Festplattenmodell des Mikro-Flaggschiffs frühestens in der zweiten Jahreshälfte:

PC-AT-Verzögerung schürt Unmut beim Handel

29.03.1985

MÜNCHEN - Massive Kritik haben die angeblichen Lieferschwierigkeiten beim IBM PC-AT unter der Händlerschaft ausgelöst. Aufträge für den Top-Mikro wurden von Big Blue bisher nicht oder nur sehr unbefriedigend erfüllt.

"Wir liefern derzeit nicht in Stückzahlen, wie das die Kunden gerne hätten", gibt die IBM Deutschland GmbH in Stuttgart unumwunden zu. Der genaue Grund, weiß ein Sprecher, ist in der

Komponentenknappheit, speziell für die Plattenlaufwerke, zu sehen. So habe die Nachfrage nach dem AT die Markteinschätzungen des Branchenriesen bei weitem übertroffen.

Ihren Händlern hatte die IBM den Engpaß bei den Komponenten schon in einem Brief Anfang Februar angekündigt. Es sei nicht damit zu rechnen, formulierte die IBM weiter an ihre "rote" Schar, daß AT-Geräte in nennenswertem Umfang bis März zur Verfügung stünden, aber auch die Lieferung im zweiten Quartal 1985 werde begrenzt sein.

Ein zweites lapidares Rundschreiben folgte kürzlich: ". . . leider müssen wir Ihnen heute mitteilen, daß vorerst keine Auslieferungen erfolgen . . . und werden Sie sofort informieren, wenn eine konkrete Verbesserung der Situation eingetreten ist." Eine definitive Terminierung von AT-Lieferungen blieb die IBM den Stützen ihres PC-Verkaufs schuldig.

Selbst auf dem jüngsten Händlertreffen am vergangenen Wochenende in Lissabon hatte der Gigant nichts Griffiges parat.

Mit dem nichtssagenden Schulterzucken der IBM indes können die Händler ihre Kunden nicht befriedigen. Diese reagieren verärgert und dringen auf die Einhaltung der vertraglich zugesicherten Liefertermine. Manche Händler versuchen daher, ihre Kunden mit Alternativen bei der Stange zu halten. So werden oftmals normale PC oder auch getunte XT-Modelle mit dem Versprechen installiert, sie gegen einen AT auszutauschen. Diese Geräte stellen Händler nicht selten kostenlos zur Verfügung oder berechnen eine Miete, die dann auf den Kaufpreis des AT angerechnet wird.

Gerade kleinere Händler aber plagen derzeit nackte Existenzsorgen. Durch die quasi leihweise Installierung ihrer XT-Bestände geraten sie zunehmend in Liquiditätsschwierigkeiten. Hinzu kommen erhebliche Forderungen, die die Kunden aufgrund nichterfüllter AT-Verträge geltend machen, ferner die hohen Quoten, wie jetzt auch in Lissabon beklagt. Bemerkt ein Händler verbittert: "Eine Strategie der IBM, die den Ausleseprozeß unter den Händlern beschleunigen soll. Zum endgültigen Genickbruch wird es möglicherweise bei der Großauslieferung des AT kommen. Befürchtet wird ein ruinöser Preiskampf. Händler geben schon heute 24 Prozent Rabatt auf den AT, obwohl sie ihn noch nicht in den Regalen haben", weiß ein Marktbeobachter.

Für den ausgetrockneten AT-Markt sehen Insider unterschiedliche Gründe. Ein gravierendes technisches Problem, das IBM Kopfzerbrechen bereitet, dürfte die mangelnde Zuverlässigkeit der 20-MB-Winchesterplatte beim AT 02 sein. Offiziell hat Big Blue diesen Fehler bis heute nicht zugegeben. Doch Kenner wissen sehr wohl um dieses Qualitätsmanko: "Benutzt man andere als die IBM-Platten, funktioniert das Gerät ohne Schwierigkeiten."

Doch mit technischen Macken allein dürfte die AT-Knappheit wohl nicht zu rechtfertigen sein. Unterstellt wird dem Markführer ein kühles politisches Taktieren. Brächte IBM die beiden AT-Modelle jetzt in großen Stückzahlen auf den Markt, urteilen Branchenbeobachter, würde sie sich den PC- und XT-Markt kaputtmachen.

So zögerte IBM auch nicht, Anwendern den Kauf eines XT im Herbst vergangenen Jahres durch eine Preisreduzierung von 20 Prozent nahezulegen. Vor einigen Wochen erst kletterte der Preis für den AT. IBM gewähre, so heißt es, bei PC- und XT-Aufträgen Rabatte von mehr als 40 Prozent.

In Händlerkreisen geht man davon aus, daß der AT frühestens ab dem dritten Quartal 1985 in gewünschten Stückzahlen zur Verfügung steht. Diese Hoffnung versucht auch die IBM zu nähren. Andere bezweifeln jedoch, noch in diesem Jahr den AT zu bekommen, jedenfalls in der 02 -Version mit Festplatten.

Zwar hatte es in den vergangenen Wochen einige Exemplare der Mehrplatzmaschine gegeben, sie wurden aber von der IBM nach dem Gießkannenprinzip verteilt. Konkret: Einige Händler erhielten drei Geräte, andere eine oder gar keine Maschine. Prophezeit hatte der damalige Generalbevollmächtigte des IBM-PC-Vertriebs, Bernhard Dorn, bei der Ankündigung des Mikro-Flaggschiffs: "In Mengen ist der AT im Frühjahr 1 985 verfügbar."

Branchenkenner glauben nicht, daß es überhaupt einen echten AT-Bedarf gibt. Viele bestellen nur, weil es das neueste IBM-Produkt ist" behauptet denn auch ein Insider. So glaubt man schlicht, daß viele Anwender auch mit einem PC oder XT ausreichend versorgt seien. Ein Händler klipp und klar: "Wir analysieren den Bedarf unserer Kunden und machen individuell zugeschnittene Installationen. Dazu gehören in vielen Fällen "normale" PC-Systeme.

Wer allerdings auf die Mehrplatzfähigkeit spekuliert, darf sich auch hier keinen Illusionen hingeben. Zum einen ist das dafür notwendige Betriebssystem Xenix noch nicht verfügbar, und überdies, versichern Fachleute, gibt es bislang keine ausgereifte Multiuser-Software.

Die These von der künstlichen Verknappung des AT stützen die Aussagen eines Händlers, dem 01-Geräte aus London und Los Angeles in großen Stückzahlen angeboten wurden. Doch die Rechner seien zu teuer gewesen und hätten außerdem die amerikanische Tastatur gehabt. Daß der AT existent und sogar in großen Mengen in Europa vorhanden ist, meint auch Rolf Kautenberger, Inhaber der K-Electronics in Euskirchen. Er bekomme in etwa zwei Wochen rund 500 PC-AT aus den USA, versehen mit deutscher Tastatur. Kautenberger: "Das ist schriftlich garantiert und die Maschinen sind bezahlt."

Daß AT-Rechner direkt aus den USA bezogen werden können, wissen auch andere Händler zu berichten. Wer sich aber dazu entschlösse, müsse mit massivem Druck der IBM rechnen. So drohe Mother Blue in dem Tenor: "Entweder Du verlierst Deinen Liefervertrag oder Du läßt die Finger davon." Die Existenzsicherung macht eben loyal.

AU: W. Rüdiger Ussler