Die Zukunft der künstlichen Intelligenz scheint in Gefahr:

Personalmangel hemmt kommerzielles Wachstum

21.09.1984

FRAMINGHAM (CW) - AJ - Nach Jahren der Forschung steht die Technologie der künstlichen Intelligenz jetzt kurz davor, sich in den allgemeinen Trend der Informationsverarbeitung einzufügen. Analytiker warnen jedoch, daß ein Mangel an qualifiziertem Personal den sich entwickelnden Markt für kommerzielle Anwendungen künstlicher Intelligenz behindern könnte.

Früher ausschließlich in der akademischen Welt verwurzelt, hat die künstliche Intelligenz jetzt eine neue Marktorientierung eingeschlagen, bei der diese weitreichende Technologie zur Losung realer Probleme eingesetzt wird. Auf Bereichen wie Expertensystemen, Wissensbanken, Maschinen-Schnittstellen mit natürlichen Sprachen sowie Bild- und Spracherkennungssystemen zeigt sich ganz deutlich, daß Anwendungen der künstlichen Intelligenz bereits kommerzielle Erfolge erzielen.

"Künstliche Intelligenz ist seit etwa 25 Jahren Gegenstand des akademischen Interesses. Aber bis vor sehr kurzer Zeit gab es kaum einen Markt für Techniken der künstlichen Intelligenz in der Industrie. Aus einer Reihe wichtiger Grunde verändert sich die Lage jetzt jedoch sehr stark", erklärte Herb Halbrecht, Präsident der Personalagentur Halbrecht Associates, Inc., aus Stamford, Connecticut, gegenüber der COMPUTERWORLD. "Zum ersten seien die Preise der erforderlichen Hardware zur Durchführung spezieller Entwicklungsarbeiten auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz drastisch gesunken. Darüber hinaus haben uns die Forschungsarbeiten an den großen Universitäten und in führenden Firmen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz es so weit gebracht, daß die Realisierung künstlicher Intelligenz auf dem größeren kommerziellen Markt in den Bereich des Möglichen rückt".

Marktinteresse auch ein Hindernis

Obwohl es für die frühen Pioniere der künstlichen Intelligenz eine gewisse Rechtfertigung darstellt, könnte das schwer erkämpfte Marktinteresse gleichzeitig ein neues Hindernis auf dem Weg der Technologie zur kommerziellen Annahme und Einführung darstellen. Die Gründung neuer Firmen und die Schaffung von Produkt-Entwicklungszentren für künstliche Intelligenz bei bestehenden Firmen im Hightech-Bereich hat eine Entwicklung eingeleitet, von der einige Kenner der Szene annehmen, daß sie einen überwältigenden Bedarf an erfahrenem Personal auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz nach sich ziehen wird - ein Bedarf, der ihrer Meinung nach in der nächsten Zukunft wahrscheinlich nicht befriedigt werden kann.

Wie Larry Geisel, Präsident der Carnegie Group, Inc., einem Neuling auf dem Softwaremarkt für künstliche Intelligenz, erklärte, wird die künstliche Intelligenz bereits von dem Informationsverarbeitungs-Markt aufgenommen und mitgerissen, da sie hohe Renditen verspricht. Erfahrenes Personal, das diese neuen Techniken für traditionelle Management-lnformationssysteme realisieren kann, ist jedoch eine kritische Größe.

Abwerbung ist die Regel

Diese Ansicht vertritt auch Halbrecht, dessen Personalagentur vor etwas über einem Jahr begonnen hat, Spezialisten für künstliche Intelligenz in zunehmend lukrativeren Stellungen unterzubringen. "Auf diesem ganzen Feld gibt es vielleicht nur zwei- oder dreihundert Leute, die über ausreichende und angemessene Erfahrung in der Forschung für künstliche Intelligenz verfügen. Die Nachfrage nach solchen Leuten wächst jedoch enorm, da sich jetzt auch die Großunternehmen auf diesem Gebiet betätigen. Diese Firmen kommen nach und nach in eine Situation, wo sie beginnen, einander die verfügbaren Experten abzuwerben. Sie können ihre eigenen Spezialisten nicht schnell genug heranziehen, um ihren eigenen Bedarf zu decken."

Halbrecht Associates hat kürzlich Stellenangebote vom leitenden Forschungswissenschaftler bis hin zum Dokumentations-Autor auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz annonciert, bei denen die Gehaltsangebote - mit dem Zusatz der völligen Unverbindlichkeit - durchschnittlich zwischen 50 000 und 100 000 Dollar lagen.

Diese attraktiven Angebote schwächen jedoch die verfügbare Personalbasis noch weiter, da die wenigen hochbezahlten Lehrer auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz von Firmen aus der Lehre weggelockt werden, die hoffen, mit Anwendungen künstlicher Intelligenz große Gewinne zu machen. Nach Meinung von Halbrecht vernichtet der Industriezweig für künstliche Intelligenz derzeit seinen eigenen Nachwuchs. Schlimmer ist jedoch, daß die Universitäten gegen dieses frustrierende Problem anscheinend nur wenig tun können.

"Ich kann mir nicht vorstellen, daß dieser Personalmangel ohne Einfluß auf das Wachstum des Markts für künstliche Intelligenz- bleiben wird aber die Universitäten können mit der Industrie nicht mithalten, wenn es um Geld geht", sagt Jonathan Lynch dazu.

Lynch ist stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts Intelligent Computer Systems (ICS) an der Universität von Miami und Herausgeber des "ICS Applied Artificial Intelligence Reporter", des Informationsbriefs dieses Instituts. Nach Ansicht von Lynch besteht die einzige Hoffnung für die Universitäten darin, daß die Industrie und die Regierung Gelder für Forschungsprojekte und Lehrkräfte bereitstellen. Das amerikanische Verteidigungsministerium und das Amt für fortgeschrittene Verteidigungs-Forschungsprojekte haben bereits ihre Bereitschaft erklärt, dieses Engagement zu verstärken.

Laut Rosann Stach, Leiterin der Produktentwicklung bei Teknowledge, Inc., einem Hersteller von Entwicklungshilfsmitteln für Systeme mit künstlicher Intelligenz aus Palo Alto, Kalifornien, könnte die Technologie der künstlichen Intelligenz selbst eine Lösung für diese drohende Personalkrise liefern. Sie fügte jedoch hinzu, daß die Unternehmen, die sich derzeit auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz betätigen, bereits spezielle Hilfsmittel entwickelt haben, die es einigermaßen erfahrenen Programmierern gestatten, ohne umfassende Ausbildung in diesen Techniken einen großen Teil der potentiellen Anwendungen zu bearbeiten.