Mitarbeiter durchleuchten

People Analytics - ein unerfüllbarer Wunsch

19.10.2015
Von 


Christoph Lixenfeld, seit 25 Jahren Journalist und Autor, vorher hat er Publizistik, Romanistik, Politikwissenschaft und Geschichte studiert.

1994 gründete er mit drei Kollegen das Journalistenbüro druckreif in Hamburg, schrieb seitdem für die Süddeutsche Zeitung, den Spiegel, Focus, den Tagesspiegel, das Handelsblatt, die Wirtschaftswoche und viele andere.

Außerdem macht er Hörfunk, vor allem für DeutschlandRadio, und produziert TV-Beiträge, zum Beispiel für die ARD-Magazine Panorama und PlusMinus.

Inhaltlich geht es in seiner Arbeit häufig um die Themen Wirtschaft und IT, aber nicht nur. So beschäftigt er sich seit mehr als 15 Jahren auch mit unseren Sozialsystemen. 2008 erschien im Econ-Verlag sein Buch "Niemand muss ins Heim".

Christoph Lixenfeld schreibt aber nicht nur, sondern er setzt auch journalistische Produkte ganzheitlich um. Im Rahmen einer Kooperation zwischen Süddeutscher Zeitung und Computerwoche produzierte er so komplette Zeitungsbeilagen zu den Themen Internet und Web Economy inklusive Konzept, Themenplan, Autorenbriefing und Redaktion.
Qualitäten und Fähigkeiten von Mitarbeitern mit Hilfe von quantitativer Datenanalyse zu durchleuchten, ist DAS Hypethema im HR-Business. People Analytics können viel, trotzdem wird ihr breiter Einsatz in deutschen Unternehmen nach Ansicht von Praktikern noch Jahre auf sich warten lassen.
  • PA-Tools haben herausgefunden, dass Singles schneller kündigen - sollten sie also grundsätzlich besser bezahlt werden?
  • Eine weitere Erkenntnis: Ohne großes internes Netzwerk innerhalb des Unternehmens sind Sales-Mitarbeiter nicht erfolgreich.
  • Die deutschen Datenschutzgesetze stehen dem Einsatz von People-Analytics-Tools entgegen - deren wirklicher Nutzen ist aber ohnehin stark umstritten.

Mit 100-prozentiger Sicherheit angesagt ist ein Thema dann, wenn es auf der re:publica in Berlin verhandelt wird. Auf "Europas aufregendster Konferenz über das Internet und die Gesellschaft" treffen sich alljährlich Blogger, Start-up-Gründer, Trendfinder - und alle, die irgendetwas davon werden wollen.

In diesem Jahr ging es dabei auch um People Analytics. Das vorgestellte Anwendungsbeispiel: die Software "Insight Applications" des Personalmanagement-Unternehmens Workday aus Kalifornien. Sie kann vorhersagen, wann ein Mitarbeiter wahrscheinlich den Job wechseln wird - indem sie analysiert, nach wie vielen Jahren Angestellte mit ähnlichem Background, Werdegang und vergleichbaren Skills in der Vergangenheit den Laden verlassen haben. Der Arbeitgeber bekommt so die Möglichkeit, den Betreffenden rechtzeitig durch Anreize zum Bleiben zu bewegen.

Unternehmen, die ihre Mitarbeiter genauestens durchleuchten und analysieren, können 'High Potentials' besser halten - das zumindest ist die Idee von People Analytics.
Unternehmen, die ihre Mitarbeiter genauestens durchleuchten und analysieren, können 'High Potentials' besser halten - das zumindest ist die Idee von People Analytics.
Foto: Rawpixel - www.shutterstock.com

Hört sich sinnvoll an und praktikabel? Nur, bis man diesem Beispiel das eines US-Versicherungsunternehmens an die Seite stellt. Dessen Berater, die sich ebenfalls People Analytics bedienten, fanden zum selben Thema heraus, dass Mitarbeiter, die keine Kinder hatten oder keinen Partner unterhalten müssen, eher kündigen und sich etwas Neues suchen als andere.

Singles besser bezahlen?

Wie sollte das Unternehmen darauf reagieren? Singles grundsätzliche höhere Gehälter bezahlen, damit sie länger bleiben? Oder sie im Gegenteil gar nicht erst einstellen, weil sie potentiell schnell wieder weg sind? Beides würde in Zeiten der Anti-Diskriminierungsgesetze der Firma massive Probleme bescheren.

Das Anwendungsbeispiel zeigt wie in einem Brennglas die Stärken und die Schwächen von People Analytics. Gemeint sind mit dem Begriff eine Reihe von Verfahren, die Menschen wie jedes andere Asset betrachten, also als etwas, das beobachtet, analysiert und rekonfiguriert werden kann.

Glaubt man den Beratern von PwC, die sich ausführlich mit dem Thema beschäftigen, dann haben in den USA bereits sehr viele Unternehmen die Möglichkeiten erkannt, die in solchen Verfahren stecken. Die Chefs von 86 Prozent aller US-Unternehmen, so das Ergebnis einer PwC-Befragung, halten den Einsatz von oder zumindest die Beschäftigung mit People Analytics innerhalb der kommenden drei Jahre für ein wichtiges strategisches Ziel. Und 46 Prozent hätten bereits entsprechende Lösungen im Einsatz.

Bekannte Anwender sind zum Beispiel Qualcomm, Boeing, Symantec, Walmart oder General Motors. Welche Systeme sie genau einsetzen und was sie damit machen, darüber sprechen die Verantwortlichen nicht so gerne.

People Analytics? Nie gehört!

Für Deutschland gilt das erst recht. Wobei hier die Vermutung nahe liegt, dass die Unternehmen bisher wenig tun, was sie verbergen könnten. Auch in der öffentlichen Wahrnehmung und dem Informationsstand über People Analytics hinkt unser Land weit hinter den USA her. Wie weit, das bewies ein Anruf des Autors beim Chef eines renommierten deutschen Personaldienstleisters mit mehreren hundert Mitarbeitern: "People Analytics? Nie gehört!" lautete die ebenso ehrliche wie überraschende Aussage. Auch die dahinter stehenden Methoden waren ihm aus seinem Beratungsalltag gänzlich unbekannt.

An mangelnden technischen Möglichkeiten liegt es nicht, dass sich die Deutschen bisher so wenig damit beschäftigen, die sind enorm. People Analytics kann nicht nur dabei helfen, die eigenen Leute vom vorzeitigen Ausstieg abzuhalten, sondern auch dazu beitragen, die Richtigen zu finden.

Beispielsweise ließe sich mit Hilfe von Daten feststellen, welche Eigenschaften und Fähigkeiten die Erfolgreichsten einer Abteilung verbindet - um anschließend bei weiterem Bedarf nach Kandidaten mit genau diesem Profil zu suchen.

Netzwerk = Erfolg

Mit Hilfe solcher Analysen lassen sich auch (bisher) populäre Irrtümer aufklären. Die Software von Velometrix, einem US-Anbieter von People Analytics-Lösungen, hatte zum Beispiel in einem Fall herausgefunden, dass nicht etwa diejenigen Verkäufer eines Unternehmen am erfolgreichsten waren, die die meisten externen Kontakte hatten, sondern die mit dem größten firmeninternen Netzwerk.

Um solche Dinge zu ermitteln "analysiert unsere Software jede E-Mail und jeden Kalendereintrag und kann so genau sagen, wer was mit wem tut", so Ryan Fuller, einer der Gründer von VoloMetrix.

Anschließend tut das Programm, was auch ein Abteilungsleiter tun würde, wenn er so schlau wäre wie die Maschine: Es sendet regelmäßig E-Mails an bestimmte Mitarbeiter und fordert sie auf, ihr Netzwerk intensiver zu pflegen.

Das alles sei möglich, ohne die Persönlichkeitsrechte des einzelnen zu verletzen, sagt VoloMetrix - die Daten würden anonymisiert verarbeitet.

Deutscher Datenschutz bremst aus

Unabhängig davon, ob man das nun glauben möchte oder nicht: Datenschutzbedenken und sämtliche damit verbundenen Ängste und Diskussionen sind der Hauptgrund für die deutsche Zurückhaltung und das Informationsdefizit bei diesem Thema.

Hierzulande ist jede Auswertung persönlicher Daten, die eine Zuordnung zu einer bestimmten Person ermöglicht, nur mit Zustimmung des Betroffenen und/oder des Betriebsrats möglich. Dem drohenden Konflikt gehen viele Unternehmen aus dem Weg, indem sie die Finger einfach ganz von People Analytics lassen.

Und sogar von vielen anderen, gängigen Methoden der datengestützten Personalarbeit. Diese Erfahrung macht Dennis Kampschulte, Mitglied der Geschäftsleitung bei Kienbaum Management Consultants und dort für "Human Capital Services" zuständig, immer wieder.

Teil seines Jobs ist die Führungskräfteentwicklung mit Hilfe psychometrischer Verfahren, also durch eine Kombination von strukturierten Befragungen und Rollenspielen. Kampschulte: "Es gibt eine ganze Reihe von Kunden, die uns sagen: Ja, wir kennen derartige psychometrische Testverfahren und wir wissen auch, dass sie gute Ergebnisse liefern, aber wir möchten sie trotzdem nicht einsetzen. Der Grund ist, dass die Verantwortlichen negative Reaktionen und Widerstände ihrer Mitarbeiter befürchten und daher häufig auf konventionelle Verfahren setzen, obwohl gerade in der Kombination derartiger Verfahren ein entscheidender Informationsmehrwert liegt."

Dennis Kampschulte glaubt, dass es noch Jahre dauern wird, bis People Analytics in deutschen Unternehmen so richtig ankommen.
Dennis Kampschulte glaubt, dass es noch Jahre dauern wird, bis People Analytics in deutschen Unternehmen so richtig ankommen.
Foto: Fotografie Joachim Rieger

Aufgrund dieser Erfahrungen glaubt Kampschulte auch nicht, dass sich die beschriebene automatisiert datengestützte Personalanalyse zügig in Deutschland durchsetzen wird. "Psychometrische Verfahren existieren in analoger Form ungefähr seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Trotzdem gibt es noch immer Vorbehalte dagegen. Auch deshalb gehe ich davon aus, dass People Analytics bei uns frühestens in zehn Jahren flächendeckend eingesetzt werden wird."