IT im Marketing/Transparente Kundenbeziehungen dank E-Business

Per Customer Interaction Center den profitablen Kundenstamm identifizieren

17.09.1999
Wie Call-Center-Agenten mit Kooperations-Tools ihre Kunden persönlich beraten und bedienen sowie deren Bindung ans Unternehmen erhöhen können, skizziert Michael Charlier*.

Eine kürzlich veröffentlichte Studie des amerikanischen Softwarehauses Rubric Inc. (siehe Kasten) besagt, daß selbst bekannte Online-Anbieter aus gängigen Bereichen wie Bücher, Musik, Videos, Software oder Computer immer noch erhebliche Schwächen im Marketing zeigen. Viele versäumen es, Kunden aktiv auf weitere, möglicherweise interessante Produkte hinzuweisen und sind zum größten Teil noch nicht einmal darauf eingerichtet, Wiederholungskäufer zu erkennen und entsprechend anzusprechen. Und am schlimmsten: Fast die Hälfte der Anbieter ließen direkte Kundenanfragen via E-Mail unbeantwortet - eine Fülle ungenutzter Chancen.

Die Rubric-Untersuchung beschränkte sich auf amerikanische Unternehmen, aber nichts spricht dafür, daß die Anbieter hierzulande besser auf die Besonderheiten des E-Business eingestellt wären. Eine empirische Untersuchung des Online-Angebotes von Geldinstituten, die die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände im Mai veröffentlichte (www. agv.de/Neues/kurzbankinternet2. htm), stellt auch den Banken bei der Kundenorientierung kein gutes Zeugnis aus. Im Mittelpunkt der Kritik steht die Feststellung, die Anbieter hätten noch gar nicht erkannt, welche Umwälzung das Internet-Banking für die Beziehung zwischen Verbraucher und Geldinstitut bedeutet. Die Banken verlangten von ihren Kunden, daß sie an ihre Geldgeschäfte auf eine völlig neue, für sie unbekannte Weise herangehen, sie selbst beschränkten sich jedoch weitgehend darauf, technische Voraussetzungen für das Online- Geschäft zu schaffen, mit denen sie ihre Kunden dann allein ließen.

Diese Kritik erscheint weit über den untersuchten Bereich des Online-Banking hinaus zutreffend. Viele Websites mit E-Business-Angeboten für Endkunden sehen so aus, als rechneten die Unternehmen mit Besuchern, die langjährige Erfahrung im Umgang mit Computern und der Abwicklung von Online-Geschäften haben.

Seit weniger als einem Jahr online

Tatsächlich ist etwa die Hälfte der gegenwärtigen Internet-User in Deutschland seit weniger als einem Jahr online, und so, wie die Dinge sich derzeit entwickeln, wird der Anteil der Web-Surfer, die über wenig oder gar kein Vorwissen im Umgang mit Daten- und Kommunikationstechnik verfügen, noch stark zunehmen. Sie als Kunden zu gewinnen und zu behalten, ist daher für den kommerziellen Erfolg von E-Commerce-Projekten von ausschlaggebender Bedeutung.

Bei Angeboten, die mit einer größeren Zahl von Besuchern mit geringer Online-Erfahrung rechnen müssen, wird es in aller Regel nicht ausreichen, auf der Website auf eine Service-Nummer zu verweisen. Besser geeignet, um dem Kunden die Überwindung der Schwellenangst vor einer Kontaktaufnahme zu erleichtern, ist ein sogenannter "Call-me"-Button, mit dem der Kunde den Anbieter zur Aufnahme einer direkten Verbindung auffordert. Im Idealfall erfolgt diese Verbindung direkt über das Internet (Voice over IP), sie kann natürlich auch über eine zweite Telefonleitung realisiert werden - die allerdings bei Endverbrauchern häufig noch gar nicht vorhanden ist.

Inzwischen gibt es mehrere "Call-me-Back-Button"-Systeme von Anbietern wie Aspect, E-Fusion, IBM, Nortel Networks, Site Bridge oder Web Line, die IP in dieser Form für die Kundenkommunikation nutzen und außerdem einen Chat zwischen Kunden und Service-Center ermöglichen. Einige dieser Systeme bieten sogar die Möglichkeit zur gemeinsamen Bearbeitung vom Web-Dokumenten. Im Zentrum dieser Browser-Kooperationslösungen steht eine weitgehende Synchronisation der Browser von Call-Center-Agent und Kunde, so daß beide jeweils den gleichen Blick auf die Website bieten - auch für dynamische Seiten oder interaktiv ausfüllbare Webformulare.

Da sämtliche Leistungen dieser Systeme durch entsprechende Auslegung der Serverseite erbracht werden, ist auch eine weitergehende Telefonie-Integration möglich.

"Genauso wie das ,kundenindividuelle'' Servicepaket mit einheitlicher Gratis-Telefonnummer für Kundenanfragen zum Standard geworden ist, werden sich sogenannte Web-Collaboration-Tools bei der Kundenbindung im Online-Shopping durchsetzen", vermutet Kurt Plattner, IBM Business Manager für Produkte im Segment Customer Relationship Management. "Jeder Online-Shop kann das heute schon anbieten."

Beratungsintensive Produkte via Netz vertreiben

Zusammen mit einer Implementierung der Verfahren für elektronische Signatur schaffe Browser-Synchronisierung die Voraussetzungen dafür, auch beratungsintensive Produkte - zum Beispiel individuell angepaßte Versicherungen - über das Netz zu vertreiben. Außerdem eröffne sich - etwa mit Blick auf die in Zukunft verstärkt zu berücksichtigenden Web-Nutzer ohne Computerkenntnisse - die Möglichkeit, elementare Beratungsabläufe ganz oder teilweise zu automatisieren und dennoch individuell zu gestalten.

Doch warnt der IBM-Mann vor zu hohen Erwartungen: "Die interaktive Kundenbetreuung über das Web allein führt nicht automatisch zu einer besseren Kundenbeziehung. Der Mitarbeiter im Call-Center braucht zur optimalen Beratung richtige und aktuelle Informationen über Kunden und Angebot."

Es sei deshalb notwendig, die Aktivitäten des Service im Call-Center durch systematisches Customer Relationship Management (CRM) zu unterstützen.

Ohne eine derartige Erschließung kundenrelevanter Informationen könne persönliche Beratung im Online-Shop ihre Ziele nicht erreichen.

Und genau hier tappen offenbar viele Unternehmen noch im Dunkeln, wie eine Untersuchung von Infolab Research aus München festgestellt hat. Gerade einmal 55 Prozent derjenigen, die gezielt Maßnahmen zur Kundenbindung durchführen, gelingt es tatsächlich, ihren Umsatz zu erhöhen. Bei 30 Prozent der Firmen bleibt der Umsatz trotz verbesserten Services gleich, bei jedem zwanzigsten Befragten sinkt er sogar. Diese Unternehmen haben zwar etwas unternommen - aber offenbar nicht das richtige.

Die Frage, was denn das richtige ist, kann allerdings nur im konkreten Fall und auf der Grundlage intensiver Materialauswertungen beantwortet werden. Im allgemeinen ist die Pflege bestehender Kunden sehr viel profitabler als die Gewinnung neuer Kunden. Selbst bei einer Kundenbindungsrate von 90 Prozent - in den Augen vieler Marketiers ein sehr guter Wert - verliert ein Unternehmen alle fünf Jahre fast 50 Prozent des Kundenstamms und muß deshalb beträchtliche Ressourcen in die Neukundenakquisition stecken. Trotzdem kann es bei den Maßnahmen zur Verbesserung der Kundenbeziehungen und Festigung der Kundenbindung nicht darum gehen, vorhandene Kunden um jeden Preis zu halten. Entscheidend für den Unternehmenserfolg ist nicht die Dauer einer Kundenbeziehung, sondern die langfristige Profitabilität jeder einzelnen Kundenbeziehung.

Die entscheidende Schnittstelle zum Kunden

Untersuchungen der First Manhattan Bank haben ergeben, daß 20 Prozent ihrer Kunden überproportional zum Gewinn beitragen, wogegen 40 bis 50 Prozent aller Kunden die Hälfte des Profits vernichten. Es ist also von entscheidender Bedeutung, den profitablen Kundenstamm zu identifizieren und zu halten und im übrigen die Fluktuation zu steuern und nicht zu erdulden. Der direkte Kontakt zu den Kunden per Browser-Collaboration ist dabei entscheidend. Aus dem Call-Center wird mehr und mehr ein Customer Interaction Center, dem eine Schlüsselposition im Unternehmen zukommt. Hier wird Know-how verteilt und aggregiert. Dadurch ist das Customer Interaction Center im E-Business die entscheidende Schnittstelle zum Kunden.

Kundenbindung

Die Rubric-Studie (zum Download erhältlich bei www.rubricsoft.com) zeigt eine Reihe von Fehlern bei der Interaktion mit dem E-Customer. Die vier schwersten Sünden sind:

1. das Versäumnis, Kunden aktiv an andere Produkte heranzuführen,

2. der Verzicht auf personalisierte Kundenansprache,

3. fehlende Anstrengungen, um aus Laufkunden Stammkunden zu machen, und

4. die mangelhafte Bereitschaft zur Kommunikation.

Ihre Empfehlungen fassen die Analysten in folgenden fünf Punkten zusammen:

1. Einsatz automatisierter Verfahren, um Käufern entsprechend ihren Interessen weitere Produkte zu empfehlen;

2. Erstellung datenbankgestützter Kundenprofile zur Erhöhung des Nutzens für Wiederholungskäufer;

3. Persönliche Ansprache zur Vertiefung der Kundenbindung;

4. Ausbau von auf Dauer angelegten Kundenbeziehungen durch proaktive und persönliche Ansprache;

5. Etablierung von Mechanismen zur zeitnahen Messung des Erfolgs von Marketingmaßnahmen.

Angeklickt

Die intensive Nutzung des Internet eröffnet nicht nur den Unternehmen als Anbietern von Waren und Dienstleistungen neue Möglichkeiten, sondern verleiht auch den Kunden und Abnehmern eine ungewohnte Flexibilität. Sie verfügen über mehr Informationsmöglichkeiten als je zuvor und können jederzeit zu einem tatsächlich oder vermeintlich günstigeren Anbieter abwandern. Tendenziell werden alle Märkte zu Kundenmärkten. Anstrengungen zur Verbesserung und zur gezielten Gestaltung der Kundenbeziehungen gewinnen dadurch für den Geschäftserfolg im E-Business ausschlaggebende Bedeutung. In Call-Centern einsetzbare Tools sollen Kundenansprache und -bindung erleichtern.

*Michael Charlier ist freier Journalist in Essen.