Integration bestehender Datenquellen ist die größte Herausforderung

Personalisierte Sites sind in Deutschland Mangelware

22.10.1999
MÜNCHEN (fn) - Das Massenmedium Internet bietet einzigartige Möglichkeiten, Kunden persönlich anzusprechen. Große Sites nutzen das One-to-one-Marketing in erster Linie zur Verkaufsförderung.

Der Verkäufer im Laden um die Ecke kennt seine Kunden häufig recht genau, weiß, was sie am liebsten mitnehmen und in welchen Mengen. Die persönliche Beziehung zwischen Anbieter und Käufer ging bereits in den Supermärkten flöten. Noch unpersönlicher war es bisher, im Internet einzukaufen. Doch das soll nun anders werden, denn jetzt geistern die Begriffe Personalisierung oder One-to-one-Marketing durch die Internet-Branche, sind Pflichtthema bei Seminaren, Vorträgen oder Firmenpräsentationen. Dahinter verbirgt sich nichts Revolutionäres: Statt den Surfer nur virtuelle Regale im Webshop zu präsentieren, soll jeder Online-Kunde sich durch die inhaltliche Gestaltung der Internet-Seiten persönlich angesprochen fühlen.

Als Vorreiter auf diesem Gebiet gelten die Vorzeige-Unternehmen im Web: der Online-Shop Amazon.com sowie das Internet-Auktionshaus Ebay. Wer sich bei Amazon.com hat registrieren lassen, wird bei jedem Besuch der Site gleich mit Namen begrüßt. Außerdem empfiehlt der Online-Anbieter dem Besucher Bücher, Musiktitel und Videos, die seinem Profil entsprechen. Was auf den ersten Blick Kundenfreundlichkeit suggeriert, ist in Wirklichkeit natürlich nichts anderes als elektronisches Marketing, um den Umsatz anzukurbeln. Trotzdem gelingt es dem E-Commerce-Anbieter damit, seine Kunden bei der Stange zu halten.

Auch deutsche Firmen erkennen den Bedarf für personalisierte Web-Seiten, doch noch findet das Vorbilder Amazon.com nur wenige Nachahmer. Einer davon ist der Internet-Buchladen Bol.de der Bertelsmann AG. Hier legt der Besucher mit der Funktion "My Bol" ein Profil an, indem er seine bevorzugten Literaturthemen sowie seine Lieblingsautoren auswählt. Im Gegensatz zu Amazon. com muß sich der Surfer allerdings erst anmelden, bevor die Seite unter "Ihr Bücherboard" die dem Profil entsprechenden Bücher anpreist.

Den Kunden aufzufordern, selbst ein Profil anzulegen, ist nur eine Methode von Online-Anbietern, die Neigungen ihrer Käufer in Erfahrung zu bringen. Auf einigen Websites verfolgen spezielle Programme das Klickverhalten des Surfers. Diese unsichtbaren Beobachter verfolgen den Kunden auf seinem Weg durch die Seiten des Shops, notieren dabei, welche Produktkategorien er sich mit Vorliebe anschaut. Betritt er das Online-Kaufhaus erneut, präsentiert die Site dem Konsumenten speziell solche Waren, die bereits beim ersten Besuch sein besonderes Interesse fanden. Dies setzt allerdings die Identifizierung jedes Surfers voraus.

Oft verschicken die Site-Betreiber hierzu Cookies, kleine Dateien, die sich auf dem Computer des Kunden speichern.

Was die Preisgabe von persönlichen Informationen anbetrifft, sind deutsche Kunden sensibler als US-amerikanische. Dementsprechend verhalten sich die Anbieter, meint Ulrich Riedl von Cap Gemini. Die Unternehmen würden ihre Kunden vergraulen sollten sie mit deren Daten Schindluder treiben.

Deshalb verzichtet beispielsweise der Online-Shop der Karstadt AG, Myworld, auf das Anlegen von Profilen. "Unsere Kunden sollen möglichst viele Funktionen nutzen können, ohne viel von sich preiszugeben", erläutert Holger Pleines, E-Commerce-Manager bei Myworld, die Strategie des Unternehmens. Dazu soll ab Anfang nächsten Jahres ein persönlicher Einkaufsberater beitragen. Einen Prototypen dieses Systems zeigte der Online-Anbieter bereits auf der diesjährigen Internationalen Funkausstellung in Berlin. Damit kann der Kunde über eine ganze Reihe von Attributen den gesuchten Artikel umschreiben und erhält dann eine Auswahl an Produkten.

Firmen, die sich für personalisierte Websites entschließen, sollten den Aufwand nicht unterschätzen, raten Experten. "Vielfach sind Marketing-Leute für die Website verantwortlich, und die konzentrieren sich zunächst auf die Anschaffung von Tools, die Personalisierungsfunktionen in Websites integrieren", meint Cap-Gemini-Mann Riedl. Er berät zur Zeit deutsche Firmen, die Personalisierungsfunktionen in ihre Websites integrieren wollen. "Manager sollten die Personalisierung von Web-Inhalten jedoch weniger durch die Technikerbrille betrachten, sondern als großangelegtes Konzept verstehen", rät Stanton Tyler, Spezialist für Internet-Strategien bei der internationalen Unternehmensberatung Andersen Consulting in Chikago. Laut Tyler stellt die Integration bestehender Systeme wie Datenbanken oder Mainframes dabei die größte Herausforderung dar - was allerdings nicht speziell für die Personalisierung gilt, sondern für E-Commerce-Projekte im allgemeinen.

"Viele Unternehmen streben den Abgleich der Daten auf dem Offline- und dem Online-Geschäft an", stellt E-Commerce-Experte Riedl fest. Allerdings werden dabei die bestehenden Datenbasen lediglich verknüpft, von einer zentralen Datenbank, die alle Geschäftsvorfälle speichert, sind die Firmen noch weit entfernt.

Eine Voraussetzung für das One-to-one-Marketing im Internet ist die Einbeziehung des Wissens der Call-Center-Mitarbeiter in die Website. Genauso, wie der Telefonagent dem Kunden, der ein Standardprodukt bestellen möchte, ein Zusatzprodukt oder einen höherwertigen Artikel anbietet, muß auch die Internet-Anwendung in der Lage sein, dem Web-Surfer diese Information vermitteln.

Neben der reinen Vertriebsunterstützung zeichnet sich nach Ansicht von Cap-Gemini-Mann Riedl ein weiterer Trend bei der Kundenansprache im Internet ab: die Verknüpfung von Kundensupport mit dem One-to-one-Marketing. Hat ein Surfer beispielsweise Schwierigkeiten, ein bestimmtes Produkt auf der Website zu finden, oder weiß er nicht, wie er ein Online-Formular ausfüllen soll, hilft ihm ein Call-Center-Mitarbeiter weiter, indem er ihm per Online-Chat, via E-Mail oder mittels Internet-Telefonie Tips gibt. Auf der Herbstmesse Internet World 99 in New York stellte das US-Unternehmen Egain (www.egain.com) eine Lösung für diesen Zweck vor, die Shopping-Tools, Datenbanken und Call-Center-Software miteinander verknüpft.

Leisten können sich solche Personalisierungssysteme sowieso nur die großen Internet-Shops, was nicht zuletzt an den kostspieligen Softwarelizenzen liegt. Außerdem sollten Firmen nach Ansicht von Anderson-Berater Tayler neun bis zwölf Monate für die Realisierung eines solchen Projekts veranschlagen.