Abschied vom Hype und den Visionen

Personaler als Schatzsucher

01.03.2002
BERLIN (iw) - Pragmatische Diskussionen statt kühner Visionen prägten den diesjährigen Euroforum-Personal-Kongress. Von der New Economy sprach niemand mehr, dagegen standen Klassiker wie Mitarbeiterbindung und Motivation wieder im Mittelpunkt.

In wirtschaftlich turbulenten Zeiten schlägt die Stunde der Controller. Aufwändige Recruiting-Veranstaltungen für neue Mitarbeiter stehen auf der Prioritätenliste nicht mehr an erster Stelle. Zwar war zu hören, dass viele Unternehmen weiterhin gut qualifizierte Mitarbeiter suchen, doch für Inserate und Kreuzfahrten haben sie kein Geld mehr. Personalverantwortliche müssen deshalb auch unkonventionelle Methoden entwickeln, die schon gewonnenen Mitarbeiter bei der Stange zu halten und bisher unerkannte Talente im eigenen Unternehmen stärker zu fördern.

Frauke Ewert von der VR Leasing AG in Eschborn stellte eine Rechnung vor, nach der sich die durchschnittlichen Fluktuationskosten pro Mitarbeiter auf zirka 121830 Euro belaufen. Heute können und wollen sich Firmen solche Investitionen meist nicht mehr leisten. Deshalb lautet die Lösung: "Personal-Manager müssen wie Schatzsucher arbeiten", talentierte Mitarbeiter im eigenen Unternehmen erkennen und besser als bisher fördern. Die VR Leasing AG installierte verschiedene Führungsinstrumente, um beispielsweise mit einer besseren Kommunikationspolitik und regelmäßigen Mitarbeitergesprächen die Ziele des Unternehmens und die der Mitarbeiter zu koordinieren.

Effektivere ArbeitsformenGruben sich bei vielen Personalern in den vergangenen Jahren noch die Sorgenfalten tiefer ins Gesicht, wenn sie an die vielen unbesetzten Stellen in ihren Unternehmen dachten, so können sie sich heute zwar vom Rekrutierungsmarathon erholen, doch bleibt die schwierige Frage, wie sie die teuer gewonnenen Mitarbeiter im Unternehmen halten, weiter motivieren und möglichst gewinnbringend einsetzen können. Jeremy Rifkin stellte eine simple Lösung vor: "Kürzere Arbeitszeiten bei gleicher Bezahlung", lautete die einfache Formel.

Viele der anwesenden Personal-Manager waren von den Ideen des amerikanischen Trendforschers begeistert. Der Gründer und Präsident der "Foundation on Economic Trends" in Washington D.C. blickte als einziger Referent über das tägliche Berufsgeschehen hinaus und präsentierte seine Ideen zur Zukunft von Wirtschaft, Arbeit und Gesellschaft. In seinem Vortrag ging es um mehr als das von ihm Mitte der 90er Jahre prognostizierte "End of Work". Zwar sei uns die Arbeit noch nicht ausgegangen, doch das amerikanische Jobwunder gebe es nicht. "Mit den Kreditkarten schafften sich die Menschen ein Leben auf Pump und ein künstliches Wirtschaftswachstum." Das Konsum- und damit verbundene Jobwunder war seiner Meinung nach keines. Die ungeschönten Arbeitslosenzahlen in den USA lägen mindestens bei sieben Prozent, ähnlich wie in vielen europäischen Ländern auch, erläuterte Rifkin.

Auch die optimistische Spekulation, dass die Zukunft den Wissensarbeitern gehöre, beförderte Rifkin in die Mottenkiste. Damit lasse sich keine Massenbeschäftigung herbeiführen, so der Professor. So mancher Gewerkschafter dürfte sich über seinen Vorschlag freuen: Die Arbeitszeit von 39 Stunden auf 30 und schließlich 25 Stunden zu reduzieren. Mit diesem Konzept käme man der Lösung schon näher. Seine Argumentation für kürzere Arbeitszeiten bei gleicher Bezahlung leuchtete den Anwesenden ebenfalls ein: Spitzenleistungen kann niemand für acht oder zehn Stunden am Tag erbringen, der tägliche Durchschnitt liege bei zwei bis vier Stunden produktiver Arbeitszeit. Nachdem der eloquente Redner die Zuhörer mit plausiblen Argumenten auf seine Seite gebracht hatte, servierte er ihnen weitere Nachdenkhäppchen. Wirtschaft funktioniere nicht ohne Kultur, denn letztere ermögliche erst ökonomisches Handeln. Technische Errungenschaften und wirtschaftlicher Erfolg allein reichen nicht für die Zukunft einer Gesellschaft. "Die Erziehung muss mehr Wert auf das Leben in der Gemeinschaft legen als auf wirtschaftliche Aspekte", so Rifkin. Eine weitere Lektion hatte er speziell für die Personalverantwortlichen. Aus dem vielverwendeten Begriff "Human Resources" sollten sie das Wort "Resources" streichen, denn schließlich seien Mitarbeiter keine Rohstoffe, die man nach Bedarf weiterverarbeiten könne. "Wahrscheinlich haben Sie den Job gewählt, weil Sie gerne mit Menschen zu tun haben wollten. Tatsächlich arbeiten Sie wie Richter, die über Karrieren entscheiden."

Pragmatismus gefragtDagegen hatte Rolf Wunderer, Lehrstuhlinhaber für Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen, praktische Tipps für die Personaler parat. "Personalabteilungen sollten sich nicht an Visionsspielchen beteiligen", empfahl er. Der Gründer des Instituts für Führung und Personal-Management riet den Personalverantwortlichen vielmehr, Visionen des Unternehmens auf ihre Machbarkeit und realistischen Grundlagen hin zu überprüfen. Wunderer stellte im Eröffnungsvortrag eine Schweizer Studie vor, die sich mit den kommenden Herausforderungen an dies Human-Resources-Manager beschäftigte.

Für die Befragten gehören eine stärkere Internationalisierung, gefolgt von Mitunternehmertum und einer veränderten Werteorientierung dazu. Mit internationalen Teams steigen die Anforderungen an das Personal-Management, denn die Mitarbeiter erwarten, dass ihre individuellen Wünsche stärker berücksichtigt werden. Außerdem zählen die Interviewten die interne Kundenorientierung zu den anstehenden Aufgaben. Bei diesen fünf strategischen Herausforderungen bleibt allerdings die Frage offen, ob es sich um echte Prognosen oder mehr Hoffnungen handelt. "Das Wunschdenken steht im Vordergrund, davon bin ich überzeugt", relativiert Wunderer das Ergebnis. Zwar komme dem unternehmerischen Denken der Mitarbeiter eine zentrale Bedeutung zu, doch in der Realität schrecken viele vor Veränderungen zurück. Der Slogan des "Mitarbeiters als Unternehmer im Unternehmen" bleibt oft Phrase. Der Sprung in die Selbständigkeit bietet für viele innovative Angestellte die lukrativere Alternative.

Doch auch die Rolle der HR-Manager dürfte sich ändern. Wunderer sieht sie künftig als strategische Partner und "Change Agents". Talentierte Mitarbeiter erkennen und fördern rückt in Zukunft noch stärker in den Mittelpunkt ihrer Arbeitsaufgaben. Auf die Führungskräfte warten ebenfalls neue Herausforderungen, so der Schweizer Ordinarius. Dazu gehört eine fundierte Vertrauensbasis zwischen Chef und Arbeitnehmer, außerdem sollten die Vorgesetzten Mitarbeiterpotenziale erkennen und fördern, Visionen kommunizieren, vernetztes Denken entwickeln und dafür sorgen, dass die Arbeit Spaß machen kann. Bei alledem zeigen viele Führungskräfte noch Schwächen. Gut erfüllten sie dagegen ihre klassischen Aufgaben wie etwa Herausforderungen annehmen, enge Kundenkontakte pflegen und Arbeiten delegieren.