Personalchefs warnen junge Wirtschaftsinformatiker vor Ueberheblichkeit Studenten im besten Zwirn loesen die "Birkenstock-Generation" ab

27.01.1995

KOELN (hk) - Gute Berufsperspektiven attestierten Personalchefs angehenden Wirtschaftsinformatikern auf einem Hochschulkongress in Koeln. Sie warnten allerdings vor zu grossem Anspruchsdenken und wiesen auf das veraenderte Karriereverstaendnis hin.

Im Prinzip haben die Personalchefs keinen Grund, sich ueber die heutige Absolventengeneration von Wirtschaftsinformatikern zu beklagen. Helmut Habermehl, seit mehreren Jahren Personalchef der Software AG, schildert seine Erfahrungen mit folgendem Beispiel: Frueher besuchten die angehenden DV-Profis den Messestand seines Unternehmens in Birkenstocksandalen, heute tauchen sie im besten Zwirn auf. Und waehrend die Fragen in der Vergangenheit eher allgemeiner Natur, etwa zu Einsatzmoeglichkeiten, waren, seien die Studenten heute besser informiert und koennten zum Teil aufgrund ihrer Praktika Branchenerfahrung nachweisen.

"Richtig neidisch koennte ich werden, wenn ich mir die Lebenslaeufe einiger Teilnehmer anschaue" bestaetigt Andre Blumberg, selbst noch Student, den Trend, waehrend der Hochschulausbildung interessante Praktika im Ausland zu absolvieren oder anspruchsvolle Taetigkeiten auszuueben. Er selbst bemueht sich gerade um eine Praktikantenstelle bei einem grossen DV-Hersteller in Singapur.

Als Organisator des dreitaegigen Forums der Association Internationale des Etudiants en Sciences Economiques et Commerciales (Aiesec) zu Perspektiven in der Wirtschaftsinformatik musste Blumberg aus ueber 250 interessierten Studenten letztlich 100 aussuchen. Und diese reisten in der Mehrzahl so gut gekleidet an, dass man sie von den Personalreferenten der ausstellenden Betriebe nicht unterscheiden konnte.

Dass aber ein ansprechendes Outfit noch nicht automatisch zu einem Job fuehrt, darauf machten DV-Manager und Personalchefs in einer Podiumsdiskussion aufmerksam. Christoph Warnecke, Hauptabteilungsleiter Anwendungsentwicklung beim Gerling-Konzern, Koeln, missfaellt zum Beispiel das Anspruchsdenken der Absolventen: "Sie erwarten, dass sie schnell befoerdert werden."

Lars Schuster vom Waschmittelkonzern Henkel in Duesseldorf sprach von einem sich veraendernden Karriereverstaendnis und ermahnte die Zuhoerer, sich vom "Leiterdenken" zu verabschieden, also nicht von vornherein "immer schnell die naechste hierarchische Stufe" erreichen zu wollen.

Sein Unternehmen biete kein Laufbahnkonzept mehr an und versuche, den Mitarbeitern alle zwei bis drei Jahre innerhalb des Konzerns neue Jobs zu offerieren, die hoeherwertig und mit mehr Verantwortung ausgestattet seien. "Es geht mehr in die Breite als in die Hoehe", resuemiert der Duesseldorfer Personalexperte.

Auch Deutschlands groesstes Softwarehaus, die SAP AG in Walldorf, verzichtet nach Aussagen ihres Personal-Managers Stefan Mueller auf die klassische Fuehrungskraefteentwicklung. Sein Arbeitgeber setze auf flache Hierarchien.

Fuer Mueller bedeute Karriere, "neue Aufgaben wahrzunehmen". Immerhin haetten zu Beginn dieses Jahres von 2500 Mitarbeitern ueber 300 ihre Abteilungen gewechselt. Auch Gerling-DV-Manager Warnecke glaubt, dass die Zeiten, in denen man Karriere in der Linie gemacht hat, der Vergangenheit angehoeren werden. Der Koelner Versicherungskonzern sei dabei, eine Projektkultur zu etablieren. Nach Warneckes Meinung kann man heute entweder ueber "solide Projektarbeit oder als Spezialist" weiterkommen.

Software-AG-Personalchef Habermehl dagegen ist ueberzeugt, dass ein moeglicher Berufseinstieg des Wirtschaftsinformatikers ueber die Stufen Anwendungsprogrammierer, -designer und -berater geht - so wie es sein Unternehmen praktiziert - und dass somit eher der Generalist als der Spezialist nachgefragt werde. Er empfahl den Studenten, ein Unternehmen zu suchen, in dem man "mehrere Rollen spielen kann".

Habermehl machte aber auch auf die stark veraenderten gesellschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Rahmenbedingungen aufmerksam. Er beklagte den zunehmenden Egoismus unterschiedlichster Gruppen, den deutschen Hang zum Perfektionismus sowie den ausufernden Buerokratismus, der jede Neugruendung vor grosse Probleme stelle.

Auch der Arbeitsmarkt sei in einem starken Wandel begriffen, so der Darmstaedter Manager. Nach seiner Beobachtung haetten Seiteneinsteiger in die DV kaum noch Chancen, auch den Umschuelern prophezeit er harte Zeiten.

Unternehmen legen Wert auf "runde Bewerbung"

Konkurrenz entstehe den Hochschulabsolventen vor allem von den entlassenen Mitarbeitern der grossen DV-Hersteller, die frueher die meisten Junginformatiker engagierten. Neu sei auch, bedingt durch die Rezession, dass sich eine Menge Freiberufler auf dem Markt tummelten, die zu ganz anderen Preisen ihre Dienste anbieten koennen als Unternehmen.

Voraussetzung fuer eine Einstellung sei, so die einhellige Meinung der Podiumsteilnehmer, eine "runde Bewerbung" vorweisen zu koennen. Bevorzugt wird eher der Kandidat, der sowohl gute Noten als auch ein Praktikum und Sprachkenntnisse mitbringt, als einer, der zum Beipiel nur gute Noten und eine kurze Studienzeit vorweisen kann.