Integrationsgesichtspunkte ersetzen Streit um das "richtige Betriebssystem"

PC-Netze: Unix wird zu einem Bindeglied heterogener Welten

17.05.1991

"DOS, OS/2 oder UNIX?" - für immer mehr Anwender wird diese Fragestellung belanglos. Grund: In modernen DV-Landschaften ist zunehmend die Integration aller relevanten Betriebssysteme in vernetzte Umgebungen gefordert. SCO Unix/Xenix dient hierbei häufig als integrierendes Server-Betriebssystem, während auf den PCs oder der Client-Seite MS-DOS, Windows, Open Desktop oder OS/2 zum Einsatz kommen.

Nach IDC-Angaben laufen derzeit weltweit über 30 Millionen PCs unter DOS. DOS-Entwickler Microsoft schätzt die Anzahl der für das Betriebssystem verfügbaren Applikationen auf mehr als 35 000 Softwarepakete. Dem stehen auf der Unix-Seite weltweit etwa 300 000 PC-Installationen und ein Angebot von - großzügig gerechnet - rund 5000 PC-Applikationen gegenüber.

Dennoch ist der Trend in Richtung PC-Unix unübersehbar. IDC prognostiziert eine Steigerung des Unix-Marktanteils im professionellen bundesdeutschen PC-Markt von 7 Prozent (Stand 1990) auf bis zu 15 Prozent im Jahr 1993. Für den DOS-Anteil erwarten die IDC-Experten im gleichen Zeitraum einen drastischen Rückgang von nahezu 90 auf 61 Prozent.

Unix als Backbone-Betriebssystem

Diese Entwicklung dürfte sich durch die jüngste ACE-Ankündigung noch beschleunigen, wenn durch die Kompatibilität zwischen der PC- und der RISC-Welt, wie sie durch das "vereinigte Unix Open Desktop ACE erreicht wird, ein deutlich höherer Investitionsschutz für Software-Entwicklungen auf PC-Unix-Basis entsteht. Dann können beispielsweise Anwendungen, die heute in einem lokalen Netzwerk mit drei 386-PCs laufen, künftig in RISC-Server-Umgebungen mit der MIPS-Leistung eines Großrechenzentrums eingesetzt werden.

Für die Anwender ist die Debatte um das optimale Betriebssystem ohnehin seit längerem zweitrangig - spätestens seitdem klar ist, daß in modernen PC-Umgebungen die unterschiedlichen Systeme durch Vernetzung weitgehend nahtlos integriert werden können. Unix erhebt daher keinen Absolutheitsanspruch, sondern ist eher als eine Klammer um die unterschiedlichen Betriebssystem-Umgebungen zu verstehen. Vor diesem Hintergrund wählen immer mehr Anwender Unix als Backbone-Betriebssystem für vernetzte PC-Umgebungen, da an das Unix-basierte Netzwerk ohne weiteres DOS-, Windows-, OS/2- und natürlich Unix-Rechner angeschlossen werden können. IDC schätzt, daß zum Ende des Jahres 1990 etwa 700 000 PC-LAN-Server in Europa installiert waren, 8 Prozent davon arbeiten unter Unix. Bis 1995 soll der Unix-Anteil auf über 22 Prozent anwachsen, bei einem bis dahin auf insgesamt 1,8 Millionen gestiegenen Installationsvolumen. Motor des verstärkten Unix-Einsatzes in PC-LANs ist zum einen die Portierung des LAN-Manager unter Unix sowie die generelle Verfügbarkeit von immer mehr Unix-Lösungen für PC-Anwendungen.

LAN Manager unter Unix als Integrationsmotor

Die von Santa Cruz Operation (SCO) für Unix portierte Version des LAN Manager basiert auf den LAN-Manager-Versionen für das und OS/2-Allerdings wurden bei der Portierung einige signifikante Erweiterungen vorgenommen, insbesondere die Unix-Client-Unterstützung, ein IBM-kompatibler Netbeui-Transport-Support, virtuelle Terminaleinrichtungen für Unix-Logins sowie die Möglichkeit zur Co-Residenz mehrerer Transportprotokolle. Diese Unix-Implementierung läuft auf Personal Computern mit SCO Unix und Open Desktop, mithin also - laut IDC - auf weit über 80 Prozent aller PC-Unix-Installationen.

Die Erweiterungen zielen in erster Linie darauf ab, den LAN Manager im Zusammenhang mit Unix für die Integration von Unix-Systemen in DOS- und OS/2-Umgebungen auszubauen, um so die gemeinsame Nutzung von Peripheriegeräten einschließlich des Zugriffs auf Datenbestände zu ermöglichen. Hierbei umfaßt das Paket neben der Unix-Server-Software auch Programme für die Integration von DOS-, OS/2- und Unix-Systemen. Dazu gehören unter anderem LAN-Manager-Clients, Netbeui-Module und Einheitentreiher für gängige LAN-Karten unter DOS, OS/2 und Unix.

Leichtedingige Migrationspfade

Da die Unix-Implementierung des LAN Manager zudem ein verteiltes Dateisystem (DFS) enthält, lassen sich Unix-Systeme unmittelbar in bestehende DOS- und OS/2-Umgebungen einpassen. Darüber hinaus werden Netzwerkzugriffe zu Kommunikations-Gateways sowie die Anwendung von entfernt gespeicherten Programmen und das Server-Client-Messaging von der Unix-Version unterstützt, wobei der Zugriff über herkömmliche - zeichenorientierte Terminals erfolgen kann.

Allerdings unterstützt der LAN Manager unter Unix nicht nur die Integration in DOS- und OS/2-Umgebungen, sondern bietet auch leichtgängige Migrationspfade von älteren Unix-Netzwerkumgebungen. Hierzu gehört insbesondere der Support für Unix-Netze unter TCP/IP, aber auch die Kompatibilität zu Xenix-Net-Parallel dazu wird den Anwendern mit der neuen Version 1.3 von Xenix-Net ein zum LAN-Manager kompatibles Upgrade an die Hand gegeben, um bestehende Investitionen schützen zu können.

Die über Xenix-Net verbundenen PCs können Ressourcen wie Drucker, Massenspeicher, Applikationen und Datenbestände gemeinsam nutzen. Dabei fungieren die Xenix-PCs sowohl als Dateiserver für Client-Rechner unter das oder OS/2 als auch umgekehrt in Client-Funktion zu DOS- beziehungsweise OS/2-Computern. Das Net-Paket umfaßt - allerdings nicht die hierfür erforderliche DOS- oder OS/2-Software, die vom Anwender separat erworben werden muß.

Unix als Netz-Betriebssystem

Im Rahmen der ACE-Initiative wurde bereits unter der Unix-Umgebung Open Desktop eine Implementierung des LAN Manager für die ARC/RISC-Spezifikation in Aussicht gestellt. Auch andere gängige Netzstandards wie TCP/IP, NFS, Netbeui und Open Systems Interconnection (OSI) sollen unter ACE/ ARC Unterstützung finden. Über externe Erweiterungen wird zudem Konnektivität zur SNA-Welt und Decnet angestrebt. Allerdings: Keines dieser Produkte dürfte vor Mitte 1992 verfügbar sein. Dennoch sprechen diese Entwicklungen eindeutig für den Einsatz von Unix als Netzwerk-Betriebssystem keine andere Umgebung verspricht ein derartiges Maß an Kompatibilität, Interoperabilität und Konnektivität.

Für die Marktresonanz entscheidend ist indes nicht nur die Offenheit der Unix-Lösung für den PC-LAN-Bereich, sondern auch die Verfügbarkeit Entsprechender Anwendungen. Über 40000 integrierte Bürosoftwarepakete fanden im Jahr 1989 nach Angaben der IDC-Auguren in Europa einen Käufer (die Zahlen für 1990 liegen noch nicht vor). Rund 14 Prozent davon kamen den Recherchen zufolge in PC-Netzwerken in DOS- oder herstellerspezifischen NOS-Umgebungen zum Einsatz. 53 Prozent der Büroinstallationen wurden hingegen unter Unix vorgenommen, davon etwa ein Drittel in LANs. Bemerkenswert: Laut IDC wurde 1989 Bürosoftware sowohl unter DOS/NOS als auch unter Unix erheblich stärker geordert als traditionelle Office-Lösungen wie "Officevision" von IBM oder "All-In-1" von DEC.

Dieser Trend dürfte sich 1990 noch verstärkt haben, zumal IDC das Wachstum im europäischen PC-Unix-Markt für 1990 auf über 50 Prozent schätzt. Als fahrenden Anbieter im DOS/NOS-Segment hat IDC Wordperfect ausgemacht, für den Unix-LAN-Bereich nennen die Marktforscher Uniplex und Santa Cruz Operation. Bemerkenswert ist, daß zunehmend Anwendungen sowohl für das als auch für Unix und in Zukunft vermutlich auch für OS/2 verfügbar werden. Typische Beispiele hierfür sind die Textverarbeitungsprogramme "Wordperfect" und Microsofts "Word".

Umstieg von das auf Unix nicht ganz einfach

In beiden Fällen können Texte zwischen DOS- und Unix-Versionen, die in einem LAN mit der Unix-Version des LAN Manager zusammen betrieben werden, nahezu transparent ausgetauscht werden. Das bedeutet, daß für den Endbenutzer im Netzwerk die gleiche Anwendungssoftware unabhängig von der Wahl des jeweiligen Client-Betriebssystems verfügbar ist. Allerdings: Die Verfügbarkeit von Betriebssystemübergreifenden Anwendungen ist noch keine Selbstverständlichkeit im DV-Markt.

Die Strategien praktisch aller großen Softwarehäuser zielen auf die Unabhängigkeit von der Betriebsumgebung. Doch die traditionellen DOS-Softwarelieferanten haben ihr Unix-Angebot zumeist erst vor kurzem im Markt positioniert, was sich in Bugs und zum Teil schwerwiegenden Implementationsfehlern bemerkbar macht. Die Umstellung von das auf Unix ist eben doch nicht so einfach, wie manche Hersteller glauben machen wollen. Einen leichteren Weg haben daher Softwarehäuser wie Uniplex, die aus dem Unix-Umfeld kommen und zusätzlich DOS-Versionen anbieten.

Die beste Lösung für den Anwender

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Unix als Backbone-Netzwerk-Betriebssystem für LANs aus heutiger Sicht wohl die beste Lösung für den Anwender ist. Unix stellt durch die bekannten Standardisierungen wie beispielsweise die X/Open-Richtlinien die Plattform mit dem höchsten Investitionsschutz dar.

Der Anwender bindet sich bei der Wahl von Unix als LAN-Rückgrat an keinen bestimmten Hardware- oder Softwarehersteller - ein Aspekt, der für kein anderes Netzwerk-Betriebssystem zutrifft. Eine ausschließliche Unix-Lösung läßt sich eure im LAN oft nicht realisieren, weil die benötigten Anwendungen kurzfristig nicht immer verfügbar sind. Unix ist jedoch offen, so daß an einem Unix-Server Clients unter MS-DOS, Windows oder OS/2 betrieben werden können.