Ferngespräche zum Ortstarif

PC-Telefonie weist noch Qualitätsmängel auf

28.06.1996

Ausgerechnet das Netz der Netze, das den TK-Riesen aufgrund der rapide wachsenden Nutzerzahl bei den Online-Diensten eigentlich als Goldgrube dienen sollte, könnte durch die steigende Popularität der Internet-Telefonie bald ein großes Loch ins Portemonnaie manch einer Telefongesellschaft reißen: "Es ist unfair, daß wir die Kosten für den Service tragen müssen und sich die Internet-Nutzer nicht einen Cent darum scheren", schimpft Charles Helein, Rechtsberater der US-Carrier-Vereinigung Americas Carriers Telecommunication Association (ACTA), über drohende Gewinneinbußen durch Online-Plauderer. Auch bei der Deutschen Telekom betrachtet man das Internet mit Argusaugen: "Wir beobachten die ganze Entwicklung sehr aufmerksam", räumt Stephan Althoff, Sprecher des Bonner Konzerns ein.

Kein Wunder: In den USA verdienen TK-Gesellschaften pro Ferngespräch rund 22 Cent pro Minute. Im Gegensatz dazu kostet US- Anwender der Internet-Call mit dem Verwandten in Übersee gerade mal 3,3 Cent pro Minute. Noch gravierender ist der Unterschied in Deutschland: Während eine Stunde Internet-Plaudern mit Freunden in den USA zum Tagestarif knapp 4,80 Mark verschlingt, müssen "normale" Anrufer für die gleiche Zeit 86,40 Mark berappen.

Die Angst der TK-Riesen, daß ihnen Plauderer im Internet das angestammte Geschäft mit Ferngesprächen vermiesen könnten, ist verständlich: Im Prinzip lassen sich mit relativ einfachen Mitteln neben der Daten- und Faxübertragung auch Ferngespräche rund um den Globus schicken - und das in der Regel zum Ortstarif. Der normale PC muß lediglich zusätzlich mit Soundkarte, Mikrofon, Lautsprecher sowie einer speziellen Internet-Telefoniesoftware (siehe Kasten) ausgerüstet werden. Der Kunde bezahlt dabei nur die anfallenden Telefongebühren zum nächsten Internet-Service-Provider sowie die Grundgebühr. Auch DV-Giganten wie Microsoft, Intel oder IBM tüfteln neben etwa 100 anderen Anbietern bereits an Standards für die Internet-Telefonie.

"Wir glauben, daß sich die Internet-Telefonie vor allem bei internationalen Gesprächen aufgrund der sehr hohen Telefongebühren in Europa und Japan durchsetzen kann", begründet Gary Schultz, Analyst der Multimedia Research Group aus Sunnyvale, Kalifornien, weshalb die halbe US-Telekommunikationsbranche auf heißen Kohlen sitzt. Um einem Massenerfolg des Telefonierens auf Basis des IP- Netzes bereits frühzeitig einen Riegel vorzuschieben, suchen erste US-Carrier denn auch nach Lösungen, um PC-Telefonierern das Handwerk zu legen.

Nachdem man sich darüber klargeworden war, daß rechtliche Schritte gegen Service-Provider oder die Telefonierer selbst keinen Erfolg versprechen, verlegte sich die ACTA auf eine andere Strategie. Im März dieses Jahres forderte sie die US-Aufsichtsbehörde Federal Communication Commission (FCC) auf, Software und Hardware zu verbieten, die Ferngespräche mit PCs ermöglichen.

"Es gibt unzählige Möglichkeiten, etwaigen gerichtlichen Schritten der Telefongesellschaften entgegenzuwirken", weiß Richard Leitermann, Anwalt in der Kanzlei Wilkinson, Barker, Knauer & Quinn aus Frankfurt. Zwar besäße etwa die Deutsche Telekom theoretisch Mittel, gegen die Sprachübermittlung im Internet vorzugehen, "praktisch läßt sich ein Verstoß gegen das Fernmeldeanlagengesetz jedoch kaum nachweisen". Die Telekom müßte schließlich sämtliche Datenpakete, die vom Service-Provider abgehen, inhaltlich analysieren, "und das würde die Telekom so viel Geld kosten, wie sie durch ihren Börsengang einnimmt", so der Jurist. "Ich kenne keinen Aspekt, unter dem die Verantwortung für die Inhalte der Datenpakete den Diensteanbietern zugeschoben werden könnte."

Telefongesellschaften seien außerdem nicht in der Lage, die rasch wachsende Zahl der Service-Provider zu kontrollieren: "Was nutzt es, wenn der Anbieter A aus Essen dichtmachen muß und gleichzeitig der Provider B aus München einen Shop eröffnet." Erst ab dem 1. Januar 1998, an dem das neue TK-Gesetz in Kraft treten soll, werden die Karten, so Leitermann, neu gemischt. Ab dann könne es bei fehlender Lizenz zur Sprachübermittlung zu einem Bußgeld von bis zu einer Million Mark kommen. Anwendern hingegen könne man rein rechtlich keinen Strick drehen.

Doch diese juristischen Überlegungen erscheinen einigen deutschen Unternehmen angesichts der unausgereiften Technik voreilig. Vor allem qualitative Hürden der Internet-Telefonie sind zu meistern, bevor der PC als Konkurrenz zum Telefon deklariert werden kann, so die nahezu einhellige Meinung.

Ist der Kollaps des Internet vorprogrammiert?

Bereits heute ist das Netz teilweise hoffnungslos überlastet, und das sicher nicht wegen der etwa 150 fast ausschließlich privaten Benutzer, die hierzulande via PC Fernsprechverbindungen herstellen. Schon der Datenverkehr zwingt das Internet in die Knie. Sollten Millionen Online-Quasselstrippen daß Netz der Netze zusätzlich belasten, ist der endgültige Kollaps der Datenautobahn programmiert.

Zudem hapert es im Vergleich zum vertrauten Telefon noch am Komfort. Während ein gewöhnliches Fernsprechgerät durch Klingeln auf den Anrufer aufmerksam macht, müßten Internet-Benutzer permanent eingeloggt bleiben, um für Anrufer präsent zu sein, oder aber vorab beispielsweise per E-Mail einen festen Gesprächstermin vereinbaren. Darüber hinaus benötigen beide Gesprächspartner dieselbe Software, weil es den unterschiedlichen Produkten an der Kompatibilität mangelt.

Entscheidend für ein "Nein" vieler Nutzer zur Internet-Telefonie dürfte allerdings die noch mangelhafte Übertragungsqualität der übertragenen Sprache sein. Nur allzu oft gehen ganze Worte bei der Übermittlung im weltumspannenden Daten-Highway verloren oder aber permanente Hintergrundgeräusche lassen Anwender nur erahnen, was der Gesprächspartner aus Übersee ihnen sagen will. Eine Qualität wie etwa mit ISDN-Telefonen, die Daten mit 64 Kbits/s über die Leitung schicken, können herkömmliche Modems mit etwa 28,2 Kbits/s nicht erreichen. Darüber ist sich auch Telekom-Sprecher Althoff im klaren: "Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Internet-Telefonie keine Konkurrenz zum Festnetz."

Webphone, Netspeak, 50 Dollar, http://www.itelco.com

Internet-Phone, Vocaltec, 50 Dollar, http://www.vocaltec.com

Webtalk, Quarterdeck, 138 Mark, http://www.quarterdeck.com

Cool Talk, Insoft, gratis im Netscape Navigator 3.0 enthalten, http://home.netscape.com

Digiphone, Camelot Corp., 60 Dollar, http://www.planeteers.com

Keine Gewähr für die Vollständigkeit