PCs laufen Minis und Mainframes den Rang ab

PC-Boom macht vielen DV-Bossen zu schaffen

03.07.1992

FRAMINGHAM (IDG) - Das Jahr 1991 könnte in die DV-Geschichte eingehen: Erstmals übertraf der weltweite Umsatz mit PCs und der dazugehörigen Software sowie Peripherie das Geschäft, das mit Mainframes und Minicomputern erzielt wurde. Nicht alle DV-Verantwortlichen sehen diesen Trend mit Wohlwollen.

Wie die im kalifornischen Santa Clara ansässige Infocorp ermittelt hat, wurden weltweit 166 Milliarden Dollar für PCs und Zubehör ausgegeben - 1,5 Milliarden mehr als für Minis und Mainframes. Daß dieser Trend vor allem auch auf das Interesse professioneller Anwender zurückzuführen ist, zeigt unter anderem das Beispiel der Hughes Aircraft Company, die ähnlich wie auch die McDonnell Aircraft Company mit ihrem Downsizing-Projekt weltweite Aufmerksamkeit erregte. Das Unternehmen hatte im letzten Jahr eine Reihe seiner wichtigsten Anwendungen vom IBM-Mainframe der Serie 4381 auf PCs der Dell Computer Inc. heruntergeladen. Nachdem sich die Rechner bewährten, entschloß sich Hughes kurzerhand, den Großrechner endgültig auszumustern. Eine der größten Anwendungen, die aus der 4381-Welt in die PC-Umgebung übertragen wurde, war ein Bibliothekssystem, das auf das Datenbanksystem "IDMS" von der Computer Associates International Inc. (CA) aufsetzte. Die Aufgabe des Programms bestand darin, Dokumente über die verschiedenen installierten Computerplattformen hinweg aufzuspüren. Binnen eines halben Jahres, so forderte das Management von Hughes Aircraft, mußten diese und sämtliche anderen IDMS-Anwendungen auf PCs portiert sein.

Hughes hatte insofern Glück, als CA eine PC-Version des IDMS-Datenbanksystems anbot. So konnte der Konzern die Migration zu Ende bringen, noch bevor der Großrechner ausgemustert wurde. Die Kosten der Konvertierung von IDMS zum PC-Produkt lagen bei 65 000 Dollar. Schon nach gut einem Monat, so rechnete das Unternehmen, würden sich diese Ausgaben wieder amortisieren. Der Betrieb des 4381-Mainframes hatte nämlich monatlich rund 60 000 Dollar verschlungen, während die Wartung des PC-Systems, an dem fünf Anwender arbeiten, heute lediglich 2000 Dollar pro Monat kostet. Zu überschäumender Begeisterung sehen Branchenkenner trotz solcher positiven Beispiele keinen Anlaß: "Heute bekommt jeder einen PC auf seinen Arbeitstisch - die eigentliche Revolution wird aber erst innerhalb der nächsten 25 Jahre stattfinden", urteilt etwa Esther Dyson, Herausgeberin des New Yorker Newsletters "Release 1.0".

Desorientierung bei den Mitarbeitern

Während sich die einen Marktbeobachter darüber mokieren, daß Produktivitätsvorteile durch PCs nur sehr langsam Platz greifen, weisen andere darauf hin, daß sich die entstehenden Vorteile nur schwer messen lassen. Die Behauptung, daß Desktop-Computer mehr kosten, als sie wert sind, findet in der Branche allerdings kaum noch Zustimmung. "Der PC wirkt sich fundamental auf die Wirtschaft aus, er ist ein grundlegender Bestandteil unseres täglichen Lebens", betont Richard Shaffer, Verleger des ebenfalls in New York erscheinenden "Computerletter".

Trotzdem ist unstrittig, daß der Einzug des PCs in die Unternehmen nicht selten organisatorisches Chaos zur Folge hat. Dave House, Senior Vice-President bei der Intel Corp., beschreibt solche Situationen folgendermaßen: "Die DV-Abteilungen verlieren die Kontrolle über die Unternehmensinformationen; sie kämpfen, um die Ordnung einigermaßen wiederherzustellen."

Der Wechsel von einer zentralen zu einer dezentralen DV-Umgebung führt heute noch bei vielen Mitarbeitern zu einer Desorientierung. "Der PC hat ein Problem geschaffen", konstatiert IDC-Analyst Aaron Goldberg: "Wie muß die Informationsverarbeitung strukturiert sein, damit sie das Erreichen der übergeordneten unternehmensweiten Ziele unterstützt?" Goldberg zieht zum Vergleich die Buchhaltung heran. Dort sei es schließlich undenkbar, daß in einem Großunternehmen plötzlich drei oder vier Abteilungen beschlossen, jeweils eigenverantwortlich ihre Buchhaltung durchzuführen.