"Phoneday" bringt neue Ortsnetzkennzahlen in Grossbritannien Telecom-Liberalisierung macht die Rufnummern zur Mangelware

14.04.1995

BONN/LONDON (gh) - Am 16. April 1995 ist "Phoneday" in Grossbritannien. Waehrend man in Deutschland respektive im Rest Europas bei der entsprechenden Reform noch immer nicht so recht aus den Startloechern gekommen ist, schliesst das Inselreich am Ostersonntag die groesste Aenderung seines Telefonnummernsystems der letzten 25 Jahre ab und ist damit nicht zum ersten Mal europaeischer Vorreiter in Sachen Telekommunikation.

"Mit der zukuenftigen Nummernverwaltung befasst sich derzeit eine Arbeitsgruppe", hiess die lapidare Auskunft von Bundespostminister Wolfgang Boetsch bei der Vorstellung seines Eckpunktepapiers zur Liberalisierung des deutschen Telecom-Marktes nach 1997 auf eine entsprechende Frage. Und der Minister war sichtlich erleichtert, dass sich der Fragesteller mit dieser Antwort zufrieden gab. Denn es ist zwar freier Markt in Deutschland, wenn demnaechst Veba, Mannesmann, RWE & Co. beginnen (duerfen), beim Telefondienst auf Kundenfang zu gehen. Fraglich ist allerdings, mit welchen Rufnummern.

Seit laengerem wird naemlich in Bonner Insiderkreisen mehr oder weniger offen ausgesprochen, was ohnehin laengst kein Geheimnis mehr ist: Das bundesdeutsche Rufnummernsystem bedarf einer Generalueberholung, sonst drohen dem ab 1998 liberalisierten Telecom-Eldorado Bundesrepublik gravierende Engpaesse. Schon jetzt leidet die Telekom in einigen Grossstaedten unter einer betraechtlichen Rufnummernknappheit.

Der Grund allen Uebels liegt, wie die "Wirtschaftswoche" schon vor einigen Wochen berichtet hat, in dem voellig veralteten, Anfang der fuenfziger Jahre eingefuehrten und bis heute nahezu unveraenderten deutschen Ziffernsystem. Dieses orientiert sich weitgehend an einem weltweiten Abkommen der nationalen Postverwaltungen, wonach Telefonnummern derzeit nicht mehr als zwoelf Ziffern haben duerfen, plus der Doppelnull fuer internationale Verbindungen. Der seit Jahren anhaltende Boom bei Faxanschluessen, digitalen Mobilfunknetzen sowie firmeninternen Telefonanlagen mit zum Teil Hunderten von Nebenstellen hat das deutsche Nummernsystem jedoch fast zum Exitus gebracht: Auf die rund 38,5 Millionen Telefonkunden der Telekom kommen heute schon ueber 265 Millionen Rufnummern - Tendenz steigend.

Fuer Abhilfe sorgen koennte, so die "Wirtschaftswoche", vor allem ein voellig neuer, europaweiter Ansatz. Hier kaeme wohl in erster Linie ein Modell zum Tragen, das, wie es die Europaeische Konferenz der Verwaltungen fuer Post und Telekommunikation (Cept) in verschiedenen Facetten vorschlaegt, quasi auf der gruenen Wiese entstanden ist und darauf abzielt, dass sich die meisten EU-Laender ohnehin im Zuge der Oeffnung ihrer Telecom-Maerkte von ihren unflexiblen, auf einen Monopolisten ausgerichteten Rufnummernsystemen verabschieden muessen. Dies wiederum wuerde eine gemeinsame Europavorwahl (Cept schlaegt die 3 vor) sowie mehr Flexibilitaet und damit Marktvolumen bei den sogenannten Servicenummern bedeuten.

Gleichzeitig warnt jedoch der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) vor dem hohen Aufwand und dem langen Realisierungszeitraum eines solchen Projektes.

Viele Kunden werden eine falsche Nummer waehlen

Als warnendes Beispiel dient vielen Experten Frankreich, wo ab dem Fruehjahr 1996 das bisher achtstellige Rufnummernsystem von France Telecom auf zehn Stellen erweitert werden soll - mit der "0" als Netzzugangsnummer fuer den staatlichen Telecom-Giganten sowie den Ziffern zwei bis neun fuer kuenftige Anbieter. Geschaetzte Kosten: 500 Millionen Franc fuer die Umstellung und noch einmal die gleiche Summe fuer notwendige Anpassungen der Hard- und Software bei den Kunden. Grund genug also fuer die Beamten im Bonner Postministerium, auf das vermeintlich kleinere Uebel in Form einer nationalen Loesung zu setzen. Genuegend Spielraum dafuer erhofft man sich durch die bereits beschlossene Verlaengerung der Rufnummern (inklusive Laendercode) von derzeit zwoelf auf 15 Ziffern zum 1. Januar 1997.

Die zunehmende Anzahl von Anbietern, der Boom an Telecom-Diensten und der damit einhergehende gestiegene Bedarf an Telefonnummern sind auch die Motive der Umstellung der Ortsnetzkennzahlen in Grossbritannien. Ab dem "Phoneday", der das Ende einer dreijaehrigen, 100 Millionen Pfund teuren Implementierungsphase bei Grossbritanniens privatisiertem Branchenprimus British Telecom (BT) markiert, werden die Vorwahlnummern um die Ziffer "1" ergaenzt. Dann ist beispielsweise London nicht mehr wie bisher unter "00 44 71" zu erreichen, sondern unter "00 44 171". Darueber hinaus erhalten die fuenf britischen Grossstaedte Leeds, Sheffield, Nottingham, Leicester und Bristol eine voellig neue Ortsvorwahl (siehe Tabelle).

Durch das Einfuegen einer einzigen zusaetzlichen Ziffer in die Ortsnetzkennzahl wird nach BT-Angaben die Nummernkapazitaet in Grossbritannien verzehnfacht. Zudem sollen mit dem Nummernwechsel diverse Kommunikations-Dienstleistungen vereinheitlicht und damit vereinfacht werden. Unveraendert bleiben lediglich die Vorwahlnummern geografisch nicht gebundener Dienste; wichtigstes Beispiel hierfuer ist, wie es in London heisst, der Mobilfunk. Darueber hinaus ist vorgesehen, die Auslandsvorwahl fuer Anrufe von Grossbritannien in andere Laender von "010" auf "00" umzustellen und damit dem EU-Standard anzupassen.

500 Millionen Franc fuer die Umstellung in Frankreich

Die Umstellung der Vorwahlnummern war bereits 1992 von der britischen Telecom-Aufsichtsbehoerde Oftel (Office of Telecommunications) angekuendigt worden. Vorausgegangen waren Beratungen mit einschlaegigen Ausruesterfirmen sowie Grosskunden von BT. Trotz der vielen Millionen Pfund, die der Londoner Carrier in eine Informationskampagne zum "Phoneday" investiert hat, rechnet das fuer die Umstellung verantwortliche Projektteam an den ersten Tagen stuendlich mit drei bis vier Millionen falsch gewaehlten Anrufen. Fuer dieses Szenario hat man allerdings vorgesorgt: Mehr als 10 000 zusaetzliche sogenannte Austausch-Schaltkreise dienen dazu, die Anrufe abzufangen und den Kunden ueber eine Computeransage mitzuteilen, welche Nummer sie waehlen muessen, um den gewuenschten Anschluss zu bekommen.

Rein technisch gesehen soll jedenfalls am Ostersonntag nichts mehr schiefgehen. So ist BT - parallel zu den Phoneday-Vorbereitungen - gerade dabei, ein rund zehnjaehriges Modernisierungsprogramm abzuschliessen, bei dem alle noch existierenden analogen Telefonleitungen in digitale ungewandelt werden. Immerhin waren vergangenes Jahr noch ueber 470 analoge Vermittlungsstellen des Typs "TXE4" im Einsatz. Die beiden anderen Saeulen des BT-Netzes, "System X" und "AXE10", sind hingegen vollkommen digital.

Hier wurde bereits 1993 die fuer den Umgang mit den neuen Ortsnetzkennzahlen notwendige Software implementiert und zwischen April und Juni 1994 getestet. Bereits seit August vergangenen Jahres hatten BT und die anderen Telefongesellschaften in Grossbritannien den Leitungszugang sowohl fuer die alten als auch fuer die neuen Nummern geoeffnet.