Rekrutierung via Internet

Personaler im Zweifel: E-Mail oder Mappe?

25.06.1999
Eine E-Mail zu schreiben ist einfacher, als eine klassische Bewerbungsmappe zusammenzustellen, und die Personalchefs kommen zügiger mit den begehrten Kandidaten ins Gespräch. Schnelligkeit ist eines der Hauptargumente für die neue Art der Personalsuche. Bei einigen Chefs hält sich die Begeisterung dennoch in Grenzen.

"Das Internet ist das Medium der Zukunft bei der Personalsuche", so Claus Brauner, Referent für Personalstrategien bei Infineon Technologies, München. 1996 setzte das junge Tochterunternehmen von Siemens (damals noch Siemens Halbleiter) bereits ein Online-Bewerbungssystem ein. Dennoch, so glaubt der Münchner Personaler, hat das Stelleninserat in Zeitungen seine Daseinsberechtigung, denn die virtuellen Jobbörsen seien nur eine Ergänzung zur traditionellen Personalsuche: "Auf Inserate antworten mittlerweile ein Drittel per E-Mail und zwei Drittel auf dem Postweg."

Auch Claudia Macioszczyk vom Debis Systemhaus schätzt die elektronische Bewerbung, ergänzt aber: "Momentan nutzen von 100 Bewerbern leider nur zirka zehn die Online-Variante, denn viele denken wohl, ohne Mappe wirkt die Bewerbung nicht seriös genug." Dabei kommt es dem Systemhaus vor allem auf einen aussagekräftigen Lebenslauf an. Gibt es bei einer E-Mail-Bewerbung Lücken oder Rückfragen zu bestimmten Punkten, kann die Personalexpertin schnell per Mail nachhaken. "Für uns ist es eine gute Möglichkeit, rasch mit den Interessenten in Kontakt zu kommen".

Umfangreiche Attachments, etwa kopierte Zeugnisse und Arbeitsproben, druckt Macioszczyk aus und legt für die Bewerber eine eigene Mappe an. "Solange wir die Dateien öffnen können, ist alles kein Problem. Wenn es Schwierigkeiten gibt, maile ich die Bewerber an, damit sie mir ihre Unterlagen per Fax oder mit der Post zukommen lassen." Eine aussagekräftige elektronische Bewerbung sei ausreichend, um interessante Kandidaten zu einem Gespräch einzuladen.

Infineon beabsichtigt in den europäischen Niederlassungen demnächst eine spezielle Software einzusetzen, die die Handhabung von Online-Bewerbungen wesentlich vereinfacht.

Mit dem Programm lassen sich standardisierte Eingangsbestätigungen verschicken und eingehende Bewerbungen einfacher an die entsprechenden Fachabteilungen weiterleiten. Ein ausführlicher Fragebogen ermöglicht es dem Unternehmen, nach den gewünschten Qualifikationen zu fragen. Diese gezielte Vorauswahl vereinfacht das Bewerbungsverfahren.

Vor allem Unternehmen im IT-Umfeld nutzen die Möglichkeit der virtuellen Stellenmärkte, um schnell mit Kandidaten in Kontakt zu treten. Trotzdem ist die klassische Bewerbungsmappe nicht aus der Mode gekommen. Brokat beispielsweise setzt keinen standardisierten elektronischen Bewerbungsbogen ein. "Die Informationen, die wir aus den E-Mails ziehen können, sind recht unterschiedlich und zum Teil nicht ausreichend", so Personalfrau Ursula Pache, "deshalb bitten wir bei interessanten Kurzbewerbungen immer um die Zusendung der vollständigen Unterlagen."

Trotz aller Web-Begeisterung gibt es bei Infineon auch Skeptiker. "Bei uns will zwar keiner mehr auf die Online-Bewerbung verzichten, trotzdem bevorzugen viele Kollegen wegen der detaillierteren Informationen noch die traditionelle Bewerbungsmappe", erklärt Brauner.

Die Deutsche Börse in Frankfurt am Main konzentriert sich auf ihre virtuelle Stellenbörse. "Zur Zeit erhalten wir bereits 41 Prozent unserer Bewerbungen initiativ oder mit dem Verweis auf Informationen aus dem Internet", so Holger Kerkow, Head of Resourcing Management.

Ein standardisierter Online-Fragebogen erleichtert die Bewerbung und bietet dem Unternehmen die Chance, gezielter nach wichtigen Qualifikationen zu fragen, als dies bei einem Zeitungsinserat möglich ist. "Wichtig ist, daß man auf die mögliche Bewerberflut vorbereitet ist. Wir nutzen deshalb einen automatischen Online-Workflow, der Bewerbereingang, Erfassung, Bewertung und Einladung oder Absage vereinfacht", erläutert Kerkow. Gerade bei großen Unternehmen erleichtert die Software die Bearbeitung der elektronischen Unterlagen.

Auf die Bewerbungsmappe verzichtet auch die Deutschen Börse nicht. Die Jobsuchenden sollen die vollständigen Unterlagen zum Vorstellungsgespräch mitbringen. "Nur bei 20 Prozent der interessanten Online-Bewerbungen mußten wir zusätzlich Unterlagen anfordern", so Kerkow. Allerdings räumt der Personalexperte ein, daß es bei der Aussagekraft von Fragebögen Grenzen gibt. "Rein sachlich ist der Auswahlprozeß zwar weniger aufwendig, da die Information aufgrund der Standardisierung einfacher zu überblicken ist." Allerdings fehlten subjektive Indikatoren zur Persönlichkeit wie etwa Sprache und Formulierungsstil.

Nach den damit verbundenen Fähigkeiten müsse dann in einem Vorstellungsgespräch um so genauer gefragt werden. Bei der Qualität der Bewerbungsunterlagen existierten keine großen Unterschiede: "Wir denken, daß die Nutzung der Online-Medien stark zunehmen wird, dementsprechend richten wir unseren gesamten Auftritt darauf aus."

Besonders bei der internationalen Personalbeschaffung ist die Online-Bewerbung mittlerweile unverzichtbar. Tages- und Fachzeitschriften haben eine begrenzte Reichweite, während die Internet-Stellenmärkte den Bewerbern 24 Stunden täglich und 365 Tage im Jahr zur Verfügung stehen. Infineon beispielsweise setzt sein elektronisches Bewerbungssystem weltweit ein, allerdings mit länderspezifischen Ergänzungen.

Besonders wichtig für das Web-Rekrutierungsgeschäft ist eine gute Software, die viele Schritte standardisiert. Geeignete Bewerbungen lassen sich dann problemlos an andere Fachabteilungen weiterleiten. Ist die Stelle schon vergeben, kann die Fachabteilung später wieder auf die Kandidaten zurückkommen, falls deren Daten (das Einverständnis der Interessenten vorausgesetzt) gespeichert sind.

Jobsuchende erwarten bei einer E-Mail-Bewerbung von den Unternehmen eine prompte Antwort, während bei einer schriftlichen Bewerbung einige Wochen Wartezeit durchaus üblich sind. Deshalb ist es für Personalabteilungen wichtig, vorab zu überlegen, ob sie diesen Mehraufwand bewältigen können. Eine E-Mail-Anfrage, die erst nach Wochen beantwortet wird, ist uninteressant. "Anfangs bereiten die Online-Bewerbungen mehr Arbeit", räumt Brauner ein, "doch bei Infineon war von Anfang an klar, daß die Jobbörsen internationalen Ansprüchen gerecht werden sollen."

Der Trend zur Online-Bewerbung hat inzwischen auch die Anwender erreicht. Automobilbauer BMW bietet seit Anfang März dieses Jahres Interessenten einen elektronischen Fragebogen an. "Wir nutzen die neuen Medien, um an interessante Bewerber zu kommen", so Wolfgang Ober, Leiter Personal-Recruiting.

Das Unternehmen setzt für alle Hierarchieebenen virtuelle Stellenbörsen ein. Eine automatische Rückmeldung signalisiert dem Bewerber, daß seine Anfrage eingegangen ist. Anschließend bearbeiten die entsprechenden Fachabteilungen die Unterlagen komplett online. Mit den Angaben kann die Fachabteilung entscheiden, ob sie einen Bewerber zum Vorstellungsgespräch einlädt.

"Es hängt von der Zielgruppe ab, wie stark die neue Bewerbungsform angenommen wird", so Ober, "bei den Elektrotechnikern erhalten wir mehr Bewerbungen über das Netz, bei unseren Ausbildungsangeboten bisher noch wenige." Selbst auf gedruckte Stellenanzeigen bewerben sich mittlerweile zirka 30 Prozent der Interessenten online. "Neben unserer Homepage sind wir auch weiterhin in verschiedenen Stellenbörsen vertreten", erzählt Ober.

Ein Wermutstropfen bleibt trotz aller optimistischer Prognosen: Die Illusion, daß sich nur die Besten online melden, hat sich nicht bestätigt. Die elektronischen Bewerbungen sind genauso bunt gemischt wie die per Post.