafischer Datenverarbeitung.

Sowohl der begrenzte Investitions-Etat der Hochschule als auch die Dauer der Genehmigungs-Prozeduren und der schwierige Zugang zur Interdisziplinarität behinderten in der Vergangenheit die zügige Anpassung der Ausbildung an die Erfordernisse. Auch fehlen Erfahrungen beim Einsatz grafisch interaktiver Systeme in der Ausbildung im großen Stil. Professor Dr. José Louis Encarnacßo von der Technischen Hochschule Darmstadt entwickelte deshalb gemeinsam mit dem hessischen Minister für Wissenschaft und Kunst den Plan für eine moderne Form der Kooperation und des Technologietransfer zwischen Industrie und Hochschule im "Zentrum für Graphische Datenverarbeitung" (ZGDV), einem gemeinnützigen, eingeschriebenen Verein. Das ZGDV soll vor allem in der Übergangszeit wirken, bis Normen entwickelt sind und Gerate auch für die Hochschule angeschafft sind. Heute sind bereits 16 Unternehmen Mitglied des Vereins.

In einer sogenannten "Pilotzelle" werden derzeit Formen entwickelt, mit denen große Hörerzahlen (bis zu 500 Hörer) in grafischer Datenverarbeitung ausgebildet werden können. Bis heute wurden nur Kurse in kleinen Gruppen mit zwei bis vier Studenten pro Gerät abgehalten. Die Ergebnisse sollen Prototyp-Charakter für zukünftige Investitionsentscheidungen der Hochschulen und der Wirtschaft im Aus- und Weiterbildungsbereich bei der Datenverarbeitung haben.

Beispielhaft für ein Werkzeug, das für die Ausbildung in der Pilotzelle eingesetzt wird, ist die Hochleistungs-Workstation Sicomp WS 30 von Siemens. Diese Workstation ist Basis für ein dezentrales homogenes Gesamt-Konzept, das sowohl Hardware als auch Software umfaßt. Darüber hinaus bietet die Sicomp WS 30 aber auch Möglichkeiten des heterogenen Software-Einsatzes.

GKS fungiert als Grundstock

In einer ersten Stufe hat die Siemens AG fünf Workstations zur Verfügung gestellt, vernetzt in einem schnellen Token-Ring. Seit Sommersemester 1986 finden daran praktische Übungen von Studenten verschiedener Fachrichtungen, wie Informatik, Maschinenbau, Mechanik und Physik, statt.

Wichtigstes Lernziel für die Studenten ist das Kennenlernen eines grafischen Systems, hier am Beispiel des "Graphischen Kernsystems" (GKS). Dabei erweist sich vor allem als günstig, daß alle Arbeitsplätze zu einem Ring zusammengeschlossen sind und Zugriffsmöglichkeit auf verschiedene periphere Ringkomponenten, wie zum Beispiel Drucker, aber auch auf Test-Dateien und ähnlichem, bieten.

Da ein erheblicher Teil der Studenten mit der Arbeit am Rechner zunächst noch nicht vertraut ist, hat sich der einfach zu bedienende Fenster-Editor (Window-Technik) als gutes Hilfsmittel erwiesen. Darüber hinaus kann sich der Anwender jederzeit Normteil-Bibliotheken oder weitere, in einer eigenen Bibliothek hinterlegte Normen oder Bausteine nutzbar machen.

Der zweite Bereich der Zusammenarbeit von ZGDV und Siemens erfolgt vor dem Hintergrund eines verstärkten Zwangs zur Rationalisierung und der Forderung nach immer kürzeren Entwicklungszeiten für technische Produkte. Zur Beschleunigung des Entwurfs- und Konstruktionsprozesses findet daher CAD immer breitere Anwendung. CAD leidet aber noch unter Schwächen in der Schnittstelle Mensch/Maschine" (insbesondere in der Ergonomie), der Datenorganisation und der Systemarchitektur von Entwurfswerkzeugen im Bereich künstlerischen Designs.

In einem industriellen CAD-Entwurfsprozeß werden im allgemeinen unterschiedliche Entwicklungsziele verfolgt, wie zum Beispiel der, Entwurf von gedruckten Schaltungen oder die Konstruktion von mechanischen Teilen. In der Regel werden diese Entwurfsprozesse aber von verschiedenen Entwicklern mit unterschiedlichem Kenntnisstand parallel realisiert.

Der Entwurf von Produkten findet heute in der Regel noch getrennt nach elektronischen und mechanischen Komponenten statt und wird auf verschiedenen Systemen mit unterschiedlichen Benutzungsumgebungen durchgeführt. Sämtliche Phasen eines solchen Entwurfsprozesses sind also dadurch gekennzeichnet, daß der oder die Entwickler heute noch mit unterschiedlichen und nicht aufeinander abgestimmten Werkzeugen umgehen müssen.

Hier greift die Zusammenarbeit zwischen ZGDV und Siemens. Ziel ist die Realisierung einer für jeden Benutzer einheitlichen "Graphischen Dialogtechnik" sowohl im elektronischen als auch im mechanischen CAD-Entwurfsprozeß. Die angestrebte Architektur soll in einer Siemens-Arbeitsplatzumgebung ablauffähig sein.

Das, Zentrum für Graphische Datenverarbeitung hat sich viel vorgenommen. Es ist aber nur eine von drei Einrichtungen zur Förderung der grafischen Datenverarbeitung in Darmstadt. Außer dem ZGDV arbeiten das Fachgebiet für graphisch-interaktive Systeme (GRIS) der Technischen Hochschule und die Arbeitsgruppe Graphische Datenverarbeitung der Fraunhofer-Gesellschaft München (PhG-AGD) in Darmstadt. Sie haben sich in Kooperationsverträgen zusammengeschlossen.

Herbert W. Kuhlmann ist Geschäftsführer des ZGDV, Darmstadt; F, Rainer Bechtold ist Mitarbeiter der Siemens AG, Frankfurt, Bereich Marketing-Service.