Gute Jobaussichten für Absolventen von Multimedia-Studiengängen

Pendler zwischen Informatik und Design

23.04.1999
Sie sind geschult in Informationstechnik und Gestaltung und wissen Bescheid über die Wirkung von Multimedia: So lassen sich die jungen Spezialisten beschreiben, die Studiengänge für die computergestützte Umsetzung von Bild, Ton und Bewegtbild gewählt haben.

von Helga Ballauf*

Rund 140 Hoch- und Fach-Hochschul-Angebote an der Schnittstelle Informatik - Multimedia hat der Deutsche Multimedia Verband e.V. (DMMV) Ende 1998 gezählt; viele davon sind noch gar nicht auf der entsprechenden Internet-Seite des Verbandes www.dmmv.de/pgs/ uniliste.htm) gelistet. Auf dem Magdeburger Herbstsymposium 1998 "Neue Entwicklungen in der Informatikausbildung" wurde versucht, drei Hauptrichtungen zu unterscheiden: Medieninformatik, Computervisualistik und Medienwissenschaft.

Fit für virtuelle IT-Welten

Medieninformatik. In diesen Studiengängen arbeiten in erster Linie die Fachbereiche Informatik und Gestaltung zusammen. Es werden Fachleute ausgebildet, die Multimedia-Produktionen - ob Fernsehspots oder CD-ROMs, ob Internet-Präsentationen oder komplette digitale Informationssysteme - vom Konzept bis zur Marktreife betreuen (siehe Seite 46). Je nach Hochschule spielen mal künstlerische, mal technische, mal Vermarktungsfragen eine größere Rolle.

Computervisualistik. Der Spagat zwischen den verschiedenenen Disziplinen ist groß: Einerseits spielt der "harte" informationstechnische Teil der Ausbildung eine gewichtigere Rolle als bei der Studienrichtung Medieninformatik. Andererseits haben die "weichen" Fächer wie Psychologie, Pädagogik und Philosophie einen hohen Stellenwert im Studium. Dazu kommen die unterschiedlichsten Anwendungsdisziplinen wie Medizin oder Werkstoffwissenschaft. Ziel dieses interdisziplinären Experiments ist es, Fachleute zu qualifizieren, die virtuelle Rechnerwelten für verschiedene Berufsgruppen "bauen" und in der Lage sind, dies im Dialog mit den Nutzern - ob Architekten, medizinischen Forschern, Wetterkundlern oder Werkstoffwissenschaftlern - zu betreiben.

Medienwissenschaft. Hierunter sind Studiengänge zu verstehen, die sich vornehmlich mit den Inhalten, der Wirkung und dem Nutzen multimedialer Präsentationen befassen. Die medien- und informationstechnischen Anteile spielen im Vergleich zu geisteswissenschaftlichen und künstlerischen Aspekten eine eher geringere Rolle.

Der Boom dieser Wissenschaften ist mehr als ein modischer Trend. Es gibt gute technologische, wirtschaftliche und bildungspolitische Gründe, sich zwischen den Disziplinen zu bewegen. Neue Medien, die so neu gar nicht mehr sind, durchdringen immer stärker alle Lebens- und Arbeitsbereiche. Waren zu Beginn des digitalen Aufbruchs vor allem IT-Könner gefragt, steigt inzwischen besonders die Nachfrage nach technisch und gestalterisch versierten Lieferanten für inhaltliche Beiträge, hat Sigmar Gleiser von der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung der Bundesanstalt für Arbeit (ZAV) in Frankfurt/Main beobachtet. Allein die zahlreichen Sendeplätze der privaten und öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten wollen gefüllt sein.

Außerdem braucht die Medienbranche Ansprechpartner bei den Hard- und Software-Entwicklern, die sich in beiden Metiers auskennen. Schließlich setze sich immer mehr die Erkenntnis durch, sagt Arbeitsmarktexperte Gleiser, daß ein mit Spezialisten unterschiedlicher Sparten besetztes Team nicht automatisch ein gelungenes Multimedia-Projekt entwikkeln kann: "Wenn der Informatiker mit seiner Sprache und Denkweise auf den künstlerisch orientierten Designer trifft, müssen sie erst eine Verständigungsebene aufbauen."

Unternehmen suchenDoppelbegabungen

Stefan Löchler, einer der geschäftsführenden Gesellschafter des spezialisierten Personalberaters und -vermittlers Newplan hat ein griffiges Bild parat, wenn er beschreibt, warum reine Informatiker bei der Gestaltung von Multimedia-Produkten schnell an Grenzen stoßen: "Jemand, der hervorragend mit Hammer und Meißel umgehen kann, ist noch lange kein guter Bildhauer." Gefragt sind also immer stärker "Doppelbegabungen", wie der Augsburger Fachhochschullehrer Wolfgang Kowarschick seine Multimedia-Studenten nennt: "Wir brauchen Leute, die das technische Verständnis so mit gestalterischem Wissen paaren, daß etwas qualitativ Neues entsteht. Das vermittelt weder ein Design-, noch ein Informatik-Studium allein."

Dazu kommt die Fähigkeit, sprachliche Brücken zwischen verschiedenen Denkschulen und Fachgebieten schlagen zu können, ergänzt Jörg Schirra, der in Magdeburg angehende Diplomingenieure in Computervisualistik betreut. Hohe professionelle Anforderungen also, die auch die Hochschulen selbst herausfordern. Das bestätigt Gabriele Schade, die in der Fachrichtung "Angewandte Medienwissenschaft" an der TU Ilmenau lehrt: "Es ist belebend, wenn Techniker und Sozialwissenschaftler gut zusammenarbeiten. Aber es kostet auch viel Kraft. Denn wir müssen in Inhalt und Methode neue Wege gehen."

In Ilmenau gibt es neben der angewandten Medienwissenschaft die Fachrichtungen Medientechnologie sowie Medienwirtschaft. Das ermöglicht Differenzierung einerseits und Integration andererseits: Jede Richtung schärft ihr eigenes Profil; Querschnittsstoff wird gemeinsam vermittelt; in kleinen gemischten Projektgruppen kann Teamarbeit erprobt werden. In Braunschweig gestalten sogar zwei verschiedene Hochschulen den Studiengang Medienwissenschaften gemeinsam: die Technische Universität und die Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.

Wie sehen nun die künftigen Berufsaussichten der Grenzgänger zwischen Informatik und Multimedia-Anwendungen aus? "Eine vielversprechende Qualifikation, ein Beschäftigungsfeld, das weiter wachsen wird", das ist unisono von Wirtschaft und Hochschulen zu hören.

Konkretere Vorhersagen sind in dieser "dynamischen Sparte" allerdings nicht möglich, sagt der Augsburger Fachhochschullehrer Klaus-Peter John: "Wenn ich in der Studienberatung nach dem präzisen Beruf gefragt werde, erinnere ich die jungen Leute, die zu mir kommen daran, daß etwa fünf Jahre vergehen, bis sie mit ihrer Hochschulausbildung fertig sind. Wer hätte aber vor fünf Jahren den heutigen Stand vorhersagen können?"

Mehr Methoden, weniger Fakten

Die Hochschulleute haben daher bei der Gestaltung der neuen Studiengänge folgende Leitlinien im Auge: Die Studierenden sollen die Grundprinzipien der beteiligten Disziplinen verstehen, sie sollen mehr Methoden- als Faktenwissen sammeln, hohe kommunikative Kompetenz erwerben und schon während des Studiums vielfältige Praxiserfahrungen sammeln.

Es gibt aber noch einen weiteren Grund, warum derzeit keine präzisen Vorhersagen über Anstellungschancen zu machen sind. Newplan-Geschäftsführer Löchler beschreibt das so: "Viele Firmen wissen gar nicht, daß sie beispielsweise einen Medienberater brauchen könnten und daß es ein solches Qualifikationsprofil auf dem Arbeitsmarkt gibt."

Nicht umsonst bietet der DMMV seinen Mitgliedern eine Hochschulrundreise an, auf der sich die Firmenleute nach Personal umschauen und vielfältige Kooperationsvorschläge machen können - von Themenanregungen für Diplomarbeiten bis zu Seminarangeboten der Praktiker aus der Wirtschaft.

Bezogen auf die Beschäftigungsform laufen zwei Entwicklungen parallel: Manche Betriebe binden Multimedia-Spezialisten durch feste Anstellungsverträge an sich. Andere Unternehmen kaufen sich die Dienstleistungen bei Werbeagenturen und freien Teams ein. Welcher Trend sich durchsetzt, erfragt der Essener Medienforscher Lutz Michel derzeit im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums bei einschlägigen Firmen.

Erste Ergebnisse auf der Basis etwa einer Analyse von Stellenanzeigen deuten darauf hin, daß immer mehr Unternehmen vor allem die Bedeutung des Internets erkennen und dafür eigenes Personal einstellen. Wenn sich diese Tendenz bei der nun laufenden Repräsentativbefragung erhärtet, könnten künftig gerade kleine Agenturen das Nachsehen haben, glaubt Michel. Fest steht noch nichts auf diesem virtuellen Arbeitsfeld. Wie es scheint, ist jeder Studienanfänger gut beraten, sich frühzeitig auf ein Pendeln zwischen festem Job und freiberuflicher Tätigkeit einzustellen. *Helga Ballauf ist freie Journalistin in München.