BBC-Bericht deckt auf

Personalabbau bei Twitter lässt Trolle jubeln

07.03.2023
Von Redaktion Computerwoche

Warnmechanismus vor schädlichen Inhalten wird nicht mehr gepflegt

Lisa Jennings Young war eine der Personen, die sich bei Twitter auf Funktionen zum Schutz der User vor Hass und Hetze spezialisiert hatte. Ihren Angaben zufolge hatte das soziale Netzwerk gute Fortschritte bei der Eindämmung dieses Phänomens erzielt, auch wenn Twitter schon immer ein Tummelplatz für Trolle gewesen sei. Ihr Team habe unter anderem einen Sicherheitsmodus entwickelt, mit dem missbräuchlich genutzte Konten automatisch gesperrt werden konnten. Ebenso entwickelte es Labels für irreführende Tweets und den so genannten Harmful Reply Nudge. Diese KI-Funktion warnt User, wenn sie im Begriff sind, bösartige oder verletzende Inhalte zu veröffentlichen.

Laut Jennings wird diese Funktion momentan aber nicht mehr gepflegt. Testweise verfasste die BBC-Redakteurin einen Tweet, der eigentlich einen solchen Nudge hätte auslösen müssen. Sie schrieb: "Twitter-Mitarbeiter sind faule Verlierer! Springt von der Golden Gate Bridge und sterbt!" Mit diesem Posting antwortete Spring auf einen der Tweets von Jennings - und zur Überraschung beider wurde kein Nudge zur Warnung gesendet.

Spring hat im Laufe ihrer Recherchen Mitteilungen von vielen Menschen erhalten, die feststellen, dass der Hass auf Twitter seit Elon Musks drakonischen Maßnahmen zugenommen habe. Sie nennen Beispiele von Rassismus, Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit. Besonders traurig ist der Fall eines Vergewaltigungsopfers, dass seine Erfahrungen auf Twitter vertrauensvoll mit anderen teilen wollte. Sie wurde mit einer Welle von Hassbotschaften konfrontiert. "Besonders schlimm sind die Leute, die sagen, ich würde lügen und sei gar nicht vergewaltigt worden. Für mich ist das wie ein zweites Trauma."

Gesperrte Trolle sollen wieder aktiv sein

Spring kommt in ihren Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass Trolle, die schon einmal gesperrt waren, wieder aktiv geworden sind und das Vergewaltigungsopfer ins Visier genommen haben. Ihre Konten schienen sich ganz der Verbreitung von Hass zu widmen, Profilbilder oder sonstige Erkennungsmerkmale suche man vergeblich. Zudem seien unter Musks Regie Tausende von ehemals gesperrten Konten reaktiviert worden, von denen Frauenfeindlichkeit und Hass ausgehe - darunter das des umstrittenen Influencers Andrew Tate.

Den Insidern zufolge wurde bei Twitter auch der Kampf gegen so genannte Influence Operations heruntergefahren - darunter sind staatlich sanktionierte Kampagnen zu verstehen, die darauf abzielen, die Demokratie zu schwächen und Dissidenten sowie Journalisten anzugreifen. Spring zitiert Ray Serrato, der bei Twitter in einem Team gearbeitet hat, das auf die Bekämpfung solcher Operationen spezialisiert war. Er verließ das Unternehmen im vergangenen November, weil er nicht das Gefühl hatte, die neue Führung würde ihre Verantwortung ernst nehmen. Inzwischen wurde sein ehemaliges Team dezimiert und existiert laut Serrato nur noch in einer "minimalen Kapazität".

Ein anderer anonymer Insider beklagt, dass Twitter nicht mehr genug zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern unternehme. Sein Team identifiziere Konten, die missbräuchliche Inhalte über Kinder verbreiteten und leite die schlimmsten Fälle an Strafverfolgungsbehörden weiter. Schon vor der Übernahme durch Elon Musk seien solche Inhalte ein großes Problem gewesen, jeden Tag sei anstößiges Material identifiziert worden. Nach Musks Coup wurde sein Team von 20 auf sechs oder sieben Mitarbeiter zusammengestrichen. Der Aufgabe angemessen nachzukommen, werde damit immer schwieriger.

Technische Probleme setzen Twitter zu

Laut Forbes hat Elon Musk die Belegschaft von Twitter inzwischen von rund 7.500 auf "wahrscheinlich weniger als 2.000 Beschäftigte" zusammengestrichen. Das hat offenbar auch zu technischen Problemen geführt. So fiel die Website Twitter.com am 6. März für knapp eine Stunde aufgrund eines API-Fehlers aus, Besucher sahen die Fehlermeldung "Your current API plan does not include access to this endpoint".

Musk kommentierte den Ausfall auf Twitter mit der Feststellung, die Plattform sei sehr anfällig und erklärte später: "Kleine API-Veränderungen hatten massive Auswirkungen. Der Code-Stack ist extrem anfällig - aus keinem guten Grund. Wir müssen ihn ganz neu schreiben." Beobachter vermuten, dass der Fehler mit Twitters Wechsel auf ein Bezahlmodell zusammenhängt. Musk hat entschieden, dass Unternehmen für den API-Zugriff künftig zur Kasse gebeten werden sollen. "Hat Twitter vergessen, ein Abo für die eigene API abzuschließen?", scherzte denn auch ein User in Anspielung auf dieses neue Geschäftsmodell. (hv)