Philips muß Vertrauen zurückgewinnen

08.06.1990

Offener Brief an Philips von Leo Groosman*

Die Kommentare in den Medien zu den Bekanntmachungen im letzten Vierteljahresbericht machen keinen Hehl daraus: Es ist nicht nur ein (enormes) Loch in Ihrem Haushalt entstanden; viel ernster noch ist, daß das Ansehen Ihres Unternehmens Schaden genommen hat. Um letzteres wieder ins Lot zu bringen, werden Sie sicherlich größere Anstrengungen unternehmen müssen als für die wirtstchaftliche Wiederherstellung Ihres Unternehmens.

Sie, die mich ziemlich gut kennen, sollten wissen, daß es mich große Überwindung gekostet hat, den folgenden Brief nicht zunächst an Sie persönlich zu richten, sondern damit sofort an die Öffentlichkeit zu gehen. Nicht nur die Aktionäre, vielmehr auch andere Geldgeber sowie der Staat, Gewerkschaften, Medien und last, but not least Hunderttausende Ihrer Mitarbeiter fragen sich, was wirklich los ist: Wer weiß denn nun (und zwar rechtzeitig), was eigentlich schief gelaufen ist ... und wer die ganze Zeit gelogen hat? Philips hatte (1982) den Ruf, ein "schlafender, gewinnloser Gigant" zu sein. Dagegen haben Sie und Ihre Vorgänger mit Hilfe einer sehr offenen Politik der externen Beziehungen einiges unternommen. Nun entstand das Bild eines gewinnlosen Giganten mit hoffentlich schlaflosen Nächten. Dazu habe ich eine Reihe von Fragen:

Auf der Jahreshauptversammlung am 10. April 1990 haben Sie die Umsatzentwicklung im ersten Vierteljahr bekanntgegeben. Gewinnprognosen wurden nicht abgegeben. Wie ist es jedoch um Himmels willen möglich, daß ein Präsident, der von Tausenden von Finanz- und Computerexperten mit einem großen Arsenal an Apparaten "umringt" ist, mehrere Tage nach Ende des ersten Vierteljahres noch nicht wußte oder wissen konnte, was jener besagte "valutäre Gegenwind" zu bedeuten hatte. (...) Und das bei einem Unternehmen, das sogar monatlich ziemlich genau sagen kann, wie es dasteht. Da dürfte es doch eigentlich nach drei Monaten und zehn Tagen kein Kunststück sein!? An der Technischen Universität in Eindhoven und der Katholischen Universität in Brabant erzähle ich den Studenten mit Stolz, über was für einen fantastischen Verwaltungsapparat Philips verfügt, sogar mit Standardfallstudien über "accounting for inflation" an der Harvard Business School. Schmeichle ich damit vielleicht der Realität? Wer hat denn nun wen hereingelegt?

Sie als Präsident werden außerdem "umringt" von einem Ausschuß für externe Beziehungen. Darin sitzen:

- Der Sprecher des Verwaltungsrates. Er nimmt an allen Siszungen des Verwaltungsrates, des Gruppenrates und des internen Konzernrates sowie an kleineren Versammlungen und Besprechungen teil. Er weiß also alles. Hat er denn niemanden gewarnt?

- Der Direktor der Pressestelle. Er wohnt allen Versammlungen zur Vorbereitung der Jahres und Vierteljahresberichte bei; er hat Einfluß auf die Beantwortung "quälender" Fragen. Wußte auch er nichts?

- Stellvertretender Direktor Investor Relations. Seine Aufgabe besteht darin, das Interesse von Anlegern an Philips-Aktien zu wecken. Hat auch er das drohende Unheil nicht erkannt?

- Der Stellvertretende Direktor externe Beziehungen. Er hat Ihre Rede für die Jahreshauptversammlung verfaßt. Wurde bei der letzten Revision nicht noch einmal genauestens auf Formulierungen geachtet wie "wir liegen im Trend", "wir sind schlanker und schlagkräftiger", "die großen Reorganisationen und Umstrukturierungen liegen praktisch hinter uns", "die Japaner halten wieder neugierig nach unseren Produkten Ausschau "?

- Der Sprecher der Hauptverwaltung der Niederländischen Philips-Betriebe (N.P.B.). Er wohnt allen Besprechungen der N.P.B. bei, weiß also alles. Kamen von ihm auch keine Beschwerden?

Sind die Mitglieder dieses Ausschusses nicht mit hochroten Köpfen in Ihr Büro gestürzt, um folgende Mitteilung zu machen: "Herr Vorsitzender, so geht es nicht" oder "so ging es nicht, und wenn es keine ehrliche und deutliche Erklärung gibt, treten wir geschlossen zurück" (oder etwas in der Art)?

Das für die Verwaltung zuständige Mitglied Ihres Gruppenrates wird wohl eine akzeptable Erklärung dafür finden müssen, daß der riesige Verwaltungsapparat - der jährlich viele hundert Millionen verschluckt - nicht imstande ist, rechtzeitig einen "valutären Gegenwind" zu signalisieren. Wozu dann all die Millionen? Oder war der Verwaltungsapparat etwa in der Lage, entsprechende Signale zu geben, hat uns aber etwas anderes vorgespielt? Dafür muß es eine Erklärung geben, ansonsten wird keiner mehr Vertrauen in Ihr Unternehmen haben.

4. Wie ist es möglich, daß ein Unternehmen ständig bessere Ergebnisse ankündigt, obwohl zwei Sektoren (Informationstechnologie und Komponenten) enorme Verluste zu verzeichnen haben? (.. ) Dennoch wird weiterhin vorausgesagt, daß Verbesserungen ins Haus stehen, während man kaum drei Monate nach Abschluß des vergangenen Jahres bereits wieder monatliche Verluste von 40 Millionen Gulden hinnehmen muß. Drei Monate lang zirka zwei Millionen Gulden pro Arbeitstag, also mehr als im letzten Jahr?

Vier Sektoren werden als sogenanntes "core business" bezeichnet. "Diese sind für die Zukunft des Unternehmens von entscheidender Bedeutung", wurde immer wieder betont. Zwei davon befinden sich nach nicht mal zwei Jahren in ernsthaften Schwierigkeiten. Wie werden diese beiden Sektoren Ihrer Meinung nach zum Beispiel im Jahre 1995 dastehen? Wird das Aufschieben des hochauflösenden Fernsehsystems (H.D.T.V.) nicht einen großen Einfluß auf den Mikroelektronik Sektor haben?

Haben Sie eine Erklärung für die schlichtweg katastrophale Geschäftsführung der Niederlassung in Apeldoorn in den letzten, sagen wir, 20 Jahren. Zuletzt wurde "Apeldoorn" von einem Verwalter geleitet und vorher von Direktoren, die von der Strukturierung einer Computerindustrie nur wenig Ahnung hatten. Verweise auf das Scheitern von Nixdorf und Wang haben absolut keinen Sinn. Ich verkehre in Kreisen, in denen man sich - zu meinem großen Verdruß - über die Computeraktivitäten von Philips regelrecht lustig macht. Weiß Philips nach fast 30 Jahren denn immer noch nicht, wie eine Computerabteilung betrieben werden muß, nachdem meiner Schätzung nach in diesem Bereich bereits viele Milliarden verlorengegangen sind?

Können Sie eine Erklärung für den starken Anstieg der Gewinne im Sektor "Consumer Electronics" geben? Handelt es sich dabei um eine tatsächliche Verbesserung der "alten" Abteilung oder ist ein großer Teil der Gewinne durch den Verkauf kleiner Haushaltsgeräte, wie zum Beispiel Rasierapparate, und das Abstoßen unrentabler Betriebe erwirtschaftet worden? Ist Philips wirklich dabei, die Japaner einzuholen? Warum pocht Philips weiterhin auf "das eine Europa". Wenn es in Europa ein Unternehmen gibt, das die Richtung weisen kann, dann ist es - bei richtigem Einsatz der Machtstrukturen - Philips. Es gelingt allerdings kaum, obwohl gerade das die eigentliche Stärke des Konzerns sein sollte. Damit hat das Verhalten der Japaner nichts zu tun. Die Ursachen für das schlechte Funktionieren müssen wir bei uns selbst suchen, und das muß einfach mal öffentlich gesagt werden. Gleichzeitig müssen die zu ergreifenden Maßnahmen bekanntgegeben werden, um das eine oder andere schnell zu verbessern.

Das also waren meine mit ein wenig Kommentar versehenen Fragen. Legen Sie diesen Brief bitte nicht zur Seite mit der Bemerkung: "Auf so ein Gemecker können wir nicht eingehen. Nicht nur die Journalisten, sondern auch Groosman hat da offensichtlich nichts verstanden."

Geben Sie den Brief weiter an den Ausschuß für externe Beziehungen. Sorgen Sie dafür, daß dieser Verein innerhalb einer Woche alle Antworten ausarbeitet, und zwar möglichst ehrlich. Geben Sie dann eine Pressekonferenz, sozusagen zur Buße. Diese sollte zum Ziel haben, mindestens 60 000 Ihrer Mitarbeiter und zahllose Pensionäre so schnell wie möglich von Ihrem Schamgefühl zu befreien.

Ich hoffe von Herzen, daß Sie sich die Mühe machen werden, auf meinen Brief zu reagieren.

(Nach wie vor) Hochachtungsvoll L. E. Groosman